Interview

Im Porträt: Anna Niemeyer: „Da­ten aus Re­gis­tern hel­fen, die Me­tho­den und die Qua­li­tät der Ver­sor­gung ab­zu­bil­den“

Interview mit Tagesspiegel Background (Erschienen am 07.10.2022)

Ein Bild von Dr. Anna Niemeyer mit dem Zitat "Daten aus Registern können helfen, die Methoden und die Qualität der Versorgung abzubilden."

Die promovierte Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der TMF Dr. Anna Niemeyer im Interview. © TMF e.V.

Gute medizinische Versorgung basiert auf patient:innenbezogenen Daten zu Befunden, therapeutischen Maßnah­men und dem Behandlungsprozess. Register sind ein Mittel, solche Daten zu erfassen und sie für eine innovative Versorgungsforschung zur Verfügung zu stellen.

Ein Ergebnis des im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichen Gutachtens: Die Registerlandschaft hierzulande ist hete­rogen. Dr. Anna Niemeyer, wissenschaft­liche Mitarbeiterin der TMF und Erstgut­achterin beschäftigt sich seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Rollen und aus ver­schiedenen Perspektiven mit der Entwick­lung neuer und Weiterentwicklung bereits bestehender Dateninfrastrukturen im Gesundheitswesen. „Es braucht vergleich­bare Daten“, sagt die 55-jährige Ärztin. Das Stichwort sei „Interoperabilität“.

Während ihres Studiums arbeitete sie nebenbei in einer Klinik in der bayrischen Landeshauptstadt – zu einer Zeit, in der „Chaos auf Deutschlands Krankensta­tionen“ herrschte, wie es im März 1989 in der Funktionärszeitschrift des Deutschen Gewerkschaftsbundes hieß. „Bereits damals ein dramatischer Pflegenotstand“, sagt die TMF-Referentin. Fehlende Betten und fachübergreifende Belegung forder­ten eine systematische Erfassung und Fortschreibung von Anleitungen zur Versorgung und Pflege. Die angehende Ärztin unterstützt die Pflegefachpersonen der internistischen Station bei der Erstel­lung, Strukturierung und Weiterentwick­lung dieser Anleitungen für kieferchirur­gische Patient:innen und entwickelt ein aus Textbausteinen bestehendes System für Pflegestandards auf ihrem MS-DOS Computer. „Das war mein erstes Projekt im Bereich der Standardisierung und sehr innovativ“, erzählt Niemeyer.

Seit mehr als fünf Jahren liegt ihr Fokus auf medizinisch-wissenschaftlichen Registern, deren technischer Basis und konzeptionellen Weiterentwicklung.

„Daten aus Registern können helfen die Methoden und die Qualität der Versorgung abzubilden“, sagt Niemeyer. Außerdem können Register als Ergänzung zu klinischen Studien und bei der Erforschung neuer Medikamente einen wichtigen Beitrag leisten, da sie versorgungsnahe Daten über einen längeren Zeitraum erfassen.

Derzeit wird das Potential der Register jedoch nicht ausgeschöpft. Der Einwand steckt in fehlenden oder nicht eingesetzten Standards. In der medizinischen Befundung beispielsweise griffen die Ärzt:innen bis heute auf unterschiedliche Sprache zurück, auch wenn es standardisierte Terminologien gebe, sagt Niemeyer. „Auch Laborwerte sind ohne Angabe von Metadaten nicht ohne weiteres vergleichbar.“ Laut dem „Gutachten zur Weiterentwicklung medizinischer Register zur Verbesserung der Dateneinspeisung und -anschlussfähigkeit“ werden weder Sprachvorgaben noch Standards für Labor- und Referenzwerte derzeit flächendeckend eingesetzt. Das seien Hürden für die Interoperabilität von Daten.

Niemeyer sagt:

Unterschiedliche Softwareanwendungen und Krankenhaus Informationssysteme (KIS) erschweren die Bereitstellung von Schnittstellen seitens der Register erheblich, aber auch eine Governancestruktur mit unzureichenden Aufsichts- und Steuerungsmechanismen könnte eine Barriere sein.

Die Gutachter:innen, die die medizinische Registerlandschaft analysierten, haben auch den Datenschutz als Handlungsfeld adressiert. „Es darf keinen beliebigen Zugriff auf und auch keine Reidentifizierung von Personen aus Patient:innendaten geben“, sagt Niemeyer. Trotzdem sollte es ihrer Ansicht nach möglich sein, Daten aus unterschiedlichen Registern und anderen Datenquellen des Gesundheitswesens zusammenzuführen: „Es braucht diese Interoperabilität“, sagt Niemeyer. Und dafür brauche es Standards – bestenfalls europäische oder gar globale. „Wenn das gelingt, werden wir mit Erkenntnissen belohnt, von denen wir heute nur träumen“, stellt die TMF-Referentin in Aussicht. Das werde sich „spürbar“ in der Gesundheitsversorgung niederschlagen.

Tagesspiegel Background

Quelle: Erschienen am 07.10.2022 im Tagesspiegel Background, Gesundheit & E-Health, Autor: Elias Fischer