Interview

Die Patienten­rekrutierung für klinische Studien verbessern

Interview mit Prof. Dr. Martin Dugas über das Projekt zur Nutzung von Patienten­daten aus Krankenhaus-Informations­systemen (KIS) für die Rekrutierung von Teilnehmern an klinischen Studien

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"Anhand von fünf echten klinischen Studien werden wir analysieren, welche für die Rekrutierung relevanten Daten vorhanden sind und in welcher Datenqualität. Dann werden wir mit den fünf Partnern ein standort­übergreifendes, daten­schutz­konformes Konzept erarbeiten, bei dem internationale Standards wie CDISC und HL7 berücksichtigt werden."

Portraitbild Dugas Interview 2011

Prof. Dr. Martin Dugas © TMF e.V.

Prof. Dr. Martin Dugas leitet das vom BMBF geförderte Verbundprojekt zur KIS-basierten Patientenrekrutierung für klinische Studien. Bei einem Workshop im Rahmen der conhIT-Satelliten­veranstaltung am 4. April 2011 in Berlin wird er gemeinsam mit TMF-Geschäftsführer Sebastian C. Semler die ersten Projektergebnisse vorstellen.

 

Herr Professor Dugas, bislang gelingt es nur bei etwa einem Drittel der klinischen Studien, die vorgesehene Anzahl von Patienten im geplanten Zeitraum zu rekrutieren. Wie sehr lässt sich diese Quote durch KIS-Patienten­rekrutierung verbessern?

Nach den ersten Erfahrungen, die wir 2008 mit unserer Pilotinstallation in Münster gemacht haben, sind um bis zu 40 Prozent bessere Rekrutierungsraten möglich. Wir hatten das neue System für insgesamt sieben Studien über zehn Monate ausgewertet.

 

Welche Schwierig­keiten tauchen auf, wenn man KIS-Daten für die Patienten­rekrutierung nutzen will?

Klinische Studien werden in Krankenhäusern an verschiedenen Standorten durchgeführt, wo unterschiedliche Kranken­haus­informations­systeme im Einsatz sind. Hier braucht man also unterschiedliche Schnittstellen. Außerdem wirft die Auswertung von hochsensiblen Patientendaten aus dem Behandlungskontext natürlich daten­schutz­rechtliche und ethische Fragen auf, die berücksichtigt werden müssen. Um die Rekrutierung von Patienten unter Zuhilfenahme von KIS-Daten realisieren zu können, braucht man eine technische Lösung, die mit möglichst geringem Aufwand an allen Standorten und für mehrere Studien parallel verwendet werden kann.
 

Wie wird die im Projekt erarbeitete Lösung hierfür aussehen und welche Rolle spielen dabei Daten­standards wie CDISC und HL7?

Wir haben die bereits erwähnte Software als Prototyp entwickelt, der in Münster eingesetzt wird. Dieses System erkennt potenziell geeignete Studienpatienten und übermittelt Nachrichten an den behandelnden Arzt. Jetzt stellt sich uns die Frage, wie wir das erprobte Konzept mit anderen Kranken­haus­informations­systemen kompatibel machen können. Wir wollen ein Konzept entwickeln, das wir an verschiedenen Kliniken einsetzen können, nachdem wir jetzt ziemlich gut wissen, was die genannten KIS-Systeme derzeit können.

Anhand von fünf echten klinischen Studien für jeden beteiligten Standort (Düsseldorf, Erlangen, Heidelberg, Gießen und Münster) werden wir analysieren, welche für die Rekrutierung relevanten Daten vorhanden sind und in welcher Datenqualität. Dann werden wir mit den fünf Partnern ein standortübergreifendes, datenschutzkonformes Konzept erarbeiten, bei dem internationale Standards wie CDISC und HL7 berücksichtigt werden. Die Benachrichtigung über geeignete Studienpatienten wird im bestehenden Behandlungskontext an den behandelnden Arzt übermittelt werden. Dieser Arzt entscheidet dann über das weitere Vorgehen.

 

Mit welchen klinischen Arbeits­platz­systemen haben Sie sich bislang im Projekt beschäftigt?

Das sind die in Deutschland häufig genutzten Systeme ORBIS von Agfa in Münster, Soarian von Siemens in Erlangen, medico//s von Siemens in Düsseldorf, i.s.h.med von Siemens/T-Systems in Heidelberg sowie zum Vergleich eine KAS-Eigenentwicklung in Gießen. Diese Systeme haben wir daraufhin analysiert, was sie leisten können, um potenzielle Studienpatienten zu identifizieren und welche Funktionen noch fehlen, um den Ablauf sinnvoll zu unterstützen. Bei dem conhIT-Workshop wollen wir mit den Experten die Ergebnisse diskutieren, die sich bei diesen Analysen gezeigt haben. Von den Herstellern der Kranken­haus­informations­systeme möchten wir erfahren, ob die von uns erarbeiteten Anforderungen an ihre Produkte letztlich zu realisieren sind.

 

Ab wann und wo werden die im Projekt entwickelten Schnittstellen und die generische Soft­ware­architektur öffentlich zur Verfügung stehen?

Nachdem wir in den ersten sechs Monaten des Projekts vorbereitende Analysen durchgeführt haben, wollen wir im nächsten halben Jahr eine einheitliche Softwarearchitektur definieren, die an allen beteiligten Standorten funktioniert. Im zweiten Projektjahr werden wir diese Architektur dann implementieren und anhand klinischer Studien untersuchen, ob die Rekrutierungsrate steigt. Am Ende der Projektlaufzeit wollen wir eine Aussage darüber treffen können, für welche Art von Studien dieses Verfahren sinnvoll ist. Erst dann können wir auch technische Spezifikationen öffentlich zur Verfügung stellen. 

 

Was tut sich gegenwärtig auf europäischer Ebene zum Thema „KIS-Patienten­rekrutierung“?

Die KIS-Patientenrekrutierung ist auch auf europäischer Ebene ein großes Thema. Der Anteil der elektronisch verarbeiteten Patienten­informationen und der Einsatz der Elektronischen Patientenakte nehmen zurzeit überall massiv zu. Deshalb ist es nahe liegend zu versuchen, hierüber auch das Problem der Rekrutierung von Patienten für klinische Studien zu lösen. Immerhin liegt die Schnittmenge der Daten, die man sowohl in der Routineversorgung als auch in einer Studie nutzen kann bei 30 bis 70 Prozent. Auf EU-Ebene gibt es z.B. das Großprojekt EHR4CR. Dort geht es um Patientenrekrutierung, aber auch um Studien­dokumentation und einige andere Themen.

 

Prof. Dr. Martin Dugas ist Direktor des Instituts für Medizinische Informatik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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Das Interview führte Beate Achilles im März 2011. Eine Kurzfassung erscheint in der Zeitschrift E-Health-COM 2 | 2011.