„Die Entwicklung geht von Top-down zu partizipatorischen Ansätzen“
Wiebke Lesch und Antje Schütt. © TMF e.V.
Wissenschaftskommunikation und auch die Forschung selbst werden zunehmend partizipatorisch, offen und interaktiv gestaltet. Vor diesem Hintergrund spielt das Stakeholder Engagement eine immer wichtigere Rolle. In der TMF-Schriftenreihe ist jetzt zu diesem Thema ein Sammelband erschienen, der Diskussionen und Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe Wissenschaftskommunikation der TMF bündelt und für ein breites Publikum zugänglich macht. Im Interview erklären die Herausgeberinnen Wiebke Lesch (German Biobank Node) und Antje Schütt (TMF), wie sich die Rolle der Wissenschaftskommunikatoren in den letzten Jahren verändert hat.
Im Vorwort des Buches schreiben Sie, dass Kommunikation und Stakeholder Engagement in der Gesundheitsforschung immer wichtiger werden. Warum?
Schütt: Dafür gibt es mehrere Gründe: Forschung wird immer vernetzter, und die Infra-strukturen werden immer größer. Das geht einher mit der entsprechenden IT-Vernetzung und mit der Zusammenführung von Daten, was mit Fragen zu Datenschutz und Datensicherheit sowie mit ethischen Problemen verknüpft ist. Die Lösungen, die man dazu entwickelt, müssen vermittelt werden.
Lesch: Durch die zunehmende Komplexität von Großforschungsprojekten sind immer mehr Berufs- und Gesellschaftsgruppen involviert: Der Erfolg dieser Vorhaben hängt daran, ob es gelingt, die Perspektiven aller Stakeholder zu integrieren. Dazu muss man diese Perspektiven systematisch und wissenschaftlich erfassen, also professionelles Stakeholder Management betreiben. Nur so lassen sich Projekte so reibungslos wie möglich gestalten.
Was waren Ihre Beweggründe, dieses Buch zu veröffentlichen?
Lesch: Wir engagieren uns beide seit vielen Jahren im Rahmen der TMF-Arbeitsgruppe Wissenschaftskommunikation, um das Thema in der medizinischen Forschung voranzubringen. In den letzten Jahren haben wir eine Reihe interessanter und inspirierender Workshops durchgeführt, die die ganze Bandbreite der Tätigkeit eines Wissenschaftskommunikators abdecken. Daraus ist dieses Buch entstanden.
Schütt: Es war uns ein Anliegen, die Diskussionen und Ergebnisse auch für Kolleginnen und Kollegen verfügbar zu machen, die nicht an den Veranstaltungen teilgenommen haben. Außerdem lag uns immer auch am Herzen, die Führungsebene zu adressieren und zu zeigen, dass die Themen Kommunikation und Stakeholder Engagement wichtig für den Erfolg der Projekte sind und dass sich die Aufgaben nicht von selbst erledigen. Man braucht dafür Expertise, die Arbeit muss professionell gemacht werden, und das bedeutet, dass dafür auch entsprechende Mittel bereitgestellt bzw. bei Förderprojekten mitbeantragt werden müssen.
Wie haben sich die Anforderungen an die Wissenschaftskommunikatoren über die Jahre entwickelt?
Schütt: Das Berufsfeld hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren sehr verändert, nicht zuletzt durch die Entwicklung der Kommunikationstechnologien. Um das Jahr 2000 herum erhielt die Wissenschaftskommunikation mit der PUSH-Initiative, dem „Public Understanding of Science and Humanity“, einen großen Schub. Es ging darum, dass die Wissenschaftler rausgehen aus ihrem sprichwörtlichen Elfenbeinturm und den Leuten erklären, was sie eigentlich machen. In diese Zeit fiel auch die Initiierung unserer Arbeitsgruppe, und zu Beginn haben wir genau solche Aktivitäten betrieben. Die Entwicklung ist aber weitergegangen, und irgendwann war klar, dass der Dialog mehr im Vordergrund stehen muss.
Lesch: Die Entwicklung geht von Top-down zu partizipatorischen Ansätzen oder „von Push zu Pull“, im Marketing heißt es „von Outbound zu Inbound“. Dafür gibt es viele Begriffe, aber im Wesentlichen bedeutet es, dass Kommunikation und auch Wissenschaft partizipatorisch, offen, proaktiv und interaktiv gestaltet werden müssen. Der Dialog mit den Zielgruppen steht im Vordergrund und nicht das Senden von Botschaften.
Schütt: Bis hin dazu − wenn man es ernst nimmt, und ich bin überzeugt, dass man das muss −, dass sich die Forschungsprojekte durch die Partizipation verändern. Und auch deshalb ist es eine Führungsaufgabe, weil die Forscher letztendlich bereit sein müssen, diese Anforderungen und Bedürfnisse anderer Partner einzuholen und sich darauf einzulassen, dass ein Forschungsprojekt hinterher anders aussieht, als wenn es von einer Gruppe von Forschern alleine gestaltet worden wäre.
Halten Sie es also für sinnvoll, in großen Forschungsinfrastrukturen einen Stakeholder Manager einzusetzen?
Schütt: Es gibt solche Entwicklungen. Beispielsweise wird so eine Rolle jetzt in der Biobankenszene eingerichtet. Ob das ein Stakeholder Manager ist oder ob sich die Kommunikation in diese Richtung entwickelt, ist vielleicht weniger entscheidend. Es ist auf jeden Fall so, dass man für dieses Thema mehr personelle Ressourcen braucht.
Lesch: Stakeholder Management ist ein Führungsthema. Genauso wie Kommunikation. Es muss wirklich strategisch angegangen werden. Das ist eine der Botschaften in unserem Buch.
Haben Sie den Eindruck, dass das Vertrauen der Stakeholder heute schwerer zu gewinnen ist als früher?
Lesch: Nehmen wir beispielsweise Patienten als Stakeholdergruppe. Studien und unsere eigenen Befragungen zeigen, dass sie nach wie vor eine hohe Bereitschaft haben, Forschung zu unterstützen. Es gibt aber einen gesellschaftlichen Trend hin zu einer wachsenden Sensibilität hinsichtlich der Themen Datenschutz und Recht an den eigenen Daten, was sich langsam auch in den Bereich Forschung hineinträgt. Mit dem Bedürfnis der Menschen, Herr über ihre eigenen Daten zu sein, muss sich die Forschung auseinandersetzen.
Schütt: Wir erleben in der gesellschaftlichen Debatte, dass Wissenschaft heute nicht mehr so selbstverständlich das Vertrauen der Bevölkerung genießt wie früher. Die medizinischen Forschungseinrichtungen sind gut beraten, sich auf einen möglicherweise weniger großen Vertrauensvorschuss vorzubereiten. Dieses Thema adressieren wir im November auch in einem Workshop.
Das Interview führte Inger Neick (Geschäftsstelle TMF e.V.).
Zu den Personen
Wiebke Lesch ist als Kommunikationsberaterin, Autorin und Referentin im Forschungs- und Klinikmarketing tätig und berät Forschungseinrichtungen, Krankenhäuser und Start-Ups im Gesundheitsbereich. In ihrer 15-jährigen Tätigkeit hat sie sich sowohl theoretisch als auch praktisch mit dem Thema Stakeholder Management auseinandergesetzt und entwickelt aktuell eine Stakeholder Engagement-Strategie für den German Biobank Node. Sie hat an der Universität der Künste Berlin, der University of the Arts London und der UC Berkeley Kommunikation und Marketing studiert.
Antje Schütt ist seit mehr als 15 Jahren als Kommunikationsexpertin in der Gesundheitsforschung tätig. Sie leitet den Bereich Kommunikation bei der TMF und war Gründungsmitglied der heutigen TMF-Arbeitsgruppe Wissenschaftskommunikation, die sie seit 2002 in verschiedenen Funktionen leitet. Sie war an der Konzeption einer Stakeholder Engagement-Strategie für den German Biobank Node beteiligt und entwickelt derzeit eine Kommunikations- und Engagement-Strategie für die Medizininformatik-Initiative. Sie hat einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund und steht aktuell kurz vor dem Abschluss eines Masters in Public Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine.
Zum Buch
Der Sammelband „Gesundheitsforschung kommunizieren, Stakeholder Engagement gestalten“ gibt Anregungen, wie erfolgreiche Kommunikation in der Gesundheitsforschung gestaltet werden kann, und ist ein Nachschlagewerk, das den Lesern Hilfestellung und Tipps für die eigene Arbeit gibt. Kommunikatoren, Wissenschaftler und Journalisten geben eine aktuelle Übersicht über die Themen, die für Kommunikationsverantwortliche, Wissenschaftler und Manager in biomedizinischen Forschungseinrichtungen relevant sind. Entstanden ist der Band aus den Sitzungen und Workshops der TMF-Arbeitsgruppe Wissenschaftskommunikation, in denen regelmäßig die neuesten Entwicklungen der Wissenschafts- und Organisationskommunikation in medizinischen Forschungseinrichtungen diskutiert werden.
Themen
- Grundlagen: Strategische Kommunikation, Stakeholder- und Markenkommunikation
- Wissenschaft und Medien: Wie arbeiten Journalisten? Warum soll Wissenschaft kommunizieren? Krisenkommunikation, Qualität von Pressemitteilungen, neue Publikationsformen
- Patientenkommunikation: Biobanken in der öffentlichen Wahrnehmung, Umgang mit statistischen Risiken in Patienteninformationen
- Organisationskommunikation: Werkzeuge der internen Kommunikation, Erwartungen von Wissenschaftlern an zentralisierte Biobanken, Fundraising
Autoren
M. Anhäuser, S. Bartling, B. Dernbach, M.A. Feufel, S. Friesike, S. Glasmacher, D. Hans, F.M. Hein, R. Jahns, W. Lesch, D. Nölleke, H.-P. Pohl, E. Schenke, A. Schütt, H. Wormer
Weiterführende Informationen