Die TMF als Impulsgeber und Mitgestalter

Gesundheitsdatenräume: Große Chance für eine bessere Medizin

Die Verordnung zum Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) soll helfen, digitale Gesundheitsdaten für eine bessere Medizin zu erschlie­ßen. Daten nicht nur schützen, sondern sie vor allem auch nutzen, das ist die neue Devise – eine überfällige Zeitenwende. Doch Gesetze sind nicht alles: Deutschland muss jetzt zügig strukturelle Hausaufgaben machen, um nicht im Zuge des EHDS zurückzufallen. Die TMF unter­stützt mit Beratung und viel Expertise – und bietet sich als Serviceprovi­der an.

Eine Sportlerin rennt auf drei Hürden zu, hinter denen der Text EHDS 2028 zu sehen ist.

Gesundheitsdaten zugänglich machen – diese Vision gibt es seit 30 Jahren. Sie war einer der Gründe, dass die TMF vor 25 Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Die EU-Kommission hat der Vision vom Datenraum mit dem EHDS neues Leben eingehaucht. Ziel dieser EU-Initiative ist es, die nationalen Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten durch einen sicheren Austausch von Gesundheitsdaten stärker zu vernetzen. So sollen einerseits medizinische Versorgung, datenbasierte Forschung und die öffentliche Gesundheitsförderung leistungsfähiger werden. Ein weiteres Ziel des EHDS ist es, Gesundheitsdaten europaweit zu erschließen, um damit den medizinischen Innovationsstandort Europa zu stärken. Das in Deutschland im März 2024 in Kraft getretene Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) kann als ein erster EHDS-Umsetzungsschritt verstanden werden, dem aber weitere folgen müssen. Für all das war es höchste Zeit.

GDNG und EHDS bieten einen Rahmen, der erstmalig die Datennutzung in den Mittelpunkt rückt. Sicherheit ist wichtig und unverzichtbar, aber sie darf eine gemeinwohlorientierte Datennutzung in der Medizin nicht aus­bremsen.

Dieser „mind shift“ ist fundamental, und er ist an vielen Stellen noch nicht wirklich neuronal prozessiert worden. In der Umsetzung werfen GDNG und EHDS nun aber eine Menge Fragen auf, die angesichts des EHDS-Starts Mitte 2028 relativ zügig bearbeitet werden müssen.
 

Herausforderungen benennen und Lösungen mitgestalten 

Nötig für die EHDS-Umsetzung ist ein koordiniertes Vor­gehen, bei dem sich relevante Stakeholder gemeinsam hin­sichtlich Betrieb und Governance der künftigen Datenräume abstimmen. Was heißt das konkret? Die Etablierung eines Gesundheitsdatenraums ist vor allem ein organisatorisch-strukturelles Thema. Daher braucht es zum einen politische Kommunikation in die Forschungs-Community hinein, zum anderen eine Sensibilisierung der politischen Ent­scheidungsträger für die Komplexität und die spezifischen Herausforderungen der Gesundheitsdatenforschung. Diese Netzwerkarbeit lässt sich nicht nach Brüssel outsourcen. Sie in der nötigen inhaltlichen Tiefe und mit höchster fach­licher Kompetenz zu orchestrieren, dafür ist die TMF mit ihrer langjährigen Expertise, ihrer tiefen Verankerung in der medizinischen Forschungslandschaft und ihrem guten Draht zur Politik prädestiniert.

Europäischer Gesundheits­datenraum 2028: Heraus­forderungen aus Sicht der TMF

  • Einführung einer einheitlichen ID für Gesundheitsdaten, die dann auch ein einheitliches Forschungspseudonym ermöglichen würde
  • Umsetzung eines datenraumweiten, nutzerfreundlichen und barrierefreien Opt-out-Verfahrens
  • Etablierung einer nutzerfreundlichen Infrastruktur für die Bereitstellung und Zusammenführung von Gesundheitsdaten, am besten als Verbund kompetenter Anlaufstellen für unterschiedliche Datenbestände und unterschiedliche Auswertevorgänge mit zentraler Verankerung
  • Berücksichtigung unterschiedlicher Forschungsanforderungen, auch solche der privatwirtschaftlichen Forschung und der KI-Entwicklung

Akzeptanzbildung als Schlüssel­disziplin

Die Zeit drängt: Für den EHDS essenzielle Erfolgsfaktoren – wie einheitliche IDs bzw. Forschungspseudonyme und ein praxistaugliches, datenquellenübergreifendes und barriere­freies Opt-out-Modell – müssen gemeinsam implementiert bzw. überhaupt erst einmal konzipiert und dann öffentlich diskutiert werden. Insbesondere der Umgang mit dem Thema Opt-out wird für die Akzeptanz in der Bevölkerung ent­scheidend sein. 

Wie ein Akzeptanzmanagement durch kluge Patientenein­bindung funktionieren kann, wurde mit maßgeblicher Be­teiligung der TMF im Modellvorhaben Genomsequenzierung (genomDE) demonstriert. Hier sind zwei Dachorganisationen der Selbsthilfe als vollwertige Projektpartner eingebunden, was sich als förderlich erwiesen hat. Das kann ein Best-Practice-Beispiel für andere Gesundheitsdatenräume sein.
 

Ohne Nutzbarkeit keine Datennutzung

Die Frage der „Gesamtarchitektur“ des EHDS wiederum ist für die Akzeptanz innerhalb der Forschungs-Community entscheidend. Denn von ihr wird abhängen, wie gut sich der EHDS im Alltag nutzen lässt. Hier gibt es regulatorischen Bedarf. Zwar wurde das GDNG schon mit Blick auf den EHDS konzipiert, es adressiert aber bisher nur Einzelaspekte und noch nicht die Gesamtarchitektur. Zwar sollen gemäß GDNG Abrechnungsdaten exemplarisch mit Register- und ePA-Daten verknüpft werden, inklusive Datenzugang in sicheren Ver­arbeitungsumgebungen. Das lässt sich aber nicht einfach auf das komplette Gesundheitsdatenökosystem skalieren. Da es potenziell sehr viele Datennutzungsszenarien gibt, erscheint es auch unwahrscheinlich, dass eine einzelne Datenzugangsstelle alle Erfordernisse von Forschung, Public Health und KI-Entwicklung abbilden kann. Existierende Infrastrukturen wie jene der Medizininformatik-Initiative (MII) müssen genau­so Teil eines Datenraums werden wie die Privatwirtschaft, deren Anforderungen andere sind als die eines Versorgungs­forschers.

Was das GDNG ebenfalls noch gar nicht adressiert, ist das weite Feld der Datenqualität und der Verfügbarmachung von Daten. Register funktionieren heute oft nur deswegen, weil eigens Stellen geschaffen werden, um die Datenbanken mit Patientendaten in der nötigen Qualität zu befüllen. Digitalisierung und Standardisierung werden hier helfen, aber die blühende Gesundheitsdatenlandschaft entsteht trotzdem nicht von selbst. Anreiz- und Partizipationssysteme für medizinische Einrichtungen wären ein gangbarer Weg. Auch unterstützende digitale Tools, zum Beispiel auf KI-Basis, könnten helfen.

Sichere Verarbeitungs­umgebung

Eine sichere Verarbeitungsumgebung ist ein (physischer oder virtueller) Ort, an dem Gesundheitsdaten für Forschende datensicher für Auswertungen zugänglich gemacht werden können, ohne dass die Daten herausgegeben werden müssen. Sichere Verarbeitungsumgebungen gelten als ein Goldstandard für die Gesundheitsdatenforschung. Es ist aber nicht trivial, sie nutzerfreundlich umzusetzen. Und sie sind auch nicht für alle Arten der Datennutzung gleich gut geeignet. Die TMF plädiert mit Blick auf den EHDS deswegen für ein Ökosystem der Datennutzung, das nicht ausschließlich auf sichere Verarbeitungsumgebungen setzt, um unterschiedlichen Anforderungen an eine forschende Datennutzung gerecht zu werden.

Die TMF im Datenraum

All das und viel mehr wird in der kurzen Zeit bis zum EHDS-Startschuss zu diskutieren und zumindest im Ansatz umzu­setzen sein. Die TMF sieht es in den kommenden Jahren als eine ihrer Hauptaufgaben an, ihre Expertise und ihr Netz­werk in diese Diskussionen und die zu erwartenden Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Die TMF bietet sich auch als eine Instanz an, die Service-Angebote im Zusammenhang mit dem EHDS erbringen oder zu Angeboten beitragen kann. Das von der TMF gemeinsam mit der Forschungs-Community realisierte Forschungsdatenportal für Gesundheit (FDPG) zeigt, was möglich ist. 

Gesundheitsdatenräume kommen. Mit ihrem Primat auf Datennutzung sind sie eine riesige Chance für bessere Medizin, effektivere öffentliche Gesundheitsfürsorge und KI-Entwicklung. Deutschland muss hier aber dringend seine Hausaufgaben machen. Denn sonst besteht die reale Gefahr, dass andere, stärker digitalisierte Länder die hohen EHDS-Anforderungen rascher umsetzen können.

Über den Autor

Über den Autor

Sebastian Claudius Semler ist Geschäftsführer der TMF. Bevor er 2004 zur TMF kam, war der ausgebildete Arzt mit Zertifikat Medizinische Informatik am Institut für Molekularbiologie und Biochemie der FU Berlin und als Produktmanager in einem medizinischen Softwarehaus tätig.