Interview

„Die Vereins­struktur hat sich als sehr erfolg­reich er­wiesen“

15 Jahre TMF, 10 Jahre e.V. – Zum Vereinsjubiläum der TMF zieht Geschäftsführer Sebastian C. Semler Bilanz.

Portraitbild Semler 2014

© TMF e.V.

Zeitgleich mit den Kompetenznetzen der Medizin, den Koordinierungszentren für klinische Studien und dem Nationalen Genomforschungsnetz wurde 1999 die TMF gegründet, damals  zunächst direkt gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Ende 2003 wurde die TMF als Verein verselbständigt. Sebastian C. Semler erläutert im Interview, warum diese Organisationsform für die Bereitschaft der Forscher zur Zusammenarbeit unter dem Dach der TMF wichtig ist und warum der demografische Wandel die TMF auch in Zukunft unverzichtbar machen wird.

Herr Semler, was versprach man sich 2003/2004 von der Umwandlung der TMF in einen Verein?

Im Frühjahr 1999 ist die TMF als klassisches Querschnittsprojekt vom BMBF ins Leben geworden, angesiedelt bei einem Forschungsinstitut, dem Fraunhofer ISST, als Fördernehmer, und wie jedes Projekt mit einem Anfangs- und Enddatum versehen. Schon bald nach der Gründung der TMF zeigte sich jedoch, dass die Begleitung medizinischer Forschungsprojekte eine dauerhafte Aufgabe ist. Eine zeitlich begrenzte Projektförderung ist für die Entwicklung und laufende Anpassung von Datenschutzkonzepten und IT-Werkzeugen ebenso ungeeignet wie für die Unterstützung in rechtlichen und organisatorischen Fragen.

Deshalb und um die Steuerung der TMF in die Hände und Verantwortung der Wissenschaftler selbst zu legen, erfolgte 2004 durch das BMBF, den Projektträger im DLR und den Koordinierungsrat des TMF-Projekts die Umwandlung in einen Verein: Im August 2003 vollzog sich auf einer Gründungsversammlung im BMBF in Bonn die Gründungserklärung durch 13 Kompetenznetze und ein Infektionsforschungsnetz, ebenso die Unterzeichnung der Satzung, die in ihren Grundzügen bis heute Gültigkeit hat. Im November 2003 fand die erste Mitgliederversammlung statt, auf welcher der erste Vorstand gewählt und eine Geschäftsführung bestellt wurde; zum 1.1.2004 wurde eine Geschäftsstelle in Berlin eingerichtet. Die Rechte und Ergebnisse der TMF wurden in der Folgezeit vom vorherigen Projektnehmer auf den neu gegründeten e.V. übertragen, und mit der Wirksamkeit der Eintragung im Berliner Vereinsregister im Oktober 2004 wurde die Phase der Vereinsgründung abgeschlossen.
  

Welche Vorteile bietet der Verein für die wissenschaftliche Zusammenarbeit? Waren die Wissenschaftler unter dem Vereinsdach eher bereit, mit anderen Forschern zu kooperieren?

Die Vereinsstruktur ermöglicht es allen beteiligten Wissenschaftlern, ihre Probleme einzubringen und gemeinsam auf einer neutralen Plattform – jenseits der zwischen den Forschungseinrichtungen natürlich bestehenden Konkurrenzen – Lösungen und Werkzeuge für infrastrukturelle Herausforderungen ihrer Forschung zu erarbeiten. Entscheidend ist dabei, dass die Wissenschaftler die Fragen in Eigenregie lösen. Mit ihrem „Bottom up“-Ansatz hat sich die Vereinsstruktur der TMF als sehr erfolgreich erwiesen. 
 

Nicht nur die Vereinsgründung liegt 2014 zehn Jahre zurück, auch Sie persönlich feiern dieses Jahr Ihr Zehnjähriges als Geschäftsführer der TMF. Mit welchen Zielen sind Sie damals angetreten?

Ich kam Anfang 2004 aus der Industrie, mit Erfahrungen in der ehrenamtlichen Verbandsarbeit im Industrieverband der Softwareanbieter im Gesundheitswesen. Meine Aufgabe war es, gemeinsam mit dem Vorstand die Strukturen der TMF zu professionalisieren, eine schlagkräftige Geschäftsstelle aufzubauen, die technischen Projekte mit Schwung voranzubringen und nutzbare Produkte zu erzeugen. Die TMF sollte als eine zentrale Institution der medizinischen Forschung etabliert werden. Vieles davon ist gelungen.

Interessanterweise stehen mittlerweile weniger die technischen Projekte als vielmehr die rechtliche und organisatorische Beratung im Vordergrund. Bis heute hat sich das Aufgabenfeld der TMF stark verbreitert. Von der molekularen Medizin und Biobanken über die Infektions- und Zoonosenforschung bis hin zur Versorgungsforschung sind Themen hinzugekommen, an die 2004 teilweise noch gar nicht zu denken war. Diese Weiterentwicklungen mit immer neuen Aufgaben machen die TMF so spannend.
  

Wie sehen die Herausforderungen in den Forschungs­einrichtungen heute aus?

Angesichts zunehmender Finanzierungsnot vor allem der universitären Standorte wird es immer wichtiger, die vielen Inseln von Daten- und Forschungsressourcen in einer übergreifenden Forschungsinfrastruktur zusammenzuführen. Aufgrund der demografischen Entwicklung werden Forschungsetats auf absehbare Zeit wieder sinken und die Zahl der Köpfe in der Forschung wird abnehmen. Gerade deshalb ist die Aufgabe der TMF, Doppelentwicklungen zu vermeiden und die Nachnutzbarkeit und Effizienz der Forschungsinfrastruktur zu sichern, so wichtig.
 

Wie kann die TMF die Bundesregierung darin unterstützen, eine Strategie für den digitalen Wandel zu entwickeln, wie sie es im Koalitionsvertrag vorgesehen hat?

Der digitale Wandel ist unaufhaltsam und auch wünschenswert. Um diesen Wandel vorzubereiten und zu begleiten, ist die TMF 1999 gegründet worden. Digitales Arbeiten kann viel zu effizienteren Arbeitsabläufen und zur Entbürokratisierung beitragen, und die Forschung sollte in diesem Bereich innovativ sein und vorausgehen. Es ist jedoch ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, das digitale Arbeiten für den Bürger oder Patienten datenschutzkonform, ethisch korrekt und sicher zu gestalten. Gerade hier ist die TMF berufen, ihre langjährige Erfahrung in den politischen Diskurs und die Gestaltung von Rahmenbedingungen einzubringen.

Konkret können wir hierbei an wichtige Resultate der bisherigen Arbeit anknüpfen. Als erstes Beispiel sind die Generischen Datenschutzkonzepte zu nennen, die dieser Tage in einer aktualisierten Revisionsfassung verabschiedet wurden. Die Herangehensweise, die datenschutzrechtlichen Anforderungen und ihre technisch-organisatorische Umsetzung im Forschungsalltag bundesweit im Dialog mit den zuständigen Behörden verlässlich abzustimmen, hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. So werden Forschungsvorhaben beschleunigt und ermöglicht, zugleich Patientendaten geschützt und das Vertrauen in die medizinische Forschung gestärkt. Weiterhin sind die Aktivitäten zur internationalen Standardisierung von medizinischen Daten und Systemschnittstellen zunehmend relevant, um Interoperabilität und einen wirtschaftlichen Betrieb von IT-Systemen zu schaffen. Auch das kontinuierliche Monitoring der IT-Infrastrukturen in der medizinischen Forschung durch das IT-Reviewing Board der TMF ist ein wesentlicher Beitrag, auf dem auch der geplante Rat für Informations­infrastrukturen aufbauen kann.
  

Warum braucht die medizinische Forschung auch in zehn Jahren noch die TMF?

Die TMF hat sich als Erfolgsmodell erwiesen. Die Forscher in der Mitgliedschaft sind durch die TMF in der Lage, sich zu neuen Herausforderungen schnell und mit professioneller Begleitung zusammenzufinden, gemeinsam ihre Interessen zu vertreten und Lösungen zu erarbeiten. Denken Sie an das schnelle gemeinsame Handeln der Wissenschaftler in den Arbeitsgruppen und Gremien der TMF nach der Novellierung des Arzneimittel­gesetzes 2004 und oder des Medizinprodukte­gesetzes 2010. Binnen kurzer Zeit erstellten sie gemeinsam Konzepte, um die neuen Regularien im Alltag der medizinischen Forschung umzusetzen. Denken Sie auch – um ein weiteres Beispiel zu nennen – an die sehr gründliche Auseinandersetzung und den Dialog der Wissenschaftler in der TMF mit dem Deutschen Ethikrat anlässlich der Überlegungen im Parlament zu gesetzlichen Regelungen für Biobanken. Der demokratisch zwischen den Experten konsentierte Beitrag der TMF zur Debatte wurde im Forschungsausschuss des Parlaments explizit erwähnt und als hilfreich bewertet.

Die TMF wird sich weiterhin verändern und wandeln, um neue Forschungsinstitutionen, andere Forschungsfelder und neue thematische Herausforderungen bedienen zu können. Das Grundprinzip des wissenschaftlichen „Enablings“ und der „Hilfe zur Selbsthilfe“ durch Bündelung der Kräfte wird jedoch erhalten bleiben. Medizinische Forschung findet schon heute überwiegend in vernetzten und interdisziplinären Strukturen statt. Dieser Trend wird sich weiter verstärken, sodass eine Plattform wie die TMF in zehn Jahren sogar noch wichtiger sein wird, als sie es heute schon ist.  

 

Herr Semler, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Beate Achilles.