Konsens über Methodik und Messindikatoren für die Evaluation von Telemedizin gefordert
Die Vorträge stießen auf großes Publikumsinteresse. © TMF e.V.
Die Evaluation von Telemedizinprojekten und telemedizinischen Services ist nach wie vor eine methodische Herausforderung. Medizinische Evidenz, ökonomischer Nutzen und technologisch-organisatorische Nachhaltigkeit sind schwierig zu belegen. Im Rahmen der eHealth-Conference 2014 in Hamburg haben die TELEMED-Partner (TMF, BVMI, DGG) in Kooperation mit der GVG am 17. Juni 2014 das Thema in einem Workshop aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet – aus ärztlicher und technologischer Sicht sowie vom Standpunkt der Kostenträger aus –, um einem begründeten und medizinisch sicheren Einsatz von Telemedizin zum Wohle der Patienten näher zu kommen.
Noch immer schaffen es viele telemedizinische Projekte nicht, über die Dauer der Projektförderung hinauszukommen und integraler Bestandteil der Regelversorgung zu werden. Die während der Projektlaufzeit erzielten (Evaluations-)Ergebnisse bieten häufig keine ausreichende Entscheidungsgrundlage für Kostenträger, auf der sie telemedizinische Leistungen in flächendeckende Versorgungsverträge überführen könnten. Um die Evidenzlage für telemedizinische Services zu verbessern, hat die eHealth‐Initiative im Jahr 2012 unter Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit einen Kriterienkatalog vorgelegt, der als Orientierungshilfe für die Planung, Durchführung und Evaluation telemedizinischer Projekte dienen soll.
Versorgungsziele sind klar zu benennen
Nach Aussage von Dr. Johannes Schenkel (Bundesärztekammer) besteht unter den Trägern der e-Health Initiative Konsens darüber, dass bei der Evaluation telemedizinischer Services Versorgungsziele klar zu benennen seien. Zudem sollte die Evaluation Wirtschaftlichkeitsaspekte sowie Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität betrachten. Art und Umfang der notwendigen Evaluation von telemedizinischen Services könnten jedoch deutlich variieren.
Die besondere methodische Herausforderung bei der Evaluation von telemedizinischer Patientenversorgung sei der Tatsache geschuldet, dass diese häufig eine Multilevel-Intervention darstelle. Eine Evaluation der Einzelkomponenten telemedizinischer Versorgung sei zwar wünschenswert, aber zeitaufwändig, kostenintensiv und daher häufig nicht realisierbar.
Bisher fehlt ein Konsens über methodischen Standard
Prof. Dr. Björn Bergh (Zentrum für Informations- und Medizintechnik, Universitätsklinikum Heidelberg) berichtete anhand der Studie zur Gesundheitstelematik in Baden-Württemberg, dass es sehr unterschiedlich sei, was im Rahmen der Evaluation von Telemedizinprojekten gemessen werde. Die Studie hatte per Online-Fragebogen versucht, Informationen zu möglichst allen Telemedizinprojekten in der Region zu erfassen.
Auch international gebe es diverse Methodenansätze, jedoch keinen Konsens über einen anzulegenden methodischen Standard. Die Ergebnisse der Studie zur Gesundheitstelematik in Baden-Württemberg gäben deutliche Hinweise darauf, dass Telemedizinprojekte, die übergreifende Infrastrukturen aufgebaut haben und internationale technische Standards nutzen, eine höhere Nachhaltigkeit zeigen, so Bergh.
Gregor Drogies erklärte, dass für die Krankenkasse der Mehrwert telemedizischer Forschung für die Versicherten wichtig sei. © TMF e.V.
Der Mehrwert für die Versicherten muss deutlich werden
Auf die Perspektive kommt es an – dies zeigte eindrücklich der Vortrag von Gregor Drogies (DAK Gesundheit). Für die Krankenkasse sei es wichtig, dass telemedizinische Versorgung einen echten Mehrwert für die Versicherten darstelle. Die Evaluation müsse zeigen, welchen zusätzlichen Nutzen und welches für die Krankenkasse relevante Einsparpotenzial Telemedizin im Vergleich zur Regelversorgung biete.
So sei beispielsweise die Verringerung von Krankenhaustagen zwar ein für den Patienten relevantes Ziel, habe jedoch keine Auswirkungen auf die bei der Krankenkasse anfallenden Kosten, da die DRG-Fallpauschale mit der Krankenhausaufnahme des Patienten anfalle und eine Art „Behandlungs-Flatrate“ darstelle. Die Verkürzung der Krankenhaustage biete allenfalls für das Krankenhaus finanzielle Vorteile. Dieses Beispiel macht auch deutlich, dass Einsparungen durch den Einsatz von Telemedizin nicht immer dort wirksam werden, wo die Kosten entstehen. Für eine Krankenkasse sei es zudem wichtig, dass die Evaluationsergebnisse zu einem Modellprojekt zeitnah vorliegen, um eine Entscheidungsgrundlage dafür zu bieten, ob ein Projekt im Rahmen eines Versorgungsvertrages fortgeführt und überregional angeboten werden kann.
Prof. Dr. Hajo Hamer bestätigte, dass Einsparungen nicht immer dort möglich sind, wo Kosten entstehen. © TMF e.V.
Einsparungen nicht immer dort, wo Kosten entstehen
Prof. Dr. Hajo Hamer (Universitätsklinikum Erlangen, Sprecher des Epilepsiezentrums der Neurologischen Klinik Erlangen) bestätigte in seinem Vortrag, dass Einsparungen nicht immer dort möglich sind, wo die Kosten entstehen. So gehe die Epilepsie mit sehr hohen indirekten Kosten einher, beispielsweise wegen Berufsunfähigkeit und vorzeitiger Berentung, die nicht bei den Krankenkassen anfielen. Das zeitnahe Erkennen und Behandeln von Epilepsie habe entscheidenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Telemedizin biete dem Patienten die Möglichkeit, die Expertise eines Epilepsiezentrums überregional zu nutzen. Bei der Evaluation bestehe vor allem die Schwierigkeit, verhinderte Ereignisse – wie beispielsweise die Verhinderung von Tod – monetär zu bemessen.
Kriterienkatalog der eHealth-Initiative ist ein erster wichtiger Schritt
Die Diskussion zu den Vorträgen im gut besuchten, von Sebastian C. Semler (TMF) moderierten Workshop zeigte, dass ein Bottom-up-Konsensbildungsprozess aller Interessengruppen im Gesundheitswesen notwendig ist, um zu klären, welche Methodik und welche Messindikatoren für die Evaluation von Telemedizin herangezogen werden sollen und dann auch von allen Akteuren akzeptiert werden.
Ein erster wichtiger Schritt wurde mit der Entwicklung eines Kriterienkatalogs der eHealth-Initiative für die Planung, Durchführung und Evaluation telemedizinischer Projekte bereits gegangen. Es bedarf jedoch einer Weiterentwicklung, die Hilfestellung bei der Operationalisierung der Anforderungen im Papier der eHealth-Initiative in der Praxis bietet. Unterbelichtet erscheinen bislang insbesondere Kriterien zur Messung der dritten Zielgröße des Kataloges, neben dem medizinischen Nutzen und einer wirtschaftlicheren Versorgung – der Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung in der Fläche. Diese Anregungen wurden als Ergebnis des Workshops dem Plenum der eHealth Conference 2014 berichtet. Auf der diesjährigen TELEMED – im Oktober 2014 – wird die Diskussion zu Evaluationskriterien fortgesetzt.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sprach zur Eröffnung der eHealth Conference 2014. © TMF e.V.
eHealth Conference 2014: Erwartungen der Patienten einbeziehen
Die diesjährige eHealth Conference am 17. und 18. Juni 2014 stand unter dem Motto „Menschen, Metropolen, Möglichkeiten – bessere Versorgung durch eHealth“. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe eröffnete die Konferenz gemeinsam mit Cornelia Prüfer-Storcks (Gesundheitssenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg und Dr. Joachim Breuer (Vorsitzender der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V., GVG) für die Veranstalter sowie mit Erik Svedman (Botschafter des Königreichs Norwegen), da Norwegen Partnerland der eHealth Conference 2014 war. Mit Hamburg ist wiederum das Bundesland mit dem aktuellen Vorsitz in der Gesundheitsministerkonferenz Gastgeber der alle zwei Jahre stattfindenden Konferenz.
Ein wesentliches Ziel der Konferenz 2014 war es, verstärkt die Erwartungen von Patientinnen und Patienten an eHealth-unterstützte Versorgungsprozesse einzubeziehen und Möglichkeiten der Versorgung durch Metropolen für ländliche Regionen auszuloten.
TMF-Geschäftsführer Sebastian C. Semler stellte die Workshop-Ergebnisse im Plenum vor. © TMF e.V.
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Gregor Drogies - Anforderungen der Krankenkassen an die Telemedizinprojekt Evaluation | 239.75 KB |
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Prof. Dr. Hajo Hamer - Netzwerk Telemedizin Epilepsie in Bayern | 1.02 MB |
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