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Ein Kompass für die Gratwanderung: Leitfaden für Patienten­informationen in Forschungs­projekten

Forscher, Patientenvertreter und Mitglieder von Ethik­kommissionen suchen gemeinsam nach Wegen, Teilnehmer an klinischen Studien verständlich und umfassend zu informieren

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In der Planung und Beantragung eines Forschungsprojekts ist die Einwilligungs­erklärung das am kritischsten begutachtete Dokument. Es muss alle wesentlichen Informationen über die Forscher, das Studienziel, die Methoden und die gewonnenen Daten und ihre Nutzung sowie alle potentiellen Nutzen und Risiken enthalten. Gemeinsam haben Forscher, Patienten­vertreter und Mitglieder von Ethikkommissionen in einem TMF-Workshop am 26. und 27. März 2013 in Berlin darüber beraten, wie die bestehenden Leitfäden und Hilfen für die Erstellung von Patienten­informationen und Einwilligungs­erklärungen an aktuelle Entwicklungen angepasst und hinsichtlich einer leichteren Verständlichkeit für die Patienten verbessert werden könnten.

Um Forschern zu helfen, einen Überblick zu gewinnen, was sie bei der Erstellung ihrer Patienten­informations- und -einwilligungs­unterlagen beachten sollten, welche Anforderungen und auch welche Lösungsansätze es gibt, hatte die TMF bereits 2006 das Buch „Checkliste und Leitfaden zur Patienten­einwilligung“ sowie einen Online-Assistenten zur Erstellung von Patienten­informationen und Einwilligungserklärungen veröffentlicht. Urs Harnischmacher (ZKS Köln), einer der Autoren des Buches, stellte die Checkliste und den Online-Assistenten vor. Darin werden Informationen über allgemeine und spezifische Anforderungen bei der Erstellung dieser Unterlagen mit Erläuterungen, gesetzlichen und regulatorischen Grundlagen sowie ggf. Gutachten zu Sachfragen zusammengefasst, bewertet und mit einem Vorschlag für einen Standard­lösungs­satz versehen.

Ziel des Workshops war es, eine Bedarfsanalyse für die Überarbeitung dieser Angebote vorzunehmen, denn: „Der Leitfaden ist ein wichtiges und weit verbreitetes Hilfsmittel für Forscher, das auch von den Ethikkommissionen anerkannt und empfohlen wird. Jetzt gilt es, ihn an die aktuellen Bedürfnisse der Forschung anzupassen, damit er auch zukünftig nutzbar bleibt“, so Harnischmacher.

Eine neue Kultur der Forschungsethik 

Prof. Dr. Jochen Vollmann (Ruhr-Universität Bochum) erinnerte in seinem Vortrag an die historischen und ethischen Gründe für die herausragende Bedeutung, die Patienten­informationen beigemessen wird. Die verpflichtende Forderung nach einer expliziten Einwilligung der vorab informierten Probanden zur Teilnahme an klinischen Studien, wie sie z.B. in der Deklaration von Helsinki festgehalten ist, geht auf eine lange Geschichte der Forschung am Menschen und damit verbundener Fehlentwicklungen und Skandale zurück. Ausführliche Patienten­informationen sollen nun gewährleisten, dass der Patient jederzeit als autonome Person respektiert und in die Lage versetzt wird, eigenverantwortlich über seinen Beitrag zu einem Forschungsprojekt zu entscheiden.

Vollmann wies aber auch auf die für den Forscher schwierige Gratwanderung zwischen umfassender Aufklärung des Patienten, möglicher Manipulation zur Teilnahme und einer unverständlichen Überinformation hin. Insbesondere angesichts neuer Herausforderungen durch aktuelle Forschungs­entwicklungen, z.B. im Bereich der molekularen Medizin, forderte er die Forscher auf, die Forschungsethik als einen notwendigen Bestandteil der medizinischen Forschung in ähnlicher Weise anzunehmen, wie dies in der medizinischen Behandlung inzwischen selbstverständlich geworden ist. 

Komplexe Inhalte verständlich machen

Auf die Schwierigkeit, Patienten in verständlicher und unvoreingenommener Weise über bestehende Risiken bei der Teilnahme an einer Studie aufzuklären, ging Dr. Markus Feufel (Charité Berlin) am Beispiel der Vermittlung statistischer Risiken ein. Er plädierte dafür, bestehende Risiken offen zu kommunizieren, statt eine nur vermeintliche Sicherheit zu suggerieren. Wichtig ist dabei, dass die Informationen, die weitergegeben werden sollen, in einer nachvollziehbaren und nicht irreführenden Weise dargestellt werden.

Dabei ist es insbesondere in der Kommunikation von statistischen Wahrscheinlichkeiten wesentlich, darauf zu achten, diejenigen Parameter zu kommunizieren, die es erlauben, die persönlichen Risiken realistisch einzuschätzen. So empfiehlt es sich z.B. in der Krebsforschung Sterbe- statt Überlebensraten anzugeben und anstelle von Prozentangaben absolute Zahlen mit Referenzgruppen aufzuführen. Auch durch die Wahl einer geeigneten visuellen Darstellungsform kann das Verständnis abstrakter Zusammenhänge wesentlich erleichtert werden.

Aus Sicht der Ethikkommissionen zählt eine zu geringe Verständlichkeit der Materialien zur Patienten­information und -einwilligung zu den häufigsten Gründen für Beanstandungen. Dr. Angelika Hüppe (Universität Lübeck/Arbeitskreis der Ethikkommissionen) stellte eine Studie vor, die belegt, dass formale Anforderungen an die Gestaltung der Unterlagen meist eingehalten werden, während die Texte inhaltlich oftmals nicht den Erwartungen entsprechen: Zu lange Sätze, zu komplizierte Sprache, schwer erkennbare Abgrenzung vom Behandlungskontext, nicht ausreichende Angaben zu Nutzen und Risiken sowie die Vernachlässigung von Angaben zum Datenschutz sind typische Beispiele der regelmäßig auftretenden Probleme. Zu ihrer Lösung könnten eine stärkere Sensibilisierung für die Bedeutung der informierten Einwilligung im Rahmen der medizinischen Ausbildung, eine Anpassung der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel im Hinblick auf die Verständlichkeit wie auch das kritische Gegenlesen der Informations­materialien durch Patientenvertreter beitragen.

Verschiedene Ansätze zur Verbesserung des Verständnisses

Um Patienteninformationen gezielt leichter zugänglich und verständlicher zu gestalten, lassen sich neben klassischen Lesbarkeitsstudien auch Forschungsergebnisse zur Textoptimierung auf der Grundlage moderner kognitionspsychologischer Verfahren einsetzen. Johannes Haak (Universität Potsdam) stellte eine Auswahl an Studien hierzu vor, wies aber auch darauf hin, dass die Vereinfachung der Texte nur eine Möglichkeit sei, an das Problem heranzugehen. Eine weitere sei die Verbesserung der Lesekompetenz  und des medizinischen Wissens der Patienten.

Einen Ansatz zur systematischen Verbesserung der Verständlichkeit von Patienten­informations­materialien stellte Prof. Dr. Gregor Schubiger (Arbeitsgemeinschaft der Forschungs­ethik­kommissionen der Schweiz) aus der Schweiz vor. Dort arbeitet die Arbeitsgemeinschaft der Ethikkommissionen, zurzeit an einem sogenannten „Core+“-Template. Dies enthält im Vorspann einen Leitfaden für Autoren, mit den wesentlichen formalen und inhaltlichen Kriterien zur Erstellung der Informationsmaterialien. Die Patienten­information selbst besteht aus zwei Teilen, einer Kurzfassung, in welcher auf ein bis zwei Seiten die wesentlichen Parameter der geplanten Studie aufgeführt sind und eine Langfassung von maximal zehn Seiten, in der diese ausführlich erläutert werden. Dies soll den Einstieg in die Thematik und den Überblick über die zur Verfügung gestellten Informationen erleichtern. Eine Einwilligung in die Studienteilnahme kann nur erfolgen, wenn beide Dokumente zur Kenntnis genommen wurden.

Was es zu beachten gilt  

Was genau bei der Erstellung von Patienteninformationen zu beachten ist und welche rechtlichen Anforderungen sonstigen Standards einzuhalten sind, wurde am Nachmittag diskutiert. Dr. Martin Langanke (Universität Greifswald) betonte in seinem Vortrag noch einmal die wesentlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Studie, nämlich Freiwilligkeit der Teilnahme, Legalität und Wissenschaftlichkeit der Studie und leitete aus einer kontraktualistischen Perspektive die ethischen Kriterien für einen gültigen „Informed Consent“ ab.

Geht man davon aus, dass die Teilnahme an einer klinischen Studie durch eine Vereinbarung zwischen gleichberechtigten Partnern geregelt wird, lassen sich vier Bedingungen formulieren, die diese Vereinbarung erfüllen muss, um den Probanden nicht zu benachteiligen: Sie muss transparent die Inhalte, Abläufe und Bedingungen der Studie kommunizieren (Transparenzgebot), sie darf keine unverhältnismäßigen Belastungen  vom Probanden einfordern (Minimierungsgebot), sie darf nicht die Behandlung dem Studienziel unterordnen (Nothilfegebot) und sie darf nicht in paternalistischer Weise mögliche Entscheidungen des Probanden antizipieren und ihn damit in seiner Selbstbestimmung beschneiden (Unvertretbarkeit). Diese ethischen Forderungen finden sich in verschiedenen gesetzlichen Regelungen verankert.

PD Dr. Tobias Herbst (HU Berlin) stellte die in allgemeine Anforderungen, wie z.B. der Deklaration von Helsinki, eingebetteten spezialgesetzlichen Regelungen des Arzneimittel­gesetzes (AMG) und des Medizin­produkte­gesetzes (MPG) zur Patienten­information ausführlich vor. Dr. Johannes Drepper (TMF) ergänzte dies durch eine Darstellung datenschutzrechtlichen Anforderungen an Patienten­informations- und -einwilligungs­unterlagen.

Jede Studie ein Sonderfall? 

Doch nicht jede geplante Studie unterliegt den relativ klaren Regelungen des AMG und des MPG. In Vorträgen zu den spezifischen Anforderungen an Patienten­informationen in verschiedenen Forschungsgebieten wurde deutlich, dass es auf nahezu jedem Gebiet andere Herausforderungen gibt. Dies kann, wie Dr. Rainer Röhrig (Universitätsklinikum Gießen) ausführte im Falle der Forschung an nicht­einwilligungs­fähigen Patienten in der Notfallmedizin z.B. die erforderliche richterliche Billigung der Einbindung des Patienten in eine Studie sein. Prof. Norbert Graf (Universitäts­klinikum des Saarlands) stellte die besonderen Anforderungen im Bereich der Forschung an Kindern und Jugendlichen vor, während Prof. Dr. Marcella Rietschel (ZI Mannheim) auf die Bedingungen in der psychiatrisch-genetischen Forschung einging. Von der Schwierigkeit, in der Patienten­information für die Sammlung von Materialien in Biomaterialbanken ein präzises Forschungsthema zu benennen und den daraus resultierenden Überlegungen einen „Broad Consent“ auf diesem Gebiet zu etablieren, berichtete Professor Dr. Roland Jahns (ibdw).

Die Frage nach dem Umgang mit Aktualisierungs­bedarf der Einwilligungen bei Langzeitstudien wurde von Claudia Michalik (ZKS Köln) thematisiert. In all diesen Fällen stellen Hilfsmittel, wie der Leitfaden und die Checkliste der TMF einen nützlichen und auch häufig verwendeten Kompass zur informierten Orientierung der Forscher dar. Denn das spezifische Charakteristikum des Leitfadens ist, dass er nicht nur die Anforderungen an Patienten­informations­materialien darstellt und vorgefertigte Lösungsvorschläge anbietet, sondern auch Hintergrund­informationen wie Gesetzestexte und juristische Gutachten bereitstellt. So findet jeder Forscher die notwendigen Informationen, um individuelle Anpassungen für seine Studie vorzunehmen.

Die Zukunft im Netz 

Um den Online-Assistenten zur Erstellung von Patienten­informationen und Einwilligungs­erklärungen auch zukünftig nutzbar zu erhalten, stellte Dr. Rainer Röhrig (Universitätsklinikum Gießen) ein Konzept zu dessen Überarbeitung auf der Grundlage eines Structured Wiki vor. Mit dem CONTRACT IC Form Generator präsentierte Magdalena Góralczyk (Leibniz Universität Hannover) einen alternativen Ansatz für ein Online-Hilfsmittel bei der Erstellung von Patienten­einwilligungen. Dieses Modell erstellt Einwilligungs­erklärungen nach europäischen Standards, indem es mit Hilfe eines Fragebogens zuvor die spezifischen Anforderungen der geplanten Studien erfasst hat. Beide Angebote stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich. Um zukünftige Doppel­entwicklungen zu vermeiden, wäre es anzustreben, Schnittstellen zwischen ihnen zu schaffen. Allerdings stößt man an dieser Stelle auch auf ein gemeinsames Problem, nämlich die Frage nach der Finanzierbarkeit von Pflege und Aktualisierung solcher notwendigen Werkzeuge nach Ablauf des jeweiligen Entwicklungsprojektes. Dies bedarf Anstrengungen und Handlungs­bereitschaft auf politischer Ebene, aber auch einer besseren Sichtbarkeit und Verbreitung der bereits vorhandenen Lösungen. 

Impressionen

TMF Workshop 2013 Drepper

Die datenschutzrechtlichen Anforderungen an Materialien zur Patienteneinwilligung erläuterte Dr. Johannes Drepper (TMF) © TMF e.V.

TMF Workshop 2013 Feufel

Dr. Markus Feufel (Charité Berlin) stellte Möglichkeiten der Kommunikation von statistischen Risiken in Patienteninformationen dar. © TMF e.V.

TMF Workshop 2013 Harnischmacher

Urs Harnischmacher (ZKS Köln) stellte den Online-Assistenten vor. © TMF e.V.

TMF Workshop 2013 Jahns

Prof. Dr. Roland Jahns (ibdw) stellte Überlegungen zu einem Broad Consent für Biobanken vor.© TMF e.V.

TMF Workshop 2013 Schubiger

Prof. Dr. Gregor Schubiger (AG EK, Schweiz) präsentierte das Schweizer„Core +“ Modell. © TMF e.V.

TMF Workshop 2013 Vollmann

Prof. Dr. Jochen Vollmann (Ruhr-Universität Bochum) erinnerte an dieethische Bedeutung der Patienteneinwilligung. © TMF e.V.