Stellungnahme der TMF zum Referentenentwurf eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz – DVG)
Berlin, 6. Juni 2019.
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Umfang der Kommentierung
Die vorliegende Stellungnahme der TMF bezieht sich in Abschnitt II ausschließlich auf die für die medizinische Forschung relevanten Sachverhalte des vorliegenden Referentenentwurfes. Da die Digitalisierung im engen Zusammenspiel von Versorgung und Forschung zugleich das Potential hat, unser Gesundheitssystem insgesamt zu transformieren, äußert sich die TMF darüber hinaus in enger gegenseitiger Abstimmung mit der Deutschen Hochschulmedizin e. V. zu den hierzu notwendigen gesetzgeberischen Voraussetzungen.
Korrespondenzadresse
TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.
Charlottenstraße 42
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Ansprechpartner:
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Geschäftsführer
Tel.: +49 (0)30 2200247-10
sebastian.semler@tmf-ev.de
Über die TMF
Die TMF - Technologie- und Methodenplattform für vernetzte medizinische Forschung e. V. (kurz: TMF) ist mit gegenwärtig 64 Mitgliedern und ihren einhundert Standorten bundesweit die Dachorganisation für die medizinische Verbundforschung in Deutschland. Sie ist Plattform für den interdisziplinären Austausch und die projekt- wie standortübergreifende Zusammenarbeit, um organisatorische, rechtlich-ethische und technologische Probleme der modernen medizinischen Forschung zu identifizieren und zu lösen. Die als gemeinnützig anerkannte TMF stellt diese Lösungen frei und öffentlich zur Verfügung. Mit dem Aufbau tragfähiger Infrastrukturen für die medizinische Forschung leistet die TMF einen Beitrag zur Stärkung des Wissenschaftsstandortes Deutschland im europäischen wie internationalen Wettbewerb.
I. Zum Gesetzentwurf allgemein
Die TMF - Technologie- und Methodenplattform für vernetzte medizinische Forschung e. V. begrüßt den Gesetzentwurf und insbesondere die Weiterentwicklung der elektronischen Patientenakte (ePA). Die Erschließung der Routinedaten der Krankenversorgung für die Zwecke der medizinischen Forschung in einem lernenden Gesundheitssystem steht dabei im besonderen Interesse des Gemeinwohls. Datengetriebene Forschung ermöglicht die Entwicklung zielgerichteterer Therapien und weltmarktfähiger Innovationen. Systeme Künstlicher Intelligenz (KI) vermögen auf Basis großer, qualitätsgesicherter Lerndatensätze potentiell lebensgefährliche Prozesse wie die Entwicklung einer Sepsis oder bösartiger Tumore in der Breite wesentlich frühzeitiger als bisher zu erkennen. Versorgungsforschung trägt dazu bei, die Patientensicherheit zu erhöhen und die materiellen und personellen Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Nicht umsonst investieren die us-amerikanischen High-Tech-Giganten gegenwärtig mehrstellige Milliardenbeträge in die Gewinnung und Analyse von Gesundheitsdaten. Hier darf Europa und der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland nicht den Anschluss verlieren.
Um die Potentiale der Digitalisierung in vollem Umfang heben zu können, ist die Entwicklung einer einrichtungsübergreifenden elektronischen Patientenakte das zentrale Instrument. Die ePA soll alle für die Patientenversorgung relevanten Patientendaten aus unterschiedlichen Quellen (Informationssysteme der Krankenhäuser, Krankenkassen, niedergelassenen Ärzte, etc.) patientenbezogen zusammenführen. So können auf individueller Ebene, einheitlich strukturierte Datenbestände in interoperablen Systemen verknüpft werden. Wir begrüßen daher, dass der vorliegende Gesetzentwurf in dem neugeschaffenen § 291h SGB V die elektronische Patientenakte losgelöst von der Vergangenheit der kartenzentrierten Lösungen in den Mittelpunkt rückt. Soweit zusätzliche Dokumentenarten in der ePA verfügbar gemacht werden, trifft auch dies auf unsere volle Zustimmung. Um das aufgenommene Tempo halten zu können, sollten dabei allerdings ausdrücklich die vorhandene langjährige Expertise der Standardisierungsorganisationen und Fachgesellschaften stärker als bisher in den Prozess einbezogen werden.
Die Digitalisierung hat das Potential, die medizinische Versorgung und Forschung zu revolutionieren. Ganz offensichtlich ist das zum Beispiel bei der Erhebung und Verwaltung von Daten: kein Dokument geht verloren, Informationen sind transparent, Doppeluntersuchungen entfallen, Leistungserbringer bekommen einen schnellen Überblick über die Patienten, so dass Diagnosestellung und Therapie zügiger und passgenauer erfolgen können. Neue digitale Gesundheitsanwendungen ermögliche eine evidenzbasierte Prävention und Nachsorge im häuslichen Umfeld. Versorgung kann dadurch insgesamt besser, schneller und zielgerichteter erfolgen.
Versorgung und Forschung müssen dabei Hand in Hand gehen. Mit Hilfe von Patientendaten, die für die Forschung genutzt werden, können bspw. neue Therapien entwickelt werden. Neue Behandlungsverfahren könnten rascher evaluiert und seltene Erkrankungen schneller diagnostiziert werden. Je mehr und je besser medizinische Daten digitalisiert bereitstehen, umso effizienter können Forschung und Versorgung arbeiten. Dazu bedarf es der Anbindung der ePA an die klinische und biomedizinische Forschung.
Eine solche forschungskompatible ePA muss intersektoral aufgebaut sein und dabei über die einheitliche Anwendung internationaler Standards die Vergleichbarkeit der enthaltenen Daten gewährleisten. Die Inhalte der ePA müssen in strukturierter Form vorliegen, sodass diese für die datengestützte Analyse großer Patientenkohorten zur Verfügung stehen. Bestehende Prozesse der sektoralen Leistungserbringer müssen in Hinblick auf die Qualität der in die ePA zu überführenden Daten überprüft und durchgängig digitalisiert werden. Bestehende Dokumentationslücken müssen geschlossen und notwendiger Kontext vertikal ergänzt werden. Auch zusätzliche Möglichkeiten der Integration der Selbstbeobachtung der Patientinnen und Patienten in Form von Patient-Reported Outcome (PRO) in den Behandlungszyklus sind zu schaffen und bringen die Patientinnen und Patienten in eine weitaus aktivere Rolle in Bezug auf die eigene Therapietreue. In der Summe wirkt die forschungskompatible ePA transformierend auf das Gesundheitssystem insgesamt. Schließlich ist eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Zustimmung der Patientinnen und Patienten zur Forschungsdatennutzung vorzusehen und die notwendige Governace für die erforderlichen Pseudonymisierungsdienste und die Datentreuhands- bzw. -zugangsstrukturen zu schaffen.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass im vorliegenden Gesetzentwurf die Autonomie der Patientinnen und Patienten durch die Schaffung individueller Ansprüche auf Zugang zu digitalen Versorgungsangeboten und dem Grundsatz einer patientenzentrierten elektronischen Aktenführung gestärkt wird. Aus der Akte heraus sollen die Daten den Leistungserbringern so zur Verfügung gestellt werden, dass dies den Versorgungsprozess unterstützt und verbessert. Gleichzeitig müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Möglichkeit haben, die Daten zu Forschungszwecken zu nutzen.
Das gesetzgeberische Handeln zur Beförderung des Einsatzes digitaler Technologien im Gesundheitswesen ist im Ergebnis ethisch zwingend geboten. Tagtäglich sterben Menschen in unserem Land, weil vorhandene Datenquellen nicht hinreichend erschlossen, verknüpft und ausgewertet werden. Wir müssen gemeinsam unverzüglich die erforderlichen regulatorischen Voraussetzungen schaffen, um eine flächendeckende Vernetzung der Gesundheitsdaten für Versorgung und Forschung zu erreichen.
II. Zu den Regelungen im Einzelnen
1. Aufnahme der Forschungsdatennutzung in § 291h SGB V
Wir begrüßen nachdrücklich das mit § 291h Abs. 2 Satz 8 SGB V neu aufgenommene Ziel, die in der ePA gespeicherten Patientendaten für Forschungszwecke technisch zu erschließen. Dies spiegelt den Auftrag zur Einführung einer forschungskompatiblen elektronischen Patientenakte aus der gemeinsamen Hightech-Strategie der Bundesregierung.
Die Privilegierung der Forschungsdatennutzung im neuen § 291h Abs. 7 SGB V gegenüber der versorgungsbezogenen Zweckbindung und dem Offenbarungsverbot aus § 291a Abs. 4 und 8 SGB V ist dabei notwendige Bedingung für die Ausleitung von Forschungsdaten aus der elektronischen Patientenakte. Tatsächlich greift der Referentenentwurf damit eine langjährige Forderung der medizinischen Verbundforschung auf, da medizinische Forscherinnen und Forscher nicht in jedem Fall zugleich Angehörige eines Heilberufes sind. Dies ist im Weiteren auch bei der Ausgestaltung der technischen Voraussetzungen zur Datenausleitung zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Systematik des § 291h SGB V regen wir an, den neuen Absatz 7 als notwendige Voraussetzung bereits vor die technische Beauftragung der gematik (derzeit § 291h Abs. 2) zu ziehen.
Soweit das Gesetz der Gesellschaft für Telematik die Aufgabe zur Schaffung der technischen Voraussetzungen einer Forschungsdatenausleitung aus der elektronischen Patientenakte zuweist, sollte diese auf gesetzlicher Grundlage die tatsächlichen Bedarfe der medizinischen Forschung in der Erstellung der einschlägigen Spezifikationen berücksichtigen. Es gilt zu vermeiden, dass die entstehende Schnittstelle inkompatibel zu bereits bestehenden oder im Aufbau befindlichen öffentlich-geförderten Infrastrukturen wie die der Medizininformatik-Initiative steht, unangemessene Investitionskosten und organisatorische Anforderungen auslöst oder ein Informationsverlust durch die Verwendung nicht standard-konformer Protokolle eintritt.
Um dies zu gewährleisten ist eine Abstimmung mit den zur Wahrnehmung der Interessen der Forschung im Gesundheitswesen maßgeblichen Bundesverbänden erforderlich. Dazu muss die Forschungsperspektive auf allen Entscheidungsebenen und bei allen Entwicklungsschritten eng eingebunden werden, unter anderem bei der Gesellschaft für Telematikanwendungen (gematik).
Wir schlagen daher vor, § 291h Abs. 2 Satz 8 SGB V wie folgt neu zu fassen: „Die Gesellschaft für Telematik hat bis zum 30. Juni 2022 im Benehmen mit den für die Wahrnehmung der Interessen der Forschung im Gesundheitswesen maßgeblichen Bundesverbänden, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Daten der elektronischen Patientenakte auf Wunsch der Versicherten für die Nutzung zu medizinischen Forschungszwecken zur Verfügung gestellt werden können. Dabei ist unter Anwendung internationaler Standards und Prozesse ein verlustfreier Datenaustausch mit den im Rahmen der Medizininformatik-Initiative des Bundes im Aufbau befindlichen Infrastrukturen zu gewährleisten.“ Satz 1 spiegelt insofern den Wortlaut des bisherigen § 291b Abs. 1 Satz 7 SGB V (§ 291h Abs. 3 Satz 1 SGB V-neu).
Mit Inkrafttreten des Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) am 11. Mai 2019 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf Grundlage von § 291b Abs. 1 Satz 7ff SGB V damit begonnen, die semantischen und syntaktischen Festlegungen der s.g. Medizinischen Informationsobjekte (MIO) als Inhalte der elektronischen Patientenakte zu definieren. Der Wortlaut der Vorschrift stellt allerdings gegenwärtig nicht sicher, dass die so definierten MIOs tatsächlich Datenstrukturen enthalten, die nicht nur technisch über die zu schaffende Schnittstelle für Forschungszwecke ausgeleitet werden, sondern auch tatsächlich für Forschungszwecke nutzbar gemacht werden können. Hierzu müssen die in der elektronischen Patientenakte enthaltenen MIOs weit über ein elektronisches Abbild („PDF als Fax des 21. Jahrhunderts“) bisheriger Papierdokumente hinausgehend
- internationale Terminologien in hinreichend breiten Kerndatensätzen nutzen,
- eine detaillierte, präzise und qualitätsgesicherte Annotierung ermöglichen,
- und die deutschlandweit einrichtungsübergreifende einheitliche Verwendung erforderlicher Metadaten vorschreiben.
Wir schlagen daher vor, in den Wortlaut von § 291h Abs. 3 Satz 2 SGB V das Ziel der Forschungskompatibilität in Hinblick auf § 291h Abs. 2 Satz 8 aufzunehmen:
§ 291h Abs. 3 Satz 2 SGB V ist daher wie folgt neu zu fassen: „Sie hat dabei internationale Standards einzubeziehen und die Festlegungen nach § 31a Absatz 4 und 5 sowie die Festlegungen zur Verfügbarmachung von Daten nach § 291a Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 zu berücksichtigen sowie in Abstimmung mit den für die Wahrnehmung der Interessen der Forschung im Gesundheitswesen maßgeblichen Bundesverbänden, die Forschungskompatibilität in Hinblick auf § 291h Abs. 2 Satz 8 zu gewährleisten.“
Der Terminus Forschungskompatibilität greift dabei die bereits in der Hightech-Strategie der Bundesregierung eingeführte Begrifflichkeit auf.
2. Novelliertes Datentransparenzverfahren nach §§ 303a bis 303f SGB V
Besonders positiv ist aus Sicht der Forschung zu bewerten, dass der Gesetzgeber sich mit dieser Novellierung dazu entschieden hat, den ersten Schritt zu einer verbesserten Nutzung der Sozialdaten durch ein Forschungsdatenzentrum beim DIMDI zu unternehmen. Dabei soll zum einen das Datenangebot erweitert und zum anderen die Zugangsmöglichkeiten erheblich verbessert werden.
Sehr erfreulich ist die in diesem Entwurf angelegte, schrittweise Loslösung von den bisherigen DaTraV-Daten, die auf Grundlage des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA, vgl. § 268 Absatz 3 Satz 14 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 bis 7 SGB V) entstanden sind. Im vorliegenden Referentenentwurf sind diese zwar noch als Teilmenge der neuen Datentransparenzdaten enthalten (vgl. Begründung zu Nummer 1 zu § 303b Abs. 1 SGB V), sollen aber perspektivisch durch ein „erweitertes Datenangebot“ ersetzt werden (vgl. Begründung Einleitung). Insofern ist die Loslösung vom bisher eingebundenen Bundesversicherungsamt (vgl. § 303b Abs. 1 SGB V) sehr konsequent und sinnvoll.
Hier möchten wir darauf hinweisen, dass ein flexibler Rahmen für die Anpassungen und Fortschreibungen des zukünftigen Datenkranzes notwendig erscheint. Die bisherige Praxis beim Datentransparenzverfahren zeigt, dass abschließende Definitionen im Gesetz oder auch in einer nachgeordneten Verordnung die Flexibilität erheblich erschweren, sodass eine untergesetzliche Regelungskompetenz sinnvoll wäre. Festlegungen hierfür wären von Datenprovidern und Datennutzern gleichermaßen und gemeinsam zu treffen. Zugleich darf diese Flexibilität nicht die rückwirkende Auswertbarkeit einzuschränken. Mithin wäre es z.B. sinnvoll, neben einer möglichen Ausgestaltung in einer Rechtsverordnung mit einer Ermächtigung zur gemeinsamen Detailfestlegung durch den GKV-Spitzenverband und dem Arbeitskreis der Nutzungsberechtigten (vgl. § 303d Abs. 5 SGB V) vorzugehen.
Ebenso wird die Möglichkeit eines Datenfernzugangs (nach § 303e Abs. 4 SGB V) durch Einbindung einer geeigneten technischen Analyseplattform (vgl. Begründung zu Ziff. 1 zu § 303e Abs. 4 SGB V) von unserer Seite positiv bewertet. Die auf der Plattform zur Verfügung zu stellenden Technologien (SQL, SPSS, SAS, R, etc.) sollten jedoch nur insoweit in der Rechtsverordnung festgeschrieben werden, als dies erforderlich ist, um die Ressourcenausstattung zu begründen. Um flexibler agieren zu können, sollten die weiteren Details im Rahmen einer Geschäfts- und Nutzungsordnung eingebettet werden, die vom DIMDI im Benehmen mit dem Arbeitskreis der Nutzungsberechtigten (vgl. § 303d Abs. 5 SGB V) und unter Zustimmungsvorbehalt des BMG erstellt und fortgeschrieben werden kann.
Besonders erfreulich und für die Datennutzung in der Forschung notwendig, ist die im Entwurf in § 303d Abs. 2 Satz 1 SGB V enthaltene Aufbewahrungspflicht für „versichertenbezogene Einzelangaben“ beim Forschungsdatenzentrum, die spätestens nach Ablauf von 30 Jahren enden soll. Die nähere Ausgestaltung soll in der Rechtsverordnung erfolgen. Allerdings muss hier darauf hingewiesen werden, das Löschpflichten aus Art. 17 EU-Datenschutzgrundverordnung (im Folgenden: EU-DSGVO) grundsätzlich vom Anwendungsbereich der EU-DSGVO her, nur einschlägig sind, wenn personenbezogene oder pseudonyme Daten der Verarbeitung zu Grunde liegen. Wenn aber – wie im vorliegenden Fall - nach einer wirksamen Pseudonymisierung durch die Vertrauensstelle – pseudonyme DaTraV-Daten an das Forschungsdatenzentrum übermittelt werden, das keine Zugriffsmöglichkeit¹ auf die Zuordnungsliste hat, können die Daten auch als „anonym“ gewertet werden, mit der Folge, dass keine Löschpflicht nach EU-DSGVO einschlägig ist (vgl. Erwägungsgrund 26, EU-DSGVO).
Insofern wird vorgeschlagen, nochmalig zu überprüfen, auf welchem Weg „versichertenbezogene Einzelangaben“ bei dem Forschungsdatenzentrum entstehen.
Ferner schlagen wir vor, dass festgeschrieben wird, dass die beim Forschungsdatenzentrum gespeicherten Daten als „faktisch anonyme Daten“ definiert werden. Hier kann auf eine ähnliche Definition wie in § 16 Abs. 6 Nr. 1 BStG zurückgegriffen werden: „Für die Durchführung wissenschaftlicher Vorhaben dürfen das Statistische Bundesamt und die statistischen Ämter der Länder Hochschulen oder sonstigen Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung Einzelangaben übermitteln, wenn die Einzelangaben nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnet werden können (faktisch anonymisierte Einzelangaben)“.
Im Übrigen – selbst für den Fall des vorhandenen Personenbezugs – wird auf die Ausnahme nach Art. 17 Abs. 3 Ziff. d) EU-DSGVO für die wissenschaftliche Forschung hingewiesen, auf dessen Grundlage die Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren, wie sie nun bereits im Entwurf enthalten ist, gerechtfertigt ist. Für die praktische Handhabung sollte der Gesetzgeber allerdings festlegen, ab welchem Zeitpunkt der Aufbewahrungszeitraum beginnt.
Mit Blick auf die unter Ziff. 3 beschriebene Schwierigkeit, begrüßen wir die Möglichkeit, der Nutzung anonymisierter Einzelangaben (vgl. § 303e Abs. 4 SGB V und § 5 Abs. 5 Änderung der Datentransparenzverordnung) unter den vorgesehenen Begrenzungen. Um ein sicheres und forschungsfreundliches Anonymisierungsverfahren festzulegen, wird vorgeschlagen, auch an dieser Stelle der Arbeitskreis der Nutzungsberechtigten miteinzubeziehen.
Es wird begrüßt, dass der Gesetzgeber mit § 303e Abs. 5 S. 2 und mit § 307c SGB V verbindliche Folgen für die Missachtung der gesetzlich definierten Nutzungszwecke festlegt. Aus unserer Sicht ist allerdings die jeweils enthaltene Handlung („zum Zwecke der Herstellung eines Personenbezugs verarbeitet“) nicht aus sich heraus verständlich und dürfte daher in Bezug auf die Strafvorschrift auch gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) verstoßen. In Art 4 Nr. 1 EU-DSGVO werden personenbezogene Daten wie folgt definiert: „alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind“. Entscheidend ist also die Re-Identifizierung oder zumindest die Möglichkeit dazu. Darüber hinaus muss aber dem Umstand Rechnung getragen werden, dass technische Verfahren, wie eine Anonymisierung fehlerhaft sein können und daher eine Re-Identifizierung auch ohne aktives Tun des Nutzers eintritt. Diesem Umstand sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass die Strafbarkeit nur bei einer vorhandenen Re-Identifizierungsabsicht entsteht, um solche Fälle auszuschließen, in denen eine Re-Identifizierung aus Versehen, z.B. durch unzureichende/lückenhafte Anonymisierung oder sonstige technische Fehler, erfolgte. Daher wird vorgeschlagen, die bisherige Formulierung durch folgende auszutauschen: „vorsätzlich die Re-Identifizierung von mindestens einer natürlichen Personen vorgenommen hat“. Im Übrigen wird drauf hingewiesen, dass die Nutzer sich selbst verpflichten können, dem Forschungsdatenzentrum mitzuteilen, wenn sie bei der Datennutzung feststellen, dass die vorgenommene Anonymisierung nicht ausreichend zu sein scheint.
Weiterhin begrüßen wir, dass der Referentenentwurf das bereits in der Datentransparenzänderungsverordnung – DaTraÄV) vom 19. Oktober 2017 enthaltene öffentliche Antragsregister in § 303d Abs. 3 Ziff. 6 SGB V aufgegriffen hat. Hier möchten wir auf die damaligen Anmerkungen im Rahmen der gemeinsamen Stellungnahme der AGENS, der Deutschen Hochschulmedizin, des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung und der TMF hinweisen, wonach im Register auch schon die eingereichten Anträge (und nicht erst die bewilligten Nutzungen) veröffentlicht werden sollten, um eine größtmögliche Transparenz in der fachlichen Öffentlichkeit zu erzielen.
Positiv ist zudem die Einfügung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu bewerten, die nun in den Kreis der Nutzungsberechtigten aufgenommen wurden (vgl. § 303e Abs. 1 Ziff. 8 SGB V). Wir begrüßen ausdrücklich, dass im Gesetzentwurf im neuen § 303d Abs. 5 SGB V vorgesehen ist, die Nutzungsberechtigten selbst über einen institutionalisierten Arbeitskreis an der Ausgestaltung, Weiterentwicklung und Evaluation des Datenzugangs zu beteiligen. In der Praxis wird diese Funktion gegenwärtig auf Initiative der Nutzungsberechtigten und im Benehmen mit dem DIMDI durch den bei der TMF angesiedelten Arbeitskreis Versorgungsdaten wahrgenommen. Der Gesetzentwurf sieht hingegen in § 303d Abs. 5 Satz 1 SGB V vor, dass der gesetzliche Arbeitskreis der Nutzungsberechtigten zukünftig durch das Forschungsdatenzentrum eingerichtet wird. Der AK Versorgungsdaten hat bislang in einem konstruktiven Miteinander wertvolle Hinweise zur Weiterentwicklung des Datentransparenzverfahrens erarbeiten können, die auch in den vorliegenden Gesetzentwurf Eingang gefunden haben. Diese erfolgreiche Arbeit gilt es fortzusetzen. Zudem sollte zur Wahrung der Unabhängigkeit des Arbeitskreises der Nutzungsberechtigten, dessen Geschäftsführung grundsätzlich nicht durch die datenherausgebende Stelle selbst wahrgenommen werden.
Wir schlagen daher vor, § 303d Abs. 5 SGB V wie folgt zu fassen: „Das Forschungsdatenzentrum beauftragt im Benehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung mit der Geschäftsführung des Arbeitskreises der Nutzungsberechtigten nach § 303e Absatz 1 SGB V. Der Arbeitskreis wirkt beratend an der Ausgestaltung, Weiterentwicklung und Evaluation des Datenzugangs mit.“
3. Weiterentwicklung des Innovationsfonds (§ 92 a und b SGB V)
Innovationsfondsprojekte nach § 92 a und b SGB V spielen als Instrument des zeitnahen Transfers von neuesten Erkenntnissen der Versorgungsforschung in konkrete innovative Versorgungsformen eine wichtige Rolle für die fortwährende digitale Transformation des Gesundheitswesens. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Fortführung des Innovationsfonds sowie das Anliegen des Gesetzgebers, die Ergebnisqualität der geförderten Vorhaben zu steigern.
Insofern teilen wir auch das erklärte Ziel, den einzelnen Projektideen und geförderten Vorhaben eine Unterstützungsstruktur an die Seite zu stellen, die Projektentwicklung und -evaluation betreibt, Querschnittsthemen bearbeitet und den Fußabdruck der Projekte innerhalb der Versorgungspraxis und Forschungslandschaft erhöht. Entsprechende Strukturen werden üblicherweise in unabhängigen Begleitprojekten als immanenterBestandteile der Förderlinien angelegt. Träger von Begleitprojekten verfügen dabei in der Regel über langjährige Erfahrung in der Vorhabenentwicklung und Projektsteuerung. Deshalb sehen wir es kritisch, diese für den Erfolg der nächsten Förderperiode wichtige Aufgabe direkt an die Geschäftsstelle des Innovationsausschusses zu binden, die die entsprechende Expertise bislang nicht hat aufbauen können. Wir schlagen stattdessen vor, die Aufgaben mittels einer offenen Ausschreibung an eine bereits langjährig im operativen und proaktiven Projektmanagement leistungsfähige Struktur zu vergeben. Dort beständen zudem anders als bei der Geschäftsstelle des Innovationsausschusses bereits Netzwerke, um die ebenfalls gewünschte weitergehende Vernetzung der Projekte und die Dissemination der Projektergebnisse zu befördern.
Als unglücklich empfinden wir die in § 92a Abs. 1 Satz 7 SGB V vorgesehene Einführung eines zweistufigen Antragsverfahrens mit der Begrenzung der Zahl der jährlich zu fördernden Projekte. Der Gesetzentwurf führt damit nicht nur zu erheblichen bürokratischen Zusatzaufwänden für die Antragssteller, sondern setzt zudem Anreize, die Projektumfänge unabhängig vom angestrebten Erkenntnisgewinn größtmöglich zu skalieren. Im Ergebnis werden andere gleichsam geeignete Projektideen von der Förderung ausgeschlossen und die geförderten Projekte zusätzlichen, aus der Fallzahl oder Flächenabdeckung resultierenden Erfolgsrisiken ausgesetzt. Aus unserer Sicht sollte die Frage der optimalen Projektgröße allein im Rahmen der fachlichen Beratung und Begutachtung beurteilt werden.
Wir schlagen daher vor, das in Artikel 1 Nr. 11 Buchstabe a des Referentenentwurfes vorgesehene neue zweistufige Antragsverfahren mit der Begrenzung der letztlich geförderten Projekte auf 15 Vorhaben pro Jahr einschließlich der zugehörigen Folgeänderungen nicht weiterzuverfolgen.
Schließlich begrüßen wir, dass gemäß des neuen Absatzes 3 von § 92b SGB V zukünftig mit Abschluss der Projektlaufzeit eine dezidierte Empfehlung zur Überführung der geeigneten Projektinhalte in die Regelversorgung durch den Innovationsausschuss beschlossen werden muss. Dies dient dem Ziel einer schnellen Translation neuester Erkenntnisse der Forschung in den Versorgungsalltag zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Wir regen an, noch einmal zu prüfen, ob an dieser Stelle die Differenzierung in Vorhaben der neuen Versorgungsformen nach Satz 1 und der Versorgungsforschung nach Satz 2 in der Sache erforderlich ist, oder ob nicht auch für die Vorhaben der Versorgungsforschung grundsätzlich immer eine Empfehlung beschlossen werden sollte.
Das vorgesehene Abschmelzen des Fördervolumens auf 200 Mio. Euro betrachten wir kritisch. Soweit der Mittelabfluss in der Vergangenheit hinter den Etatansätzen zurückgeblieben ist bzw. auch weniger erfolgsversprechende Vorhaben in die Förderung gelangt sind, stände doch durch den vorgesehenen Einbezug externer Expertise und der aufzusetzenden Begleitstruktur für die Zukunft eine stringente Projektsteuerung und Vorhabenbegleitung zu erwarten. Die Fördermöglichkeit zur Weiterentwicklung von Leitlinien und der Beteiligung der AWMF sind grundsätzlich positiv zu bewerten. Allerdings sollten zusätzliche Aufgaben wie eine anteilig stärkere Förderung neuer Versorgungsformen oder die Leitlinienentwicklung nicht zu Lasten der Versorgungsforschung etatisiert werden. Die Versorgungsforschung deckt auf Basis evidenzbasierter Erkenntnisse Über-, Unter- und Fehlversorgungen auf und leistet dabei einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Versorgungsqualität wie auch der Ressourceneffizienz im Gesundheitswesen, der in der Folge auch systemimmanent zu finanzieren ist. Am Ende profitieren die Patientinnen und Patienten, denen etwa die Entwicklung einer Sepsis erspart bleibt oder die als Demenzerkrankte länger als bislang im häuslichen Umfeld versorgt werden können.
4. Digitale Gesundheitsanwendungen (§ 33a i. V. m. §139e SGB V)
Damit die Patientinnen und Patienten schneller als bisher von digitalen Versorgungsinnovationen profitieren können, die häufig auf den Ergebnissen universitärer und außeruniversitärer Forschung aufbauen, unterstützen wir die in § 139e SGB V vorgesehene Einführung der Kategorie digitaler Gesundheitsanwendungen, für die ein vereinfachter Zugangsweg in die Regelversorgung eröffnet wird. Wir gehen davon aus, das die aus der Forschung stammenden digitalen Gesundheitsanwendungen durch die nach guter wissenschaftlicher Praxis durchgeführten Grundlagenstudien regelmäßig bereits die Aufnahmevoraussetzungen nach Abs. 2 erfüllen. Soweit digitale Gesundheitsanwendungen nach Absatz 3 zum Antragszeitpunkt noch keinen Nachweis positiver Versorgungseffekte bringen können, sollte die Erprobungsphase zwingend wissenschaftlich begleitet werden. Insofern ist es wesentlich, dass Satz 2 zur Aufnahme in die Erprobung ein Evaluationskonzept einer wissenschaftlichen Einrichtung verlangt. Selbst eine einfache ergebnisorientierte wissenschaftliche Begleitung der Erprobungsphase wird dabei jedoch aller Erfahrung nach regelmäßig einen Zeitraum von mehr als 12 Kalendermonaten umfassen.
Zwar ist im Gesetzentwurf eine einmalige Verlängerung des Erprobungszeitraumes um weitere zwölf Monate vorgesehen, doch erscheint uns ein regelmäßiger initialer Erprobungszeitraum von 24 Monaten in Hinblick auf die Generierung eines Mindestmaßes an Evidenz für die Erzielung der erwarteten positiven Versorgungseffekte sachgerechter.
5. Sonstige Änderungen
Grundsätzlich zu begrüßen ist die Verlängerung der Löschfrist für Daten in § 304 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V von bislang vier auf nunmehr zehn Jahre. Begründet wird dies im Referentenentwurf u.a. mit der verbesserten wissenschaftlichen Aussagekraft für die daraus abzuleitenden Erkenntnisse. Mit derselben Intention sieht der Gesetzgeber gleichzeitig für die im Zuge des Datentransparenzverfahrens für Forschungszwecke bereitgestellten Daten eine Löschfrist von dreißig Jahren vor. Deshalb schlagen wir vor, die Speicherdauer der Daten nach § 304 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V ebenfalls auf dreißig Jahre festzusetzen.
Wir unterstützen die in im neuen § 68a SGB V ausgeweiteten Möglichkeiten der Krankenkassen, sich direkt an der Entwicklung digitaler Innovationen u.a. durch die Kooperation mit oder Beauftragung von Forschungseinrichtungen zu beteiligen. Die engere Zusammenarbeit der Kostenträger mit der medizinischen Forschung kann im Sinne einer schnelleren Translation von Forschungsergebnissen in die Regelversorgung dazu beitragen, die Versorgungsqualität zu verbessern und den Versicherten individuellere evidenzbasierte Präventions-, Therapie- und Nachsorgeangebote zu unterbreiten.
Laut Gesetzentwurf in § 291b Abs. 1 SGB V hat die gematik bei ihren Vorgaben für die TI und den Datenaustausch zukünftig auch die auf europäischer Ebene getroffenen Festlegungen zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der erweiterten Aufgaben der nationalen Kontaktstelle zum grenzüberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten, ist diese europäische Abstimmung zwingend erforderlich. Im neugefassten §291b Absatz 1 sollte daher die gematik verpflichtet werden, die europäischen Festlegungen nicht nur „zu berücksichtigen“, sondern diese konkret „anzuwenden“. Nur so ist sichergestellt, dass die Patientinnen und Patienten in Deutschland vollumfänglich von den Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Austausches von Gesundheitsdaten Gebrauch machen können.
Schließlich begrüßen wir die in Artikel 6 des vorliegenden Referentenentwurfes vorgesehene Novellierung des § 630e Absatz 1 BGB, wonach zukünftig die Aufklärung für medizinische Behandlungen auch mittels Fernkommunikationsmitteln möglich wird. Wir gehen davon aus, dass soweit die Nutzung von Forschungsdaten auf Basis von informierten Einwilligungen erfolgt, für diese keine höheren Anforderungen gelten können. Insbesondere für die Studienrekrutierung mittels App bzw. der Einbindung patientengenerierter digitaler Forschungsdaten aus dem Alltag („Citizen Science“) ist die Möglichkeit zur Einwilligung ohne Medienbruch etwa durch Videoberatung eine wichtige Akzeptanzvoraussetzung.
III. Weiterer Handlungsbedarf
Der vorgelegte Gesetzentwurf schafft mit der Forschungsschnittstelle nach § 291h Abs. 2 Satz 8 SGB V und der Privilegierung der Forschungsdatennutzung in § 291h Abs. 7 SGB V wichtige Voraussetzungen für eine zukünftige Nutzung der Inhalte der patientengeführten elektronischen Patientenakte für wissenschaftliche Erkenntnisprozesse („Forschungsdatenspende“). Um die ePA-Inhalte mittels der Schnittstelle für Forschungszwecke nutzen zu können, ist allerdings zwingend in einem weitergehenden Gesetzgebungsverfahren der eigentliche Rechtsrahmen für die Datenbereitstellung, Datengovernance und Datennutzung zu errichten.
Im Rahmen der Datenbereitstellung ist die Frage der qualifizierenden Anforderungen an eine Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur Datennutzung zu beantworten. Vor dem Hintergrund, dass der oder die Einzelne per einfachen Papierausweis einer Organspende zustimmen kann, sollten für eine Datenspende, die ebenfalls im Sinne des Allgemeinwohls konkret Leben zu retten vermag, keine überbordenden Hürden errichtet werden. Zugleich sollte der Bund ein Digital Health Literacy-Programm auflegen, um die Bürgerinnen und Bürger in der Wahrnehmung ihrer Patientenautonomie zu stärken.
Aus Sicht der Forschung ist mit Blick auf die Datengovernance entscheidend, dass dabei die vorhandenen oder z. B. innerhalb der Medizininformatik-Initiative bereits im Aufbau befindlichen Infrastrukturen auch für die Routinedatenspende aus der ePA genutzt werden. Der Aufbau von Doppelstrukturen kostet nicht nur Geld und Zeit, sondern verhindert auch ein interoperables Datenpooling, das aber Grundvoraussetzung für eine Vielzahl von Erkenntnisprozessen ist. Gemeinsames nationales Ziel sollte die Schaffung eines international wettbewerbsfähigen einheitlichen deutschen bzw. europäischen Raumes für Gesundheitsforschungsdaten sein. Forschende sollten zentral Nutzungsanträge stellen können und Patientinnen und Patienten sich an einem Ort über Forschungsvorhaben informieren und ihre Patientenrechte wirksam ausüben können. Wir regen mit Blick auf den zu erwartenden gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Forschungsdatenspende und der Vielzahl der zu beteiligenden Stakeholder daher weiter an, frühzeitig eine unabhängige nationale Koordinierungsstelle zur schaffen, die sich ergebende Interoperabilitätsfragen prozessual bearbeitet. Diese kann zugleich im gemeinsamen Interesse von Versorgung und Wissenschaft als bundesweite Lizenzstelle der eingesetzten Terminologien fungieren.
Zur ethischen Dimension der Datenspende gehört, die bereitgestellten Daten bestmöglich im Interesse der Patientinnen und Patienten nutzen zu können. Neben der beschriebenen interoperablen Struktur der Akteninhalte ist dabei die Qualität der Primärdokumentation entscheidend. Einheitlich elektronisch unterfütterte Arztbriefe und nachvollziehbare Laborverläufe sind dabei nicht nur ein Gewinn für die Forschung, sondern Entlasten gleichermaßen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte und Erhöhen die Patientensicherheit. Um die hierfür notwendigen Assistenzsystem zu entwickeln und zu evaluieren bedarf es eines klaren Fahrplanes, aber auch einer deutlichen monetären Incentivierung der freiwilligen vertieften Dokumentation. Flankierend sollte ein Bundesprogramm zur Optimierung der Abläufe der Primärdokumentation aufgelegt werden, in dem auch die Ausbildung und Anstellung von Data Curation Scientists gefördert wird.
Fußnoten
¹ Einen Zugriff auf die Zuordnungsliste hat nur die von dem Forschungsdatenzentrum unabhängige Vertrauensstelle, die die identifizierenden Daten ohnehin nach der Pseudonymisierung nach § 303c Abs. 3 SGB V zu löschen hat.