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Verbundforschung benötigt einen höheren Grad an Professionalität, Mana­gement und Organisation

TMF-Jahreskongress in Hannover sorgte für Austausch und Diskussion über Disziplinen, Standorte und methodische Hintergründe hinweg

Der Eingangsbereich zum TMF-Jahreskongress 2015 und ein Ausschnitt des Flyers

Der TMF-Jahreskongresses 2015 fand am 25. März in Hannover statt. © TMF e.V.

Verbundforschungsvorhaben in der Medizin benötigen einen höheren Grad an Professionalität, Management und Organisation als dies bei Einzelprojekten der Fall ist. Die Projekte bearbeiteten in der Regel komplexere Fragestellungen, müssten eine kritische Größe erreichen und benötigten Kohärenz und gelungene Teambildung zwischen den Partnern. Dies betonte Dr. Joachim Klein als Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in seinem Grußwort zur Eröffnung des TMF-Jahreskongresses am 25. März 2015 in Hannover. Das Schwerpunktthema „Verbundforschung im föderalen Deutschland“ sei deshalb für Forschungsförderer besonders spannend. Prof. Dr. Lothar Kreienbrock von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) als gastgebende Einrichtung leitete den Kongress.

Die Durchführung des TMF-Jahreskongresses an einer veterinärmedizinischen Einrichtung unterstreiche, dass die Tiermedizin Teil der Medizin sei, so TiHo-Präsident Dr. Dr. h. c. mult. Gerhard Greif in seinem Grußwort. Die Tiermedizin sei für alle Tierarten zuständig, einschließlich des Menschen, zum Beispiel wenn es um Lebensmittelsicherheit gehe. In Hannover bestünden deshalb auch zahlreiche Kooperationen zwischen der TiHo und der Medizinischen Hochschule. Der Gedanke der TMF, Abstimmung zwischen den Einrichtungen zu unterstützen und gemeinsam Methoden für die Zusammenarbeit zu entwickeln, sei deshalb sehr wichtig und hilfreich.

Dr. Steffen Luntz

Dr. Steffen Luntz. © TMF e.V.

Deutschland ist heute ein weltweit führender Standort für klinische Forschung

Eine 2013 veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass Deutschland heute ein weltweit führender Standort für klinische Forschung ist. Damit zahlten sich die Infrastrukturmaßnahmen der vergangenen 10 bis 15 Jahre aus, beispielsweise die Etablierung von Koordinierungszentren für klinische Studien (KKS) an den Universitätskliniken. Allerdings mache die nicht-kommerzielle Forschung bisher nur einen recht geringen Anteil daran aus. Dies sagte Dr. Steffen Luntz, Leiter des KKS Heidelberg. Klinische Forschung bleibe immer im Fluss mit sich ständig ändernden Rahmenbedingungen, Forschungsfragestellungen und strukturellen Anforderungen. Gerade Wissenschaftler aus dem klinischen Kontext sollten sich jedoch auf ihr Fachgebiet konzentrieren und Forschung betreiben können, ohne Spezialisten für regulatorische Anforderungen zu werden. Nicht zuletzt deshalb seien unterstützende Infrastrukturen wie die KKS und das KKS-Netzwerk oder die TMF so wichtig.

Dr. Christa Färber

Dr. Christa Färber. © TMF e.V.

GCP-Inspektion: Sowohl einzelne Systeme als auch deren Schnittstellen validieren

Multizentrische Studien werden in Deutschland seit 2006 länderübergreifend behördlich überwacht. Für eine Inspektion werden Studien in enger Zusammenarbeit mit den Bundesoberbehörden risikobasiert ausgewählt, insbesondere Studien in frühen Phasen, Studien mit in der Einwilligungserklärung eingeschränkten Patienten, Studien mit Kindern oder solche, die Prüfpräparate mit neuen Wirkstoffen untersuchten. Dies erklärte Dr. Christa Färber vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Hannover. Die Behördenvertreter achteten dabei insbesondere auf Patientensicherheit und Datenintegrität. Die zu prüfenden Strukturen würden allerdings immer komplexer, weil immer mehr Aufgaben an externe Dienstleister ausgelagert würden, so dass ein intensiver und meist elektronischer Austausch von Daten erfolge. Färber betonte, dass sowohl die einzelnen Systeme und deren Schnittstellen als auch der gesamte Datenfluss durch alle beteiligten Systeme zu validieren sei. Die Validierung sollte in ein adäquates Risikomanagement eingebettet sein. Die Kommunikation zwischen den Beteiligten sei dabei entscheidend.

Hohe regulatorische Anforderungen verlangen professionellen Betrieb von IT-Infrastrukturen am Klinikum

Prof. Dr. Ulrich Sax berichtete über Erfahrungen aus einer Inspektion der Universitätsmedizin Göttingen im vergangenen Jahr. Insbesondere müsse man sich in der Vorbereitung die Kommunikationsbeziehungen zwischen den Systemen ansehen. Aufgrund der Komplexität der IT-gestützten Systeme seien Risikoabschätzung und Validierung von zentraler Bedeutung. Die hohen regulatorischen Anforderungen verlangten einen professionellen Betrieb der IT-Infrastruktur am Klinikum. In der Vorbereitung der Inspektion in Göttingen wurde auch der Systemvalidierungsmasterplan der TMF als sehr hilfreich empfunden, allerdings werde das Thema Schnittstellen darin noch zu wenig beleuchtet.

Die Werkzeuge zur Systemvalidierung sind in mehreren Projekten der TMF in den Jahren 2001 bis 2003 sowie 2005 bis 2007 entwickelt worden. Projektleiter Ronald Speer berichtete, dass neben dem Systemvalidierungsmasterplan etwa 70 Checklisten, Musterdokumente und Vorlagen, Konzepte für Audits sowie Schulungsunterlagen zum Thema frei und öffentlich für eine Nutzung durch Forschungseinrichtungen zur Verfügung stehen. Eine Überarbeitung der Validierungsdokumente sei mittlerweile allerdings erforderlich. Gemeinsam mit den Behörden sollte geprüft werden, welche Unterlagen wirklich gebraucht werden. Es könnte sich möglicherweise ein ähnliches Verfahren entwickeln wie es sich in der Zusammenarbeit mit den Datenschutzbeauftragten bewährt habe. Außerdem sollten auch wieder Schulungen zum Thema angeboten werden. Es empfehle sich, selbst ein Audit durchzuführen und mit der Prüfung und Validierung der Systeme und Prozesse nicht zu warten, bis sich die Behörden ankündigten.

Validierung meint, die Prozesse zu verstehen und zu dokumentieren und auf dieser Basis eine Risikobewertung vorzunehmen. Dies wurde in der nachfolgenden Podiumsdiskussion verdeutlicht. Dabei sei zu bedenken, dass sich die Standards in der Krankenversorgung von denen in der klinischen Forschung unterschieden. Ein großes Problem sei der Zeitraum von der Erhebung bis zur Dokumentation von Studiendaten, der manchmal 21 Tage oder auch mehr betragen könne.

NaKo: Modulares Einwilligungskonzept, schriftlicher Widerruf jeder einzelnen Einwilligung jederzeit möglich

Mit 18 Studienzentren in verschiedenen Regionen in Deutschland, dem geplanten Einschluss von 200.000 Probanden und einer Laufzeit von bis zu 30 Jahren oder mehr ist die Nationale Kohorte ein Vorhaben, das sehr umfassende Konzepte und Lösungen für den datenschutzrechtlich und ethisch sauberen Umgang mit den Daten der Studienteilnehmer benötigt. Neben einer sehr komplexen Architektur der Datenspeicherung und -verarbeitung wurde deshalb ein Ethik-Kodex erarbeitet und das Konzept mit 18 Ethik-Kommissionen in 13 Bundesländern abgestimmt. Dies berichtete Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Universitätsmedizin Greifswald, der Mitglied des Vorstands der Nationalen Kohorte ist. Eine modulare Einwilligungserklärung ermögliche eine differenzierte Einwilligung der Teilnehmer in verschiedene Aspekte der Datenerfassung. Ein schriftlicher Widerruf jeder einzelnen Einwilligung sei jederzeit möglich, die Umsetzung werde durch die eingesetzte Treuhandstelle übernommen, denn nur diese könne die verschlüsselten Daten einer Person zuordnen. In Diskussion sei derzeit die Idee ein Probandenportal aufzubauen, das es jedem Teilnehmer ermöglichen würde zu sehen, in welchen wissenschaftlichen Projekten seine Daten verwendet würden.

Prof. Dr. Ulrich Sax

Prof. Dr. Ulrich Sax. © TMF e.V.

Ronald Speer

Ronald Speer. © TMF e.V.

Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann

Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann. © TMF e.V.

Prof. Dr. Jörg Hasford

Prof. Dr. Jörg Hasford. © TMF e.V.

Ethik-Kommissionen: 95 Prozent positive Bewertungen nach Modifikationen oder mit Auflagen

Mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes seien die Ethik-Kommissionen zu Institutionen für Patientenschutz mit behördenartigem Charakter geworden, berichtete Prof. Dr. Jörg Hasford, der Vorsitzende des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in Deutschland. Seither bedürften praktisch alle Arzneimittelstudien der ‚zustimmenden Bewertung‘ der zuständigen Ethik-Kommission. Das Selbstverständnis der Ethik-Kommissionen sei es, Patientenschutz und Forschungsfreiheit sicherzustellen. Dabei betonte Hasford, dass die Medizinethik eine Vielzahl von Wurzeln mit teilweise überlappenden und übereinstimmenden, teilweise aber auch gegensätzlichen ethischen Konzepten habe. Es gebe nicht eine Ethik. Die Mitglieder der multidisziplinär zusammengesetzten Ethik-Kommissionen diskutierten daher die Forschungsanträge unter Berücksichtigung der verschiedenen ethischen Grundpositionen und rechtlichen Vorgaben, um zu einem konsensfähigen Beschluss zu kommen. Dabei werde ein Niveau von 95 Prozent positiven Bewertungen nach Modifikationen oder mit Auflagen erreicht und es würden weniger als drei Prozent endgültige Ablehnungen ausgesprochen. Die vorher erwähnte Studie aus dem Jahr 2013 habe überdies ergeben, dass die Arbeit der Ethik-Kommissionen in Deutschland im internationalen Vergleich sehr positiv bewertet werde.

Prof. Dr. H.D. Tröger, der Vorsitzende der Ethik-Kommission an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) berichtete, dass die Zahl der Anträge an die Ethik-Kommissionen in den vergangenen 30 Jahren massiv zugenommen habe: Hätte die Ethik-Kommission der MHH im Jahr 1983 noch 42 Anträge begutachtet, so sei diese Zahl im Jahr 2014 auf 162 angestiegen. Hinzu kamen 400 weitere Anträge, die ohne Sitzung bearbeitet worden seien. Angesichts dieser Flut sei es heute sehr schwer, Kollegen für eine Mitarbeit in der Ethik-Kommission zu finden. Allen Forschern legte er die Lektüre der Deklaration von Helsinki in ihrer neuesten Fassung von 2013 ans Herz.

PD Dr. Dr. Michael Kiehntopf

PD Dr. Dr. Michael Kiehntopf. © TMF e.V.

Qualitätsmanagement in Biobanken: Viele Gemeinsamkeiten zwischen Leitlinien und Normen

Die Sicherung der Qualität von Proben und Daten ist ein aktuell viel diskutiertes Thema im Biobanking. Akkreditierung und Zertifizierung sind Verfahren, die die Qualitätssicherung unterstützen und dieses Streben auch nach außen dokumentieren. Während Akkreditierung die formelle Anerkennung der Kompetenz einer Einrichtung unter Berücksichtigung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität ist, wird unter Zertifizierung das Resultat einer Prüfung der Übereinstimmung von Arbeitsabläufen gemäß einer Norm verstanden.

Wie PD Dr. Esther Herpel (Universitätsklinikum Heidelberg) erklärte, gebe es zwar viele Standard Operating Procedures und Guidelines und es seien auch bereits Biobanken zertifiziert oder akkreditiert, eine eigene Norm für Forschungsbiobanken in der Humanmedizin existiere jedoch bisher nicht. Es bestünden allerdings viele Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Leitlinien und Normen, diese müssten zusammengeführt und um Aspekte ergänzt werden, die im Forschungskontext wichtig sind. Beim Aufbau der Gewebebank des NCT Heidelberg sei sehr früh klar geworden, dass eine strukturierte Qualitätssicherung aus verschiedenen Gründen notwendig ist. Eine externe Begutachtung sei dann – trotz des damit verbundenen hohen Aufwands – ein logischer Schritt gewesen.  Die Gewebebank habe ein Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO/IEC 17020 etabliert und sei danach durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DakkS) akkreditiert worden.

Die Integrierte BioBank Jena (IBBJ), die Flüssigproben lagert, ist nach DIN EN ISO 9001:2008, Reg.Nr. Z 12583 zertifiziert. Das Prüflabor der IBBJ ist darüber hinaus nach DIN EN ISO 17025 akkreditiert. Dies berichtete PD Dr. Dr. Michael Kiehntopf (Universitätsklinikum Jena). Die Akkreditierung prüfe die technische Kompetenz, darüber hinaus müsse man aber auch an den wissenschaftlichen Fragen weiterarbeiten, die dazu beitragen, die Qualität der Proben zu bestimmen, und die Ergebnisse in die entsprechenden Normen einarbeiten. Als ein Beispiel nannte Kiehntopf die Beschleunigung einer Probe im Rohrpostsystem der Klinik, die manche Biomarker so verändern könnte, dass bestimmte Analysen möglicherweise anschließend nicht mehr durchführbar seien.

Die International Organization for Standardization (ISO), deren nationale Spiegelorganisation in Deutschland das Deutsche Institut für Normung (DIN) ist, arbeitet derzeit an einer Normsetzung für Biobanken im internationalen Kontext. Das berichtete Dr. Christina Schröder (Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI), die den Arbeitskreis „Biobanken“ im Rahmen des vom DIN koordinierten internationalen Normierungsverfahrens leitet. 2014 seien dabei unter anderem die nationalen Normungsvorschläge gesammelt und noch bestehende Lücken analysiert worden. Mit der Finalisierung der Norm oder Normen sei etwa 2017 zu rechnen.

Weltweite Qualitätsdiskussion – Deutschland noch kaum beteiligt

Bereits 2005 hat der amerikanisch-griechische Wissenschaftler John P. A. Ioannidis mit seinem Artikel „Why Most Published Research Findings Are False“ darauf hingewiesen, dass der überwiegende Teil der Ergebnisse biomedizinischer Forschung nicht reproduzierbar ist. Auch Publikationsbias – bevorzugt Studien mit positiven Ergebnissen werden veröffentlicht, nicht signifikante oder unerwünschte Ergebnisse verschwinden eher „in der Schublade“ –  ist schon seit geraumer Zeit als Problem erkannt, insbesondere in der internationalen Diskussion. Die Registrierung von Studien, die dem entgegenwirken sollte, funktioniert nicht so wie erhofft. Ältere Studien verschwinden aus dem kollektiven Gedächtnis und fließen damit nicht mehr in die Bewertung der verfügbaren Evidenz ein, wenn beispielsweise ein neues Forschungsprojekt geplant wird. Die Tendenz zu Open Access Zeitschriften wirft wiederum neue Fragen der Qualität wissenschaftlicher Artikel auf.

Diese Punkte zählte Prof. Dr. Gerd Antes (Cochrane-Zentrum Freiburg) in seiner Evening Lecture auf. Hinzu käme aktuell ein Fokus auf Hightech-Forschung, während beispielsweise Reorganisationsprozesse als Thema für Innovation vernachlässigt würden. Mit „Big Data“ sei eine Ära der Korrelationen an die Stelle der Suche nach Kausalbegründungen getreten. „Schuld“ seien letztlich alle am Forschungsprozess Beteiligten – von den einzelnen Forschern über die wissenschaftlichen Einrichtungen und ihre Ethik-Kommissionen sowie die Verlage bis hin zu Förderern und Gesetzgebern. Den größten Hebel, eine positive Änderung zu bewirken, hätten vermutlich die Ethik-Kommissionen und die Förderorganisationen.

In seiner Artikelserie „Increasing value, reducing waste“ hat der Lancet Anfang 2014 das Thema prominent in die Diskussion gebracht, allerdings fehle, so Antes, bislang in Deutschland eine ernsthafte und konstruktive Auseinandersetzung mit dem Problem. So sei er bei der Vorstellung der Lancet-Serie im Januar 2014 der einzige deutsche Vertreter gewesen. Gerade die Forschercommunity, die unter dem Dach der TMF zusammenkomme, sei prädestiniert dafür, sich gemeinsam insbesondere der angesprochenen methodischen Fragen anzunehmen und die Verbesserung von Qualität und Transparenz der biomedizinischen Forschung auch in Deutschland voranzutreiben. Er wies in diesem Zusammenhang auch auf die REWARD/EQUATORConference hin, die am 28.-30. September 2015 in Edinburgh stattfinden wird und in der die Lancet-Initiative weitergetrieben werden soll. Eine breitere deutsche Beteiligung an den weltweiten Diskussionen sei dringend notwendig.

PD Dr. Esther Herpel

PD Dr. Esther Herpel. © TMF e.V.

Dr. Christina Schröder

Dr. Christina Schröder. © TMF e.V.

Prof. Dr. Gerd Antes

Prof. Dr. Gerd Antes. © TMF e.V.

Prof. Dr. H.D. Tröger

Prof. Dr. H.D. Tröger. © TMF e.V.

Victor Cormann

Victor Cormann. © TMF e.V.

One Health-Gedanke in der Infektionsmedizin: Menschen, Tiere und Umweltfaktoren im Blick behalten

Die Umsetzung des One Health-Gedankens erfordert nicht nur interdisziplinäre, sondern transsektorale Lösungsansätze – Tiere, Menschen und Umweltfaktoren müssen einbezogen werden, beispielsweise im Kampf gegen multiresistente Bakterien. Das sagte Prof. Dr. Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, in seiner Keynote zu Beginn des zweiten Kongresstages. Aufgrund wachsender Weltbevölkerung leben mehr Menschen in immer engerem Kontakt mit Wild- und domestizierten Tieren, Veränderungen im Klima und in der Landnutzung führen zur Zerstörung von Habitaten für Tiere und mit der Globalisierung gehen zunehmend internationale Reisen und internationaler Handel einher. Infektionskrankheiten haben aufgrund dieser Faktoren immer mehr Chancen, sich rasch und global auszubreiten. Auch eine Übertragung von multiresistenten Erregern vom Menschen auf Haustiere, die dann wieder zur Gefahr für Menschen würden, spiele eine zunehmend wichtige Rolle. Als Umweltfaktor müsse man auch Oberflächenwasser im Blick behalten. So sei zum Beispiel gezeigt worden, dass der Ganges in Indien stark belastet sei und zur Verbreitung resistenter Erreger beitrage. Als modellhaft für einen transsektoralen Lösungsansatz nannte Wieler das Projekt InfectControl 2020, das neben Human- und Veterinärmedizin auch Expertisen für Mobilität und Klima sowie Sozialwissenschaftler und Kommunikationsexperten einbinde.

Das Mers-Coronavirus ist bereits seit 30 Jahren in Kamelpopulationen prävalent, vermutlich sogar noch länger. Das erklärte Victor Cormann (Universität Bonn), der an der Identifizierung des Virus in Saudi Arabien 2013 beteiligt war. Der Nachweis konnte anhand von seit 30 Jahren eingelagerten Proben geführt werden. Hohe Seroprävalenzen konnten auch in Kamelen aus Afrika nachgewiesen werden. Von dort werden große Herden junger Kamele auf die arabische Halbinsel verschifft, wo sie als Haustier gehalten werden. Bei einem großen Mers-Ausbruch in Jeddah Anfang 2014 konnte eine Übertragung von Kamelen ausgeschlossen werden. Auch eine erhöhte Inzidenz aufgrund besserer Surveillance, durch Laborartefakte oder aufgrund eines mutierten Virus konnte nicht nachgewiesen werden. Es handelte sich letztendlich um einen Krankenhausausbruch. Gute Hygiene in Krankenhäusern und beim Umgang mit Kamelen sei entscheidend, um Mers-Infektionen vorzubeugen. Der klinische Nutzen von Behandlungsoptionen sei vorläufig noch unklar. Für eine mögliche Impfung stelle sich die Frage, ob besser die Kamele oder die Menschen – alle oder nur Risikogruppen? – geimpft werden sollten. Bei Reiserückkehrern sollte auf jeden Fall auch an eine Infektion mit dem Mers-Coronavirus gedacht werden.

Eine Brücke zwischen den Neurowissenschaften und der Infektionsforschung schlägt das „Niedersachsen-Research Network on Neuroinfectiology“ (N-Rennt), das vom Hausherrn der Veranstaltung, Prof. Dr. Wolfgang Baumgärtner (Institut für Pathologie der TiHo) vorgestellt wurde. Bei verschiedenen Erkrankungen des zentralen Nervensystems – beispielsweise Alzheimer, Multiple Sklerose, Epilepsie, Parkinson und Schizophrenie – bestehen Vermutungen über infektiologische Ursachen. Dabei spielen wahrscheinlich auch zoonotische Erreger eine Rolle. Das Projekt nutzt deshalb die Einrichtungen der Veterinär- und Humanmedizin und die Stärke des Standorts Hannover-Braunschweig-Göttingen sowohl in den Neurowissenschaften als auch in der Infektionsforschung, um die beiden Wissenschaftsbereiche zusammenzubringen.

Zoonosen-Surveillance: Datenintegration noch nicht erstrebenswert, interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken

Um durch zoonotische Erreger verursachte Erkrankungsfälle bei Menschen und Tieren besser verstehen und die Prävention verbessern zu können, wäre es wünschenswert, in den Systemen der Human- und der Veterinärmedizin jeweils schon vorhandene Daten gemeinsam auszuwerten und für eine „One Health Surveillance“ nutzen zu können. Anna Wendt, Epidemiologin an der TiHo, stellte die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie im Rahmen eines TMF-geförderten Projektes vor.

Dabei hätte sich als limitierender Faktor ein unterschiedlich guter und stark situationsabhängiger Austausch auf lokaler Ebene gezeigt; die in den jeweils anderen Bereichen vorhandenen Datensammlungen sind teilweise wenig bekannt; es werden unterschiedliche Begrifflichkeiten und Einheiten verwendet. Andererseits böten die Meldedatenbanken und Daten aus den Nationalen Referenzzentren und Laboratorien sowie nicht zuletzt das große Interesse der Beteiligten aber Möglichkeiten, auf denen aufgesetzt werden könnte. Eine Vernetzung vorhandener Routinedatenquellen mit einer Datenintegration erscheine derzeit nicht erstrebenswert. Der Fokus sollte vielmehr auf der interdisziplinären Zusammenarbeit liegen, für die ein regelmäßiger Austausch, gemeinsame Ziele und Begrifflichkeiten sowie Vertrauen eine wesentliche Grundlage bilden. Vorhandene Strukturen, wie die bereits bestehenden Kooperationen der Institutionen, die Zoonosen-Forschungsverbünde, die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen und die TMF, sollten hierfür genutzt werden.

Prof. Dr. Lothar Wieler

Prof. Dr. Lothar Wieler. © TMF e.V.

Prof. Dr. Wolfgang Baumgärtner

Prof. Dr. Wolfgang Baumgärtner. © TMF e.V.

Anna Wendt

Anna Wendt. © TMF e.V.

tranSMART und eTRIKS: Plattformen für die Zusammenführung von Daten

In einem translationalen Forschungsvorhaben müssen Daten aus ganz verschiedenen Systemen der Versorgung und der Forschung zusammengeführt und analysiert werden: aus elektronischen Patientenakten, aus bildgebenden Systemen, aus Biobanken sowie aus Experimenten. Ioannis Pandis vom Imperial College London betonte, dass die Herausforderungen dabei nicht hauptsächlich in der eigentlichen Analyse liegen, sondern vor allem in Faktoren wie der schieren Zahl genomischer und klinischer Daten, ihre fragmentierte Verfügbarkeit oder Schwächen im Bereich von Standards und Interoperabilität. Die Plattform tranSMART, eine Weiterentwicklung aus dem Open Source-System i2b2, sei deshalb aufgebaut worden, um klinische, biologische und „Omics“-Daten an einem Ort zusammenführen zu können. Auf tranSMART wiederum baut die offene Plattform eTRIKS auf, die im Rahmen der Innovative Medicines Initiative gefördert wird. Die Plattform bietet eine Cloud-basierte Infrastruktur, die explorative Analysen zur Hypothesengenerierung ermöglicht. Eine Zusammenarbeit mit der Gruppe, die im Rahmen von TMF-Projekten Werkzeuge für die Datenintegration im i2b2-System (IDRT-Projekte) erarbeitet, wurde vereinbart.

IT-Systeme: Forschung und Versorgung sollten in einer gemeinsamen Architektur abgebildet werden

Die IT-Abteilungen in Universitätskliniken sehen sich mit Anforderungen aus ganz unterschiedlichen Forschungsprojekten und -verbünden konfrontiert. Auch sie stehen vor der Aufgabe, Daten aus den klinischen Informationssystemen, Registern, Medizingeräten, Biomaterialbanken, Gensequenzierungen oder aus externen Quellen zusammenzuführen. Häufig seien allerdings für diese Aufgaben in den Projekten keine Ressourcen vorgesehen und die Abteilungen seien in die Entwicklung der Konzepte nicht eingebunden, obwohl sie sie anschließend betreiben sollen. Das erklärte Prof. Dr. Björn Bergh (Universitätsklinikum Heidelberg) und betonte, dass es für die Klinik-IT wichtig sei, Versorgung und Forschung in einer IT-Architektur abzubilden. Dabei sollten internationale Interoperabilitäts-Standards genutzt werden wie beispielsweise IHE, das sich als Leitstandard für Versorgung und Forschung etabliert habe. Als mögliche Gefahr bezeichnete Bergh, dass aktuelle nationale Initiativen wie das eHealth Gesetz und die Nationale Initiative Medizininformatik zwischen den beteiligten Ministerien zu wenig abgestimmt würden.

Datennutzungs- und Zugangsregelungen in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung oder anderen großen Verbundforschungsprojekten sollten geklärt werden, bevor Daten vorhanden sind. Darauf wies Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann (Universitätsmedizin Greifswald) hin. Auch so sei eine Einigung über das Vorgehen schon schwierig genug. Der insbesondere von wissenschaftlichen Journals aktuell geforderten Transparenz könne man nicht dadurch entsprechen, dass man die Rohdaten frei ins Internet stelle. Stattdessen sollten die Daten bei einer Transferstelle hinterlegt werden, wo sie mit geregelten Verfahren für wissenschaftliche Überprüfungen und weitergehende Analysen weitergegeben werden könnten. Das Beispiel der Transferstelle des Forschungsverbundes Community Medicine in Greifswald zeige, dass das sehr gut funktionieren könne. So seien von 1997 bis 2014 insgesamt 1396 Anträge auf Nutzung von Daten und Bioproben bearbeitet worden. Daten aus der SHIP-Studie würden nicht nur in ganz Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland für wissenschaftliche Analysen genutzt.

Für den Datenaustausch innerhalb eines großen Forschungsverbundes ist im Deutschen Zentrum für Translationale Krebsforschung (DKTK) ein so genanntes „Brückenkopfmodell“ entwickelt worden. Dabei stehen, wie Martin Lablans (Universität Mainz) darstellte, die Brückenköpfe jeweils in den dezentralen Einrichtungen. Sie ermöglichen den DKTK-Forschern, ihre Suchkriterien zentral einzugeben und damit eine dezentrale Suche anzustoßen. Sollten passende Datensätze gefunden werden, so erhält die datenhaltende Einrichtung eine Nachricht und kann sich dann mit einem Kooperationsangebot an den potentiellen Datennutzer wenden. Sofern die Patienten einwilligen, kann ein Minimaldatensatz auch für eine zentrale Suchfunktion bereitgestellt werden.

Ioannis Pandis

Ioannis Pandis. © TMF e.V.

Prof. Dr. Björn Bergh

Prof. Dr. Björn Bergh. © TMF e.V.

Der Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann

Der Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann. © TMF e.V.

Martin Lablans

Martin Lablans. © TMF e.V.

Exkursionen

Das Clinical Research Center Hannover von außen

Clinical Research Center Hannover. © TMF e.V.

Ein Innenfoto des Clinical Research Centers Hannover

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Ein Innenfoto des Clinical Research Centers Hannover

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Eine Unterhaltung im Clinical Research Center Hannover

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Das Lehr- und Forschungsgut Ruthe von außen

Das Lehr- und Forschungsgut Ruthe. © TMF e.V.

Die Hühner des Lehr- und Forschungsguts Ruthe

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Die Molkerei des Lehr- und Forschungsguts Ruthe

Die Molkerei des Lehr- und Forschungsguts Ruthe. © TMF e.V.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Exkursion draußen auf dem Gut

© TMF e.V.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Exkursion draußen auf dem Gut

© TMF e.V.

Research Center for Emerging Infections and Zoonoses

Research Center for Emerging Infections and Zoonoses. © TMF e.V.

Teilnehmer und Teilnehmerinnen im Research Center for Emerging Infections and Zoonoses

Research Center for Emerging Infections and Zoonoses. © TMF e.V.

Teilnehmer und Teilnehmerinnen des TMF-Jahreskongress 2015 im Lehr- und Forschungsgut Ruthe

© TMF e.V.

Am Morgen vor dem offiziellen Start des Kongresses nutzten zahlreiche Teilnehmer die Möglichkeit, das Clinical Research Center (CRC) Hannover zu besichtigen; eine Einrichtung, die von der Medizinischen Hochschule Hannover, vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und vom Fraunhofer ITEM gemeinsam betreiben wird. Das Gebäude beherbergt unter andrem eine Betten-Station, auf der Probanden in Phase I und IIa-Studien überwacht werden können, die Hannover Unified Biobank sowie ein Untersuchungszentrum der Nationalen Kohorte. Das CRC wurde 2014 eröffnet.

Der Nachmittag des ersten Kongresstages war einem Besuch des Lehr- und Forschungsgutes Ruthe gewidmet. Neben der praktischen Ausbildung angehender Tierärzte können werden hier insbesondere auch kontrollierte Studien zur landwirtschaftlichen Tierhaltung durchgeführt.

Am zweiten Kongresstag bestand die Möglichkeit, das Research Center for Emerging Infections and Zoonoses zu besichtigen. Das aus Mitteln des Landes Niedersachsen gebaute Forschungszentrum bietet Forschergruppen für die Dauer ihres wissenschaftlichen Projektes Laborflächen und -ausstattung sowie Großtierställe des Sicherheitslevels 2 und 3. Ziel ist es multidisziplinäre Forschung im Sinne des "One Health-Ansatzes" zu fördern.

Podiumsdiskussion

Eine Podiumsdiskussion beim TMF-Jahreskongress 2015

TMF-Jahreskongress 2015 - Podiumsdiskussion. © TMF e.V.

Die Zuschauer der Podiumsdiskussion beim TMF-Jahreskongress 2015

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Die Speaker der Podiumsdiskussion beim TMF-Jahreskongress 2015

© TMF e.V.

Die Podiumsdiskussion beim TMF-Jahreskongress 2015

© TMF e.V.

Networking

Das Abendessen beim TMF-Jahreskongress 2015

TMF Jahreskongress 2015 - Abendessen. © TMF e.V.

Teilnehmer und Teilnehmerinnen des TMF-Jahreskongress 2015 im Gespräch

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Teilnehmer und Teilnehmerinnen des TMF-Jahreskongress 2015 bei der Anmeldung

TMF-Jahreskongress 2015 - Anmeldung. © TMF e.V.

Ein Gespräch während des TMF-Jahreskongresses 2015

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Ein Zweiergespräch beim TMF-Jahreskongress 2015

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Das Publikum des TMF-Jahreskongresses 2015 im Saal

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Sebastian Semler und zwei TMF-Vorstandsmitglieder beim TMF-Jahreskongress 2015

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Ein Ausschnitt des Flyers vom TMF-Jahreskongress 2015

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Der gut besuchte Saal beim TMF-Jahreskongress 2015

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