"Wir wollen Hilfsmittel erarbeiten, die die Qualität und Sicherheit der medizintechnischen Forschung unterstützen"
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"Zielsetzung der initialisierten Arbeitsgruppe soll sein, die Erfahrungen der TMF und ihrer Mitglieder in Bezug auf die Vernetzung klinischer Studien zu nutzen und gemeinsam Verbundstrukturen und sinnvolle Hilfsmittel zu erarbeiten, die die Qualität und die Sicherheit der medizintechnischen Forschung unterstützen."
Wer heute technikgestützte Diagnostik- und Therapieverfahren entwickelt, sieht sich komplexen und komplizierten Anforderungen aus dem Medizinproduktegesetz (MPG) gegenüber. Dies betrifft neuerdings vor allem auch die spezifischen Bedingungen klinischer Studien zum Nachweis des medizinischen Nutzens von Medizinprodukten. In der TMF ist Anfang 2008 eine Arbeitsgruppe „Medizintechnik“ gestartet, deren Ziel es ist, die Konformität und Qualität von klinischen Studien für Medizinprodukte nach MPG zu sichern. Dr. Raimund Mildner (Universität Lübeck / Verbundprojekt FUSION) ist Sprecher der Arbeitsgruppe. Das Interview wurde in der November-Ausgabe des Krankenhaus IT-Journals veröffentlicht.
Herr Dr. Mildner, was versteht man eigentlich unter Medizintechnik?
Medizintechnik ist im Prinzip die Anwendung der Ingenieur- und Naturwissenschaften auf medizinische Problemlösungen in Diagnose, Therapie und Pflege. Medizintechnik entwickelt insoweit Geräte, Produkte und technische Verfahren, die dann als Medizinprodukte bezeichnet werden. Die Medizintechnik ist ein multidisziplinäres und thematisch weit gespanntes Forschungs- und Anwendungsfeld, welches in Deutschland durch ein auch im internationalen Maßstab hohes Innovationspotenzial und qualitativ hochwertige Entwicklungen gekennzeichnet ist, z.B. bei miniaturisierten Behandlungs- und Operationsverfahren, modernsten Bildgebungsverfahren oder in der Telemedizin.
Bei der diesjährigen MedicaMedia werden Sie am Donnerstagvormittag einen Spezial-Workshop zum Thema Medizintechnik moderieren. Worum wird es da gehen?
Es wird um die Entwicklung von Medizinprodukten in der Verbundforschung gehen. Anhand von Entwicklungsprojekten im BMBF-Programm SOMIT – Sanftes Operieren mit Innovativer Technologie – wollen wir darstellen, wie die Zusammenarbeit von klinisch-technologischen Forschergruppen aussehen kann.
Exemplarisch wird die Vorbereitung einer klinischen Studie anhand eines so genannten Laparoskopie-Assistenten für die navigierte Weichteil-Chirurgie dargestellt; an diesem Projekt arbeiten Entwickler, Mediziner und Mathematiker eng zusammen. Außerdem wollen wir zeigen, welche Besonderheiten bei randomisierten multizentrischen klinischen Studien auftreten und wie eine entwicklungsbegleitende sozio-ökonomische Bewertung von Medizinprodukten gestaltet sein kann.
Wie läuft in Deutschland eine klinische Studie ab, die Teil des Zulassungsprozesses für ein neues Medizintechnik-Produkt ist?
Die klinische Studie ist für die Zulassung eines neuen Medizinproduktes nicht zwangsläufig notwendig. Bei innovativen Medizinprodukten und zumal bei der Anwendung neuer Technologien für komplexe Gerätesysteme kommt es jedoch gehäuft vor, dass die durch Literatur und präklinische Tests gewonnenen klinischen Daten für eine klinische Bewertung nicht ausreichend sind. In diesem Fall muss eine klinische Studie durchgeführt werden, in der die fehlenden Daten erzeugt werden. Zusätzlich ist natürlich die klinische Kosten-Nutzen-Bewertung Gegenstand von Studien, wie sie für die Aufnahme in die Kostenerstattung gefordert wird. Der Ablauf von klinischen Studien für Medizinprodukte unterscheidet sich im Prinzip nicht wesentlich von klassischen Studien, allerdings ist die Kontrolle der Rahmenbedingungen ungleich schwieriger; dies betrifft beispielsweise den Einfluss des anwendenden Mediziners auf den Erfolg eines Medizinproduktes.
Seit April sind Sie kommissarischer Koordinator der neu gegründeten Arbeitsgruppe Medizintechnik in der TMF. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten medizintechnischen Verbundvorhaben FUSION und OrthoMIT arbeiten hier mit weiteren Forschungsverbünden zusammen. Was versprechen Sie sich von dieser Kooperation?
Zielsetzung der initialisierten Arbeitsgruppe soll sein, die Erfahrungen der TMF und ihrer Mitglieder in Bezug auf die Vernetzung klinischer Studien zu nutzen und gemeinsam Verbundstrukturen und sinnvolle Hilfsmittel zu erarbeiten, die die Qualität und die Sicherheit der medizintechnischen Forschung unterstützen. Die Klärung des rechtlichen und ethischen Rahmens medizintechnischer Forschung an verteilten Standorten sowie die Lösung von Problemen vernetzter medizinischer Forschung soll gemeinsam verbessert werden.
Ein weiteres gemeinsames Ziel ist der Transfer von Forschungserkenntnissen in die klinische Praxis verbunden mit einer Kosten-Nutzen-Evaluation zur Generierung von Empfehlungen für die Vergütung von medizintechnischen Innovationen. Mit der neuen Arbeitsgruppe erschließt sich für die TMF ein neuer thematischer Zweig, der sich als sinnvolle Ergänzung in das bestehende Netzwerk eingliedert.
Woran arbeitet Ihr Verbundvorhaben FUSION?
Das Akronym FUSION steht für: FUture Environment for Gentle Liver Surgery Using Image-Guided Planning and Intra-Operative Navigation, auf Deutsch etwa: Zukunftsweisende Arbeitsumgebung für schonende Leberchirurgie unter Verwendung von bildgebender Planung und intraoperativer computergestützter Führung. Dieses Projekt verfolgt das Ziel einer individualisierten Präzisionschirurgie für die verschiedenen Therapieformen der Weichteilchirurgie (offene Chirurgie, Laparoskopie und/oder Ablation). Ein Teilbereich des Projekts umfasst die Entwicklung von Assistenzsystemen, die den Chirurgen durch präoperatives Training mit einem interaktiven Lehrsystem über die bildgestützte Eingriffsplanung bis zur Operation mit bildgestützter Navigation unterstützen.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung minimal-invasiver Instrumente, die Innovationen wie haptische Rückmeldung und Gefäßerkennung beinhalten, sowie Verbesserungen der Visualisierung, Erhöhung der intrakorporalen Freiheitsgrade und Multifunktionalität ermöglichen. Die FUSION-Teilprojekte werden in informationstechnischen Modulen zu einer OP-spezifischen Systemlösung verknüpft, die die Integration der Geräte und Systeme untereinander und mit den Schnittstellen der Krankenhaus-IT gewährleistet.
Welches sind gegenwärtig die meistdiskutierten Themen in der Medizintechnik?
Nicht zuletzt initiiert durch die Studie des BMBF zu Innovationshürden in der Medizintechnik stehen die klinische Evaluierung von Medizinprodukten sowie die Überführung von Innovationen in die Kostenerstattung der Gesetzlichen Krankenversicherungen im Vordergrund.
Als sehr wichtig erachte ich außerdem die Integration und Vernetzung von intelligenten Medizinprodukten zu so genannten „smart systems“ – mit allen technologischen und sicherheitstechnischen Problemen insbesondere im Bereich Software-Usability. Und dann ist das große Feld des „Ambient Assisted Living“ sicher ein Topthema.
Welche Perspektive sehen Sie für die Medizintechnik in kommenden Szenarien der Gesundheitstelematik und des Personal Health? Arbeiten Medizintechnik und IT schon genügend zusammen, kann die TMF hierzu einen Beitrag leisten?
Vor dem Hintergrund der aktuellen demographischen Entwicklung sowie der Ressourcen- und Kostenproblematik im Gesundheitswesen findet derzeit ein Paradigmenwechsel statt: „E-Health“ und „Gesundheitstelematik“ im Sinne der breiten Anwendung von I+K-Technologien im Gesundheitswesen entwickelt sich zum „Personal Health“, der Personen-zentrierten und individualisierten Prävention, Diagnostik, Therapie und Pflege. Mikroelektronik, Sensorik, Funktechnik, Bio- und Nanotechnologie sind die zentralen Technikfelder. „Plug-and-Play“-Fähigkeiten sind hier wie auch bei den integrierten Medizingerätesystemen gefragt. Mit Medizintechnik und IT wachsen zwei Querschnittsbereiche zusammen. Die TMF-Arbeitsgruppe Medizintechnik kann hier sicher vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den anderen TMF-Arbeitsgruppen zielführende Beiträge leisten.
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