„Man muss viel mehr international arbeiten“
Prof. Dr. Christian Ohmann ist promovierter Mathematiker, habilitiert im Fach "Theoretische Chirurgie" und außerplanmäßiger Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. © TMF e.V.
November 2012. Im Rahmen des im März 2012 gestarteten Projektes BioMedBridges sollen Forschungsinfrastrukturen der Lebenswissenschaften EU-weit miteinander verbunden werden. Prof. Ohmann leitet in diesem Projekt ein Arbeitspaket, an dem auch die TMF beteiligt ist. Die vom Datenschutz geforderte Zweckbestimmung von Forschungsdaten ist nur eines der Probleme, die in BioMedBridges zu lösen sind, da hier Forschungsdaten aus heterogenen Quellen und verschiedenen Ländern zusammengeführt werden sollen. Die Verstetigung von EU-finanzierten Infrastrukturen ist politisch gewollt, wird aber durch die Finanzkrise erschwert.
Im Juli gab der Wissenschaftsrat Empfehlungen für die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Infrastrukturen in Deutschland heraus. Welches sind aktuell die übergreifenden Herausforderungen?
In unterschiedlichen Bereichen der Forschung sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten große Datenmengen entstanden und entstehen weiterhin. Beispielsweise in den Lebenswissenschaften gibt es Daten aus der Grundlagenforschung, der translationalen Forschung, der klinischen Forschung und der klinischen Versorgung. In diesem sehr heterogenen Feld existieren extrem unterschiedliche Standards, Ziele, Regelungen, Prozesse, Akteure und Rollen, Ontologien Klassifikationen und Terminologien.
Um die anstehenden Fragen in den Lebenswissenschaften adäquat bearbeiten zu können müssen wir Daten aus solch unterschiedlichen Quellen in einem konsistent geplanten und umgesetzten Gesamtkonzept zusammenführen. Wichtig sind dabei Stabilität und Nachhaltigkeit ebenso wie Zugänglichkeit und Offenheit von Datensammlungen.
Sie sind in leitender Funktion am Work Package 5 des BioMedBridges-Projektes beteiligt, das im März 2012 gestartet ist. Worum geht es bei BioMedBridges und speziell in Ihrem Workpackage?
BioMedBridges ist ein übergreifendes, EU-gefördertes Projekt, das Interoperabilität zwischen den verschiedenen Datenquellen und Services auf EU-Ebene realisieren soll. An BioMedBridges sind alle ESFRI-geförderten Lifescience-Infrastrukturen als Partner beteiligt, dadurch hat es eine herausragende Rolle. WP5 beschäftigt sich mit legalen, datenschutzrechtlichen, ethischen und Sicherheitsaspekten. Das ist angesichts der Unterschiedlichkeit der Datenquellen in den Lebenswissenschaften ein anspruchsvolles Thema.
Forschungsdaten entstehen hier beispielsweise in der Strukturbiologie, in der Forschung an Mäusen aber auch in der Versorgung von Patienten. Entsprechend unterschiedlich geregelt ist der Umgang mit diesen Daten. Will man sie zusammenführen, bedarf es eines fundierten Konzeptes, auf dessen Basis man Sicherheitsmechanismen entwickeln und implementieren kann, die gewährleisten, dass die zwischen den Infrastrukturen entwickelten Brücken den rechtlichen und sonstigen Vorgaben entsprechen. Policies, User Agreements, Authentifizierungen und Autorisierungen müssen geschaffen und adäquat implementiert werden. Die TMF spielt dabei eine wichtige Rolle.
Inwiefern? Welchen Beitrag erwarten Sie von der TMF im BioMedBridges Projekt?
Die TMF hat sich sehr stark entwickelt und positioniert auf dem Gebiet des Datenschutzes, des sicheren Zugangs zu Daten, der ethischen und legalen Anforderungen etc. All diese Themen sind von der TMF vorbildlich für die Bundesrepublik bearbeitet worden. Daraus sind richtungsweisende Instrumente, Bücher und Papiere entstanden, die mittlerweile breit angewendet werden. Zur großen Expertise der TMF kommt hinzu, dass sie auch in vielen wichtigen Standardisierungsorganisationen vertreten ist, wie HL7, CDISC, der LOINC User Group, etc. So hat die TMF auch eine sehr gute Anbindung an die internationalen Aktivitäten.
Für welche konkreten Anwendungsfälle sollen in BioMedBridges Lösungen geschaffen werden?
Der wichtigste Use Case ist die Personalisierte Medizin. Mit dem Ziel die Pathogenese von Krankheiten aufzuklären, verbesserte Therapiemöglichkeiten zu entwickeln und Biomarker zu finden, wollen unterschiedliche Infrastrukturen wie ELIXIR, BBMRI, EATRIS und ECRIN zusammenarbeiten, um komplexe Daten aus unterschiedlichen Quellen zu integrieren.
Damit will man beispielsweise Methoden entwickeln, mit denen man feststellen kann, ob und wie Medikamente bei bestimmten Patienten wirken werden. Eines Tages sollen Therapien optimal auf den einzelnen Patienten abgestimmt sein.
Welche technischen, rechtlichen und ethischen Schwierigkeiten gibt es dabei, gemeinsame Infrastrukturen für die durch unterschiedliche ESFRI-Projekte repräsentierten Forschungsbereiche in den Lebenswissenschaften aufzubauen und zu betreiben?
Die Schwierigkeit liegt unter anderem in der ursprünglichen Zweckbestimmung vorhandener Daten. Will man sie in neuen Projekten zusammenführen, muss man zunächst die rechtliche Zulässigkeit klären. Wie kann man beispielsweise Daten aus einer elektronischen Krankenakte in eine Forschungsdatenbank bringen, sie mit Bilddaten oder Daten aus Biobanken verbinden und zugleich die Datenschutz- und andere Gesetze einhalten? Schließlich wurden die Daten in einer elektronischen Krankenakte für die Versorgung erhoben und nicht für die Forschung. Die Frage ist, wie wir Daten aus der Versorgung in die Forschung bringen können, aber auch Forschungsergebnisse wieder zurück zum Patienten.
Müssen dafür Gesetze geändert werden?
Ja natürlich. Im Moment wird gerade an Änderungen der EU-Datenschutzdirektive (Directive 95/46/EC) gearbeitet. Es gibt viele Hindernisse für die Zusammenführung und Verarbeitung von Daten aus unterschiedlichen Quellen in der Forschung. Der Datenschutz muss mit der Forschung jedoch aus meiner Sicht ausbalanciert werden. Schließlich geht es der Forschung darum, für die Zukunft bessere Therapien zu entwickeln.
Welche Auswirkungen wird ESFRI haben, insbesondere in Hinblick auf den Betrieb von Infrastrukturen in Deutschland?
Das kann man so im Moment noch nicht sagen. Die ESFRI-Infrastrukturen sind ja primär als EU-Projekte gefördert. Jetzt sollen die Projektergebnisse mittels des neuen Instruments ECRIN ERIC in dauerhafte Infrastrukturen überführt werden. Das Ziel von ECRIN ERIC ist es, Services für multinationale klinische Studien im akademischen Sektor aufzubauen. Die gesetzliche Grundlage dafür wird derzeit geschaffen – wir gehen davon aus, dass sie innerhalb der nächsten drei Monate zur Verfügung stehen wird. Daraus werden die eigentlichen ESFRI-Infrastrukturen entstehen, finanziert von den Mitgliedsländern.
Ich glaube, dass man viele komplexe Fragen und Probleme in der Forschung nicht mehr national lösen kann – man muss viel mehr international arbeiten. Nationale Projekte sind gut, wenn man damit Dinge auf den Weg bringt. Aber dann muss es konzertierte Aktionen geben. Die ESFRI-Infrastrukturen werden Schrittmacher sein, Standards vorgeben und Empfehlungen erarbeiten, an denen sich die nationalen Initiativen dann ausrichten. Sie werden so etwas wie Leuchttürme sein, die die strategische Funktion haben, dieses Feld zu harmonisieren und zu standardisieren.
Die nationalen Aktivitäten, derer es auch bedarf – ich denke da beispielsweise an die sehr wichtigen Biobankenaktivitäten der TMF – müssen mit den ESFRI-Infrastrukturen koordiniert werden. Am Ende stellt sich natürlich die Frage, ob in die ESFRI Infrastrukturen genügend Geld gesteckt wird, damit sie auch funktionstüchtig werden. Auf Sparflamme betrieben, wird ihr Effekt gering sein.
Merkt man da schon etwas von der Finanzkrise?
Ja sicher. Ich weiß von Ländern in der EU, für die selbst 50.000 € manchmal schon zu viel sind, um an den neuen EU-Infrastrukturen zu partizipieren. Diese Länder bleiben dann erstmal draußen, obwohl es natürlich keinen Sinn macht, am Ende europäische Infrastrukturen zu haben, in denen die wichtigsten Länder fehlen. Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien können zwar ihren Beitrag beispielsweise für ECRIN leisten aber nicht den überwiegenden Teil übernehmen und für die anderen Länder kompensieren.
Je weniger beitragzahlende Länder es gibt, desto geringer fallen die Budgets der europäischen Forschungsinfrastrukturen aus – und desto weniger kann man bei komplexen Fragestellungen auch erreichen. Trotzdem: Es muss jetzt losgehen. Wenn die wichtigsten Infrastrukturen erst einmal etabliert sind, wird man Schritt für Schritt den Nutzen sehen und auch die finanzschwächeren Länder werden sich anschließen.
Herr Professor Ohmann, wir danken für das Gespräch.
Prof. Dr. Christian Ohmann ist promovierter Mathematiker, habilitiert im Fach "Theoretische Chirurgie" und außerplanmäßiger Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 1999 ist er Wissenschaftlicher Leiter des Koordinierungszentrums für klinische Studien am Universitätsklinikum Düsseldorf.
Das Interview führte Beate Achilles. Es erscheint auch in der Zeitschrift E-Health-COM 6 | 2012.
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