Die TMF als Kompetenz-Hub für Real-World-Forschung mit Relevanz
Registerforschung: Update für die evidenzbasierte Medizin
Medizinische Register waren nie wichtiger als heute, und sie haben ihre größte Zeit erst noch vor sich. Im Rahmen ihres Registergutachtens haben das BQS Institut, die TMF und andere vor einigen Jahren eine Bestandsaufnahme der deutschen Registerlandschaft gemacht. Das im Folgejahr gelaunchte Online-Portal enthielt bereits beim Start beachtliche 374 Einträge. Sicherlich werden auch die 500 noch geknackt. Darunter sind große Register mit 10.000 bis über 100.000 neuen Patientinnen und Patienten pro Jahr – wie z. B. die Krebs-, das Endoprothesen- oder das Traumaregister. Es gibt mittelgroße und vor allem sehr viele kleine Register, die Seltene Erkrankungen (SE) abbilden.
Register werden mit unterschiedlichen Zielstellungen ins Leben gerufen: Es geht um Abbildung und Qualitätssicherung der medizinischen Versorgung, um Langzeitdaten zu durchgeführten Operationen oder anderen Interventionen, sowie um Effekte von Therapien. Viele Register sind eher klinisch orientiert: Sie fokussieren auf einzelne Krankheiten, deren Behandlungen, Verläufe und Einflussfaktoren. In der Pandemie begannen viele Krankheitsregister, den „Einflussfaktor COVID-Erkrankung“ zu untersuchen. Register können so etwas, sie sind flexibel und im Hinblick auf neue Fragestellungen anpassbar. Gute Register sind wie Baumscheiben mit gut abgrenzbaren Jahresringen: Wer einmal querbohrt, kann genau sehen, was wann passiert ist und welche Auswirkungen es hatte.
Warum überhaupt Registerforschung?
Im Vergleich zu klassischen epidemiologischen Studien sind Register dauerhafte, qualitätsgesicherte und dennoch flexible „Forschungsplattformen“, die nicht erst angelegt werden müssen, wenn sich eine neue Forschungsfrage stellt. Die Daten, die in sie einfließen, werden von Profis kuratiert und kontinuierlich verbessert – und warten auf ihren Einsatz. Auch nicht zu unterschätzen: Bei Registern liegt in der Regel ein breiter Forschungs-Consent vor, während bei epidemiologischen Studien der Consent oft mühsam erweitert werden muss, wenn sich der Studienfokus ändert. Im Vergleich zu Datensätzen aus der Routineversorgung wiederum ist der Kernvorteil der Register, dass sie für die Forschung angelegt werden. Sie haben keinen abrechnungsbezogenen Bias. Sie sind, anders als die künftigen ePA-Daten, vollständig(er). Und sie enthalten oft mannigfaltige Daten, die über die Routinedaten hinausgehen.
Register als neue Evidenzquelle für Zulassung und Nutzenbewertung
Aber warum haben Register ihre beste Zeit noch vor sich? Weil ihre Aufgaben wachsen. Die moderne Medizin mit ihren immer individuelleren und teureren Therapien stößt an Grenzen, was die Generierung von Evidenz durch randomisierte Studien angeht. Gleichzeitig wird Evidenz aber immer wichtiger. Nicht nur die Zulassung, auch die nachgelagerte frühe Nutzenbewertung benötigt Evidenz. Versorgungsdaten können hier unterstützen. Schon heute kommen sie punktuell im Rahmen der Zulassung und bei durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) initiierten, anwendungsbegleitenden Datenerhebungen zum Einsatz. Was die Nutzenbewertung angeht, hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit seinem Rapid Report 863 im Jahr 2020 und seinem Methodenpapier Version 7.0 von 2023 den Weg gebahnt.
Dabei geht es aber nicht um irgendwelche Daten aus der Routineversorgung. Wer reale Versorgungsdaten nutzen will, um Zulassungen und Nutzenbewertungen zu unterfüttern, der braucht kuratierte Daten aus Registern, die Mindestanforderungen an die Datenqualität erfüllen und bei denen ein Selektionsbias ermittelbar und seriös quantifizierbar sowie methodisch zumindest weitgehend korrigierbar ist. Einige Anforderungen, die das IQWiG formuliert, gehen noch sehr weit, aber an der Stoßrichtung insgesamt kann es keinen Zweifel geben.
Die meisten Register können derartige Anforderungen noch nicht erfüllen. Nötig ist ein Reifungs- und Zertifizierungsprozess mit Instanzen, die jene Register unterstützen, die sich auf den Weg begeben wollen. In all seiner wissenschaftlichen und organisatorisch-strukturellen Komplexität kann ein solcher Prozess kein staatlicher oder hoheitlicher sein. Er muss durch die Community der Forschenden selbst vorangetrieben werden. Für einen Community-Prozess zur Qualitätsentwicklung gibt es erfolgreiche Beispiele: Das Deutsche Netzwerk für Versorgungsforschung (DNVF) hat die wissenschaftlichen und methodischen Grundlagen der Versorgungsforschung in mittlerweile über vierzig Memoranden definiert.
Registerforschung und Nutzenbewertung
Der im Mai 2020 vorgelegte IQWiG Rapid Report „Konzepte zur Generierung versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V“ war im deutschen Gesundheitswesen eine Zeitenwende. Es war das erste Mal, dass das IQWiG explizit und konkret formuliert hat, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit neben randomisierten Studien auch versorgungsnahe Daten für die frühe Nutzenbewertung genutzt werden können. Dieser Report ist ein Auftrag an die Forschungs-Community, existierende Register zu ertüchtigen, ein Prozess, der aktuell in vollem Gange ist.
Die strukturelle und die digitale Dimension
Es müssen aber auch Anforderungen an Strukturen und Prozesse festgelegt und deren Qualität ggf. überprüft, dokumentiert, zertifiziert werden. Letztlich geht es um die Organisation und Steuerung eines Qualitätsentwicklungsprozesses der Register, der nur dann ein Erfolg werden wird, wenn es dafür in der Community eine hohe Akzeptanz gibt. Die TMF setzt sich für eine stärkere Förderung und Qualitätsentwicklung von Registern ein. Sie hat im Rahmen ihres Registergutachtens u. a. das Register-Reifegradmodell konzipiert, das seither kontinuierlich weiterentwickelt wird. Entsprechend prädestiniert ist sie für die Begleitung eines Registerreifungsprozesses. Die Fortschritte, die in den letzten Jahren gemacht wurden, zeigen: Es funktioniert.
Die TMF ist auch deswegen geeignet und qualifiziert für eine wichtige Rolle beim Ausbau der Registerforschung, weil das Thema eine digitale Dimension hat. Universitätskliniken sind eine wesentliche Datenquelle für Register, andererseits profitieren sie davon, eigene Studien mit Registerdaten anzureichern. Es gibt also auf beiden Seiten ein klares Interesse an digitaler Integration. Derzeit entsteht im Netzwerk Universitätsmedizin u. a. deswegen eine Datenannahme- und Aufbereitungsstelle für externe Daten (DAAeD). Auch das wird aber nicht reichen. Die TMF plädiert für die Entwicklung von sicheren Verfahren zur Zusammenführung von Datensätzen (Record Linkage) – was auch der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) einfordert. Wie immer bei der Digitalisierung geht es um Standards und Prozesse und damit letztlich um Arbeit an der Schnittstelle von Forschungs-Community, Versorgungs-Community, Industrie und Behörden. Diese Schnittstelle ist der Lebensraum der TMF.
Weiterführende Informationen
Über die Autorin
Dr. med. Anna Niemeyer ist Ärztin. Sie ist Erstautorin des Registergutachtens und verantwortet in der TMF seit 2020 als Wissenschaftliche Referentin schwerpunktmäßig die Weiterentwicklung der Methode Register mit der Community. Seit 2019 ist sie Sprecherin der AG Register des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung e. V. Davor war sie u. a. fünf Jahre als Ärztliche Leitung des BQS Institut für Patientensicherheit, Physician Executive Deutschland beim KIS-Hersteller Cerner und im Future Hospital Programm der Asklepios Kliniken tätig. Sie ist außerdem ausgebildete Projekt- und Change-Managerin sowie Professional Coach.
Über den Autor
Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, MPH, hat seit 2004 die Professur für Versorgungsepidemiologie und Community Health an der Medizinischen Fakultät der Universität Greifswald inne, seit 2007 ist er Geschäftsführender Direktor des Instituts für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald. Er ist Standortsprecher Rostock/Greifswald des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und Leiter der Zentralstelle des Krebsregisters Mecklenburg-Vorpommern. Hoffmann ist außerdem Vorsitzender des Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung e.V. und langjähriges Vorstandsmitglied der TMF.