Wichtigstes Ziel ist eine klare Diagnose
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Für Patienten mit seltenen Erkrankungen kann sehr häufig keine präzise Diagnose gestellt werden, nicht zuletzt, weil Vergleichsdaten fehlen. Um hier Abhilfe zu schaffen, werden in verschiedenen Ländern seit einiger Zeit Datenbanken oder Register aufgebaut, in denen klinische und genomische Daten von Patienten mit nicht-diagnostizierten seltenen Erkrankungen gesammelt werden. In einem internationalen TMF-Workshop, der vom Sprecherrat der Forschungsverbünde für Seltene Erkrankungen initiiert worden war, diskutierten Forscher aus dem In- und Ausland am 21. November 2013 in Berlin, ob ein solches Register für Patienten mit nicht-diagnostizierten Erkrankungen auch in Deutschland aufgebaut werden sollte.
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Etwa 4 Millionen Deutsche leiden an einer seltenen Erkrankung. Die Diagnostik wird zwar immer leistungsfähiger, aber noch immer bleiben Patienten ohne eindeutige Diagnose, und dass, obwohl sie oft endlose Untersuchungen über sich ergehen lassen.
Im Ausland sieht die Situation oft nicht besser aus. Wie Cynthia Tifft von den National Institutes of Health (NIH, USA) beim Workshop erläuterte, liegt die Quote der Patienten, die trotz einer intensiven klinischen Evaluierung und Testung im Rahmen des NIH Undiagnosed Diseases Program nicht diagnostiziert werden können, aktuell bei 76 Prozent. Abhilfe schaffen soll ein neues Förderprojekt, das neben den NIH fünf bis sieben externe Expertise-Zentren in den USA einschließen wird. Die Daten aller angeschlossenen Organisationen sollen in einer zentralen Datenbank gesammelt werden, um eine bestmögliche Patientendiagnostik und Forschung zu ermöglichen.
Ähnliche Bestrebungen gibt es in der EU. Hier soll in den nächsten Jahren eine zentrale Plattform für die Registrierung von Seltenen Erkrankungen aufgebaut werden. Wie Jaroslaw Waligora von der Europäischen Kommission erläuterte, soll damit ein Zugang zu den EU-weit vorhandenen knapp 600 krankheitsspezifischen Registern zu Seltenen Erkrankungen geschaffen und die Interoperabilität dieser Register untereinander erhöht werden.
Interoperabilität als Grundvoraussetzung
Der Workshop machte erneut deutlich, wie wichtig Interoperabilität zwischen IT-Systemen und Datenbanken für die Forschung sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ist. Um die nötigen Patientenzahlen in einem solchen Register zu erreichen, so der Konsens, müsse man sich in Deutschland auf einen Grunddatensatz einigen, der auch zu den auf europäischer Ebene gebräuchlichen Datensätzen (Data Sets) kompatibel ist. Vorhandene Systeme müssten genutzt und interoperabel gemacht werden. Im Vorfeld müsste außerdem festgelegt werden wie, wo und von wem die Daten einzugeben sind. Eine zusätzliche Belastung der Ärzte durch mehrfache Datenerfassung müsse unbedingt vermieden werden.
Die einheitliche Beschreibung von Krankheitsausprägungen, sogenannten „Phänotypen“, ist ein wichtiger Baustein für die Interoperabilität von Datenbanken und die Vergleichbarkeit von Daten. Dies zeigte Peter Robinson vom Institute for Medical Genetics der Charité-Berlin in seinem Beitrag über die Human Phenotype Ontology (HPO). Auf Basis dieser Ontologie können Ähnlichkeiten mathematisch miteinander verknüpft und dadurch aufgefunden werden.
Ärzte müssen stärker geschult werden
Doch helfen alle Standardisierungen nicht, wenn die Ärzte die Daten nicht in der entsprechenden Form und in ausreichender Qualität erfassen. Daran erinnerte Carsten-Oliver Schmidt von der Universität Greifswald in seinem Vortrag über die SHIP-Studie. Um das große Problem von falschen Diagnosen zu vermeiden, müssten Ärzte stärker für diese Thematik sensibilisiert und geschult werden.
Neben einer unzureichenden oder falschen Kodierung, die ein häufiger Grund für Falschdiagnosen sind, betrifft dies auch die mit der Dokumentation verbundenen IT-Fragen. Zusätzlich seien regelmäßige Qualitätskontrollen der Daten nötig, denn auch falsche Diagnosen aufgrund unzuverlässiger Daten sind, wie der Workshop zeigte, ein nicht unerhebliches Problem.
Vorbilder für das Deutsche Register
Auch europäische Projekte wurden als mögliche Vorbilder für ein Deutsches Register vorgestellt. So berichtete Wendy van Zelst-Stams über die bisherigen Aktivitäten des Radboud University Medical Center in Nijmegen im Bereich der klinischen Genetik bei unklaren Diagnosen und den kürzlich in den Niederlanden vorgestellten nationalen Plan zu Seltenen Erkrankungen, der auf frühe Diagnosen und die Benennung von 'centres of expertise' fokussiert.
Das französische Gesundheitsministerium finanziert das French National Data Repository, das Ségolène Aymé vom French Institute of Health and Medical Research (INSERM) vorstellte. Dort speisen 103 medizinische Spezialzentren, verschiedene nationale Kohorten zu seltenen Erkrankungen, Krankheitsregister und Gesundheitsverzeichnisse ihre Daten ein. Für Forschungsprojekte sind diese Daten zugänglich. Ganz wichtig für den Erfolg eines solchen Registers ist es nach Auffassung von Ségolène Aymé, pragmatisch vorzugehen und dicht an der klinischen Realität zu bleiben. Ärzte dürften nicht mit zusätzlicher Datenerfassung belastet werden.
Die Beispiele aus den USA, Frankreich und den Niederlanden machten deutlich, dass die alleinige Datenerhebung nicht ausreicht, damit ein Register für Patienten mit nicht-diagnostizierten seltenen Erkrankungen seinen Nutzen entfalten kann. Es muss auch über Folgeprojekte wie den Vergleich von Phänotypen oder weiterführende Gendiagnostik nachgedacht werden.
Ein Werkzeug für Forschung und Versorgung
„Das wichtigste Ziel ist, dass alle Patienten, die diagnostiziert werden könnten, auch eine Diagnose bekommen!“, resümierte Aymé in der abschließenden Podiumsdiskussion. Dafür müssten alle verfügbaren Daten in das Data Repository eingetragen werden. Außerdem benötige man Standardisierung und eine Anbindung an Spezialzentren, die die Daten in hoher Qualität erheben. Eine wichtige Frage im Interesse eines nachhaltigen Betriebes sei auch, bei welcher Organisation das Register aufgesetzt werden könne.
Prof. Dr. Maggie Walter vom Friedrich-Baur-Institut, Klinik der Universität München, ergänzte in ihrem Abschluss-Statement, dass zunächst das Ziel des Nationalen Registers definiert werden müsse. Primär ginge es dabei um das Identifizieren von Patienten(gruppen) oder das Auffinden (neuer) Diagnosen. Das Register könnte in diesem Sinne einen Nutzen sowohl für die Versorgung als auch für die Forschung entwickeln.
Impressionen
Cynthia Tifft (NIH) stellte das NIH Undiagnosed Diseases Program und ein weiteres Förderprojekt des NIH vor, dass die Diagnostik für Patienten mit seltenen Erkrankungen in den USA weiter verbessern soll. © TMF e.V.
Panel-Diskussion am Nachmittag mit Cynthia Tifft, Jaroslaw Waligora, Ségolène Aymé, Wendy van Zelst-Stams, Peter Robinson, Jawahar Swaminathan, Jörg Richstein (ACHSE). Moderation: Cornelia Zeidler (links) © TMF e.V.
Vortragsfolien und Programm zum Download
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Programmflyer zum Workshop | 1.71 MB |
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Jaroslaw Waligora (EU-Kommission): The European Plattform for Rare Diseases | 1.59 MB |
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Wendy van Zelst-Stams: The Undiagnosed Diseases Program of the Netherlands | 912.45 KB |
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Jawahar Swaninathan: Decipher | 3.88 MB |
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Carsten-Oliver Schmidt (Universität Greifswald): Study of Health in Pomerania | 2.21 MB |
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Thomas O.F. Wagner: Results | 137.31 KB |
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Cornelia Zeidler: Introduction | 177.15 KB |