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Viele genetische Faktoren – begrenzte Effekte

TMF-School extra: Teilnehmer diskutieren über die realistische Einschätzung der Potenziale und Ziele genomischer Forschung

Die Referenten des Kurses “Logical Reasoning in Human Genetics”

Die Referenten des Kurses “Logical Reasoning in Human Genetics” waren extra aus den USA angereist (v.l.n.r.): Kenneth M. Weiss, Joseph D. Terwilliger, Joseph H. Lee. © TMF e.V.

Präzise, beantwortbare Fragestellungen, adäquate Studiendesigns und die Fokussierung auf natürliche Experimente in humanen Populationen werden künftig wesentliche Erfolgsfaktoren der Genomforschung sein. Diese Folgerung zogen Teilnehmer und Referenten des Kurses „Logical Reasoning in Human Genetics“, der vom 24. bis 28. September 2012 als Extra-Ausgabe der TMF-School in Berlin stattfand.

TMF School Extra

Dozenten waren der Evolutionsgenetiker Kenneth M. Weiss (Pennsylvania State University), der statistische Genetiker Joseph D. Terwilliger und der angewandte genetische Epidemiologe Joseph H. Lee (beide Columbia University, New York). Schwerpunkte des Kurses waren die wissenschaftsphilosophischen Grundlagen, die Komplexität und quantitative Natur der phänotypischen Manifestierung genetischer Information, populationsgenetische und evolutionäre Erkenntnisse sowie die Vorstellung grundlegender Ansätze zur genetisch-epidemiologischen Datenanalyse. 

Medizinisch-pro­gnos­tisches Poten­zial für die mei­sten Er­kran­kungen gering

Dabei wurde deutlich, welche Möglichkeiten sich aus der phylogenetischen Natur genetischer Daten für ihre Analyse ergeben. Es zeigte sich aber auch, dass diese Natur die Aufklärbarkeit genetischer Ursachen in medizinischen Untersuchungen begrenzt. Der Unterschied zwischen detektierbaren und medizinisch relevanten genetischen Effekten ist groß, so die Dozenten: Die meisten genomweiten Assoziationsstudien der letzten Jahre hätten bestätigt, dass die realistisch zu erwartende Anzahl an genetischen Faktoren groß, aber ihre Effektstärke klein und ihr medizinisch-prognostisches Potenzial für die meisten humanen Erkrankungen gering sei.

Entsprechend wichtig sei die Formulierung präziser Fragen und die Verwendung adäquater Studiendesigns. Nicht zuletzt erscheine die Rückkehr zu familiären Designs mit ihrer höheren Power und ihrer geringeren Anfälligkeit gegen Störgrößen aufgrund der Komplexität und quantitativen Natur genomischer Daten unausweichlich. Hochrangige Veröffentlichungen zur Detektion seltener genetischer Varianten – entweder rezessiv vererbt oder als de-novo Mutationen – aus dem Next-Generation Sequencing einzelner Familien belegten diesen Trend.  

Wissen aus Populationsgenetik und Evolutionstheorie stärker einbeziehen

„Es bleibt zu hoffen, dass das theoretische Wissen aus Populationsgenetik und Evolutionstheorie wieder stärkeren Einfluss auf die gegenwärtige genomische Forschung findet.“ Dieses Fazit zog Prof. Dr. Michael Nothnagel (Cologne Center for Genomics, Universität zu Köln), der die Durchführung des Kurses bei der TMF initiiert hatte. Die Heilsversprechen von einer umfassenden translationalen und personalisierten Medizin, bei der von einigen Erfolgen, wie zum Beispiel bei der Therapie einiger Tumorarten, auf die Gesamtheit humaner Erkrankungen geschlossen werde, erinnerten an die Situation von vor zehn Jahren, als große genetische Effekte zum Normalfall – nicht zur Ausnahme – erklärt wurden. Daher sollten die Ziele der Genomforschung zukünftig etwas bescheidener und realistischer ausfallen.

„In diesem Sinne wäre die Fortführung des Kurses in der einen oder anderen Form wünschenswert, gerne auch wieder bei der TMF. Vor allem würde ich mir dann den Zuspruch eines größeren Publikums wünschen“, so Nothnagel. An dem Kurs hatten 12 Wissenschaftler aus Deutschland und Europa – vor allem aus Norwegen – teilgenommen. Willkommener Nebeneffekt der kleineren Gruppe seien lebhafte Diskussionen gewesen, betonte Nothnagel. Die Vielfalt der fachlichen Expertise der Teilnehmer habe geholfen, Probleme und Fragestellungen von verschiedenen Seiten zu beleuchten und so häufig den Bogen von der Theorie in die praktische Forschung und die angewandte Humangenetik zu schlagen.

Teilnehmer und Referenten der ersten Extra-Ausgabe der TMF-School.

Teilnehmer und Referenten der ersten Extra-Ausgabe der TMF-School. © TMF e.V.