Die TMF und die Interoperabilität

Standardisierung braucht Community-Arbeit

Das Gesundheitswesen steht durch den demographischen Wandel vor erheblichen Herausforderungen, jedoch bieten sich zugleich neue Chancen durch disruptive technologische Entwicklungen wie die KI. Essentielle Voraussetzung hierfür ist die sektorübergreifende Standardisierung und Erschließung von Versorgungsdaten. Nur so können sich Versorgung und Forschung zu einem lernenden Gesundheitssystem verbinden.

Zwei Personen stehen auf einem Trichter, in den unförmige Teilchen fallen, die unten Teil einer Molekülkette werden.

Die Politik hat die Bedeutung von Standardisierung und Interoperabilität für die medizinische Versorgung und Forschung erkannt. So hat das Bundesgesundheits­ministerium bei der gematik das Interop Council eingerichtet. Es wurden medizinische Informationsobjekte (MIO) auf den Weg gebracht, die der Standardisierung der elektronischen Patientenakte (ePA) zugutekommen werden. Und es wurde auf Krankenhausebene der ISiK-Standard etabliert, der schrittweise zu besser kompatiblen IT-Systemen in der stationären Versorgung führen dürfte.
 

Der Kerndatensatz der Medizin­informatik-Initiative

Gleichzeitig hat das Bundesforschungsministerium die Medizininformatik-Initiative (MII) initiiert, die unter anderem intensiv an einer semantischen und syntaktischen Standardisierung forschungsrelevanter Datensätze arbeitet. So sollen Versorgungsdaten standortübergreifend für die Forschung nutzbar werden. Dafür wurde ein Kerndatensatz definiert, der beschreibt, welche Datenstrukturen die Datenintegrationszentren der MII für alle stationären Patientendaten vorhalten sollen. An dessen Basismodule (wie Diagnose, Prozedur und Laborbefund) werden sukzessive Erweiterungsmodule angedockt, die spezifische Fragestellungen abdecken. Mit HL7 FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) wurde für den Kerndatensatz ein internationaler Standard gewählt, der in Versorgung und Forschung zugleich anschlussfähig ist und auch auf Herstellerseite breite Unterstützung findet. Die MII war darüber hinaus durch die Pilotierung von SNOMED CT zur semantischen Codierung von Versorgungsdaten maßgeblich an der Einführung einer Nationallizenz dieser internationalen Terminologie in Deutschland beteiligt.
 

Wir müssen die ganze Patient Journey für die Forschung erschließen

Vor allem aber steht und fällt die datenbasierte Forschung mit dem verfügbaren Datenumfang. Dort, wo es Anreize oder eine gesetzliche Verpflichtung gibt – wie beim onkologischen Basisdatensatz – ist die Datenqualität hoch und Standardisierung weit fortgeschritten. Wo das nicht der Fall ist – in den allermeisten anderen Bereichen – wird es schwierig.

Die größte Lücke und Herausforderung ist die Einbindung der ambulanten Versorgung. Universitätskliniken verfügen über sehr detaillierte Datensätze zu allen Facetten des stationären Aufenthalts. Aber bei allem, was Vorgeschichte, auslösende Faktoren, Nachsorge und langfristige Outcomes betrifft, bestehen erhebliche Lücken. Im Rahmen der MII wird dieses Defizit in den Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit adressiert. Im MIDIHub ist z. B. für die kommende Förderphase geplant, das Bayerische Forschungspraxennetzwerk einzubinden und so ambulante Daten zu erschließen sowie Betroffene durch Selbstdokumentation aktiv einzubinden.

Die Auswertung sektorüber­greifender Patient Journeys würde die Verbindung zwischen auslösenden Faktoren, Therapien und ihrem langfristigen Erfolg herstellen und so eine personalisierte, prädiktive, präventive und partizipative Medizin ermöglichen.

Diese Vernetzung mit forschungsinteressierten ambulanten Einrichtungen könnte den Gesundheitsforschungsstandort Deutschland stark voranbringen.
 

Die große Bedeutung der Community-Arbeit

Gesetzlich verordnen lassen sich Standardisierung und Interoperabilität nur in begrenztem Umfang. Viel entscheidender ist eine engagierte und nachhaltig angelegte Community-Arbeit. Die beginnt damit, dass ein Bewusstsein für die Bedeutung der Standardisierung geschaffen werden muss. Und sie setzt sich fort in der konkreten inhaltlichen Definition der zu standardisierenden Datensätze, die dann – erst im letzten Schritt – durch Spezifikationen hinterlegt werden.

Die MII hat in herausragender Weise gezeigt, dass über alle Unikliniken hinweg schlag­kräftige Strukturen für die gemeinsame Spezifikation, Erschließung und wissen­schaft­liche Nutzung von Versorgungs­daten ge­schaffen werden können.

Die hierbei realisierte enge interdisziplinäre Kooperation zwischen Versorgung, Forschung und Standardisierungsgremien, aber auch Fachgesellschaften und Herstellern ist einzigartig.

Das in der MII gewonnene Momentum sollte nun zum Aufbau interoperabler Strukturen in angrenzenden Bereichen (u. a. Register, Modellvorhaben §64e, ePA) eingesetzt werden, um so eine breite Anschlussfähigkeit auch an internationale Vorhaben wie den European Health Data Space (EHDS) in führender Rolle zu ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist eine nachhaltige Finanzierung der geschaffenen Strukturen und Community-Prozesse. Der Gesetzgeber sollte bei der weiteren Ausgestaltung digitaler Prozesse im Gesundheitswesen die wissenschaftliche Nutzung von Versorgungsdaten mitdenken und eine aktive Beteiligung der Forschungs-Community in der Governance sicherstellen.

Über den Autor

Über den Autor

Prof. Dr. Thomas Ganslandt ist seit 2021 Professor für Medical Data Science an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Zuvor war er Geschäftsführender Direktor des Heinrich-Lanz-Zentrums für Digitale Gesundheit an der Mannheimer Universitätsmedizin und Leiter der dortigen Abteilung für Biomedizinische Informatik. Seit 2018 ist Ganslandt Vorstandsmitglied der TMF, seit 2020 Mitglied des Nationalen Steuerungsgremiums der MII.