Stellungnahme der TMF zum Entwurf eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) BT-Drucksache 19/13438
Berlin, 9. Oktober 2019.
Umfang der Kommentierung
Die vorliegende Stellungnahme der TMF bezieht sich in Abschnitt II ausschließlich auf die für die medizinische Forschung relevanten Sachverhalte des vorliegenden Gesetzentwurfes. Da die Digitalisierung im engen Zusammenspiel von Versorgung und Forschung zugleich das Potential hat, unser Gesundheitssystem insgesamt zu transformieren, äußert sich die TMF darüber hinaus zu den hierzu notwendigen weitergehenden gesetzgeberischen Voraussetzungen, insbesondere der Nutzbarmachung der Inhalte der zukünftigen elektronischen Patientenakte für Forschungszwecke.
Korrespondenzadresse
TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.
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Ansprechpartner:
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Geschäftsführer
Tel.: +49 (0)30 2200247-10
sebastian.semler@tmf-ev.de
Über die TMF
Die TMF - Technologie- und Methodenplattform für vernetzte medizinische Forschung e. V. (kurz: TMF) ist die Dachorganisation für die medizinische Verbundforschung in Deutschland. Sie ist Plattform für den interdisziplinären Austausch und die projekt- wie standortübergreifende Zusammenarbeit, um organisatorische, rechtlich-ethische und technologische Probleme der modernen medizinischen Forschung zu identifizieren und zu lösen. Die als gemeinnützig anerkannte TMF stellt diese Lösungen frei und öffentlich zur Verfügung. Mit dem Aufbau tragfähiger Infrastrukturen für die medizinische Forschung leistet die TMF einen Beitrag zur Stärkung des Wissenschaftsstandortes Deutschland im europäischen wie internationalen Wettbewerb.
I. Zum Gesetzentwurf allgemein
Die Digitalisierung hat das Potential, die medizinische Versorgung und Forschung zu revolutionieren: kein Dokument geht verloren, Informationen sind transparent, Doppeluntersuchungen entfallen, Leistungserbringer bekommen einen schnellen Überblick über die Patienten, so dass Diagnosestellung und Therapie zügiger und passgenauer erfolgen können. Neue digitale Gesundheitsanwendungen ermöglichen eine evidenzbasierte Prävention und Nachsorge im häuslichen Umfeld. Versorgung kann dadurch insgesamt besser, schneller und zielgerichteter erfolgen.
Die Erschließung der Routinedaten der Krankenversorgung für die Zwecke der medizinischen Forschung in einem lernenden Gesundheitssystem steht dabei im besonderen Interesse des Gemeinwohls. Datengetriebene Forschung ermöglicht die Entwicklung zielgerichteterer Therapien und weltmarktfähiger Innovationen. Systeme Künstlicher Intelligenz (KI) können auf Basis großer, qualitätsgesicherter Lerndatensätze dazu beitragen, potentiell lebensgefährliche Prozesse wie die Entwicklung bösartiger Tumore oder eine Diabetes in der Breite wesentlich frühzeitiger als bisher zu erkennen. Versorgungsforschung trägt dazu bei, die Patientensicherheit zu erhöhen und die materiellen und personellen Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Nicht umsonst investieren die us-amerikanischen High-Tech-Unternehmen gegenwärtig mehrstellige Milliardenbeträge in die Gewinnung und Analyse von Gesundheitsdaten. Hier dürfen Europa und der Forschungsstandort Deutschland nicht den Anschluss verlieren.
Die TMF - Technologie- und Methodenplattform für vernetzte medizinische Forschung e. V. begrüßt daher das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgte Ziel, eine bessere Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für Forschungszwecke zu ermöglichen. Insbesondere die beabsichtigte Fortentwicklung der Regelungen zur Datentransparenz der bei den Krankenkassen vorliegenden Sozialdaten wird ausdrücklich unterstützt.
Um die Potentiale der Digitalisierung in vollem Umfang heben zu können, ist weiterhin die Entwicklung einer einrichtungsübergreifenden elektronischen Patientenakte das zentrale Instrument. Die ePA soll alle für die Patientenversorgung relevanten Patientendaten aus unterschiedlichen Quellen (Informationssysteme der Krankenhäuser, Krankenkassen, niedergelassenen Ärzte, etc.) patientenbezogen zusammenführen. So können auf individueller Ebene, einheitlich strukturierte Datenbestände in interoperablen Systemen verknüpft und mit Zustimmung der Patientinnen und Patienten auch für die medizinische Forschung nutzbar gemacht werden.
Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht der medizinischen Verbundforschung bedauerlich, dass der vorliegende Gesetzentwurf bislang keine Regelungen zu einer Forschungsdatenschnittstelle aus der ePA heraus vorsieht. Diese sollten gemeinsam mit verbindlichen Vorgaben zur forschungskompatiblen Ausgestaltung der medizinischen Informationsobjekte als ePA-Inhalte zeitnah ergänzt werden, damit Deutschland als Forschungs- und Entwicklungsstandort auch weiterhin eine gute Rolle spielt und die Patientinnen und Patienten nicht nur durch ein Weniger an Bürokratie, sondern eben vor allem auch durch ein Mehr an Gesundheit von der Digitalwende in unserem Gesundheitssystem profitieren.
II. Zu den Regelungen im Einzelnen
1. Novelliertes Datentransparenzverfahren nach §§ 303a bis 303f SGB V
Besonders positiv ist aus Sicht der Forschung zu bewerten, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine verbesserte Nutzung der Sozialdaten durch ein bei einer öffentlichen Stelle des Bundes angesiedeltes Forschungsdatenzentrum angestrebt wird. Dabei soll zum einen das Datenangebot erweitert und zum anderen die Zugangsmöglichkeiten erheblich verbessert werden.
Wesentlich für den Erfolg des Vorhabens ist die grundsätzlich angelegte, schrittweise Loslösung von den bisherigen stark aggregierten und nur zeitverzögert verfügbaren DaTraV-Daten, die auf Grundlage des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA, vgl. § 268 Absatz 3 Satz 14 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 bis 7 SGB V) entstanden sind. Im vorliegenden Entwurf sind diese zwar noch als Teilmenge der neuen Datentransparenzdaten enthalten (vgl. Begründung zu Absatz 1 zu § 303b Abs. 1 SGB V), sollen aber perspektivisch mittels Rechtsverordnung durch ein „deutlich erweitertes und aktuelleres Datenangebot“ ersetzt werden (vgl. Begründung. röm. II, Nr. 8). Insofern ist auch die Loslösung vom bisher eingebundenen Bundesversicherungsamt konsequent und sinnvoll.
Dabei möchten wir darauf hinweisen, dass ein flexibler Rahmen für die Anpassungen und Fortschreibungen des zukünftigen Datenkranzes notwendig erscheint. Mithin wäre es sinnvoll, bereits in der Rechtsverordnung eine regelmäßige Evaluation des Datenkranzes unter Einbezug des GKV-Spitzenverbandes und des Arbeitskreises der Nutzungsberechtigten (vgl. § 303d Abs. 2 SGB V) vorzusehen.
Mit Blick auf die für einzelne Forschungsvorhaben unzureichende Granularität anonymisierter und aggregierter Datensätze begrüßen wir auch die Möglichkeit der Nutzung pseudonymisierter Einzelangaben (vgl. § 303e Abs. 4 SGB V) unter den vorgesehenen Begrenzungen. Um ein sicheres und forschungsfreundliches Pseudonymisierungsverfahren festzulegen, wird vorgeschlagen, auch an dieser Stelle den Arbeitskreis der Nutzungsberechtigten miteinzubeziehen. Wesentlich für die Betrachtung longitudinaler Verläufe ist dabei die in § 303b Abs. 1 SGB V vorgesehene Übermittlung eines eindeutigen Versichertenkennzeichens an das Forschungsdatenzentrum.
Ebenso wird die Möglichkeit eines Datenfernzugangs (nach § 303e Abs. 4 SGB V) durch die Bereitstellung einer geeigneten technischen Analyseplattform (vgl. Begründung zu § 303e Abs. 4 SGB V) von unserer Seite positiv bewertet. Die erst noch auf Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung zu erlassende Rechtsverordnung wird dabei die wesentlichen Datenangebots- und Zugangsregeln festlegen, sollte dabei jedoch dem Grundsatz der Technikneutralität folgen. Um flexibler agieren zu können, sollten die konkret auf der Plattform zur Verfügung zu stellenden Technologien (z. B. SQL, SPSS, SAS, R, etc.) im Rahmen einer Geschäfts- und Nutzungsordnung geregelt werden, die vom Forschungsdatenzentrum im Benehmen mit dem Arbeitskreis der Nutzungsberechtigten (vgl. § 303d Abs. 2 SGB V) und unter Zustimmungsvorbehalt des BMG erstellt und fortgeschrieben werden kann.
Wir unterstützen die in § 303d Abs. 2 Satz 1 SGB V enthaltene ausgeweitete Speicherdauer für „versichertenbezogene Einzelangaben“ beim Forschungsdatenzentrum, die erst spätestens nach Ablauf von 30 Jahren enden soll. Dabei ist zusätzlich sicher zu stellen, dass in begründeten Fällen diese Daten für bereits begonnene Studien auch über die grundsätzliche zentrale Höchstspeicherdauer hinaus zur Verfügung stehen. Dies ist eine wichtige Qualitätssicherungsmaßnahme im Zuge guter wissenschaftlicher Praxis, aber auch Voraussetzung etwa für Forschungsvorhaben für generationsübergreifende Krankheitsbilder oder das Verfolgen von langfristigen Nebenwirkungen von Therapien.
Weiterhin begrüßen wir, dass der Gesetzentwurf das bereits in der Datentransparenzänderungsverordnung – DaTraÄV) vom 19. Oktober 2017 enthaltene öffentliche Antragsregister in § 303d Abs. 1 Ziff. 6 SGB V aufgreift. Hier möchten wir auf die im Zuge der Kommentierung der Datentransparenzänderungsverordnung getätigten Anmerkungen im Rahmen der gemeinsamen Stellungnahme der AGENS, der Deutschen Hochschulmedizin, des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung und der TMF vom 15. November 2017 hinweisen, wonach im Register auch schon die eingereichten Anträge (und nicht erst die bewilligten Nutzungen) veröffentlicht werden sollten, um eine größtmögliche Transparenz in der fachlichen Öffentlichkeit zu erzielen.
Positiv ist zudem die Aufnahme der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den Kreis der Nutzungsberechtigten zu bewerten (vgl. § 303e Abs. 1 Ziff. 8 SGB V).
Wir begrüßen ausdrücklich, dass im Gesetzentwurf im neuen § 303d Abs. 2 SGB V vorgesehen ist, die Nutzungsberechtigten selbst über einen institutionalisierten Arbeitskreis an der Ausgestaltung, Weiterentwicklung und Evaluation des Datenzugangs zu beteiligen. In der Praxis wird diese Funktion gegenwärtig auf Initiative der Nutzungsberechtigten und im Benehmen mit dem DIMDI durch den bei der TMF angesiedelten Arbeitskreis Versorgungsdaten wahrgenommen. Der Gesetzentwurf sieht hingegen in § 303d Abs. 5 Satz 1 SGB V vor, dass der gesetzliche Arbeitskreis der Nutzungsberechtigten zukünftig durch das Forschungsdatenzentrum selbst eingerichtet wird. Der AK Versorgungsdaten hat bislang in einem konstruktiven Miteinander wertvolle Hinweise zur Weiterentwicklung des Datentransparenzverfahrens erarbeiten können, die auch in den vorliegenden Gesetzentwurf Eingang gefunden haben. Diese erfolgreiche Arbeit gilt es fortzusetzen. Zudem sollte zur Wahrung der Unabhängigkeit des Arbeitskreises der Nutzungsberechtigten, dessen Geschäftsführung grundsätzlich nicht durch die datenherausgebende Stelle selbst wahrgenommen werden.
Wir schlagen daher vor, § 303d Abs. 2 SGB V wie folgt zu fassen: „Das Forschungsdatenzentrum beauftragt im Benehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung mit der Geschäftsführung des Arbeitskreises der Nutzungsberechtigten nach § 303e Absatz 1. Der Arbeitskreis wirkt beratend an der Ausgestaltung, Weiterentwicklung und Evaluation des Datenzugangs mit.“
2. Weiterentwicklung des Innovationsfonds (§ § 92 a und b SGB V)
Innovationsfondsprojekte nach §§ 92 a und b SGB V spielen als Instrument des zeitnahen Transfers von neuesten Erkenntnissen der Versorgungsforschung in konkreten innovativen Versorgungsformen eine wichtige Rolle für die fortwährende digitale Transformation des Gesundheitswesens. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Fortführung des Innovationsfonds sowie das Anliegen des Gesetzgebers, die Ergebnisqualität der geförderten Vorhaben zu steigern.
Insofern teilen wir auch das erklärte Ziel, den einzelnen Projektideen und geförderten Vorhaben eine Unterstützungsstruktur an die Seite zu stellen, die Projektentwicklung und -evaluation betreibt, Querschnittsthemen bearbeitet und den Fußabdruck der Projekte innerhalb der Versorgungspraxis und Forschungslandschaft erhöht. Die damit verbundenen fachlichen Aufgaben werden üblicherweise in unabhängigen Begleitprojekten als immanente Bestandteile der Förderlinien angelegt. Träger von Begleitprojekten verfügen dabei in der Regel über langjährige Erfahrung in der Vorhabenentwicklung und Projektsteuerung.
Ziel der Begleitstruktur sollte zudem ein projektübergreifender Beitrag zur Nachhaltigkeit und Know-How-Transfer sowie die Infrastrukturentwicklung sein. Deshalb sehen wir es kritisch, diese für den Erfolg der nächsten Förderperiode wichtige Aufgabe direkt an die Geschäftsstelle des Innovationsausschusses zu binden, die die entsprechende Expertise bislang nicht hat aufbauen können. Auch der vorliegende Änderungsantrag Nr. 4 der Koalitionsfraktionen macht in seinem Bemühen, die beratenden Aufgaben der Geschäftsstelle im Wortlaut klarer von der eigentlichen Antragsbegutachtung und Projektsteuerung zu trennen, deutlich, dass hier eine institutionelle Trennung geboten ist. Wir schlagen deshalb vor, die fachlichen Beratungsaufgaben mittels einer offenen Ausschreibung an eine bereits langjährig im operativen und proaktiven Projektmanagement leistungsfähige Struktur zu vergeben. Dort beständen zudem anders als bei der Geschäftsstelle des Innovationsausschusses bereits Netzwerke, um die ebenfalls gewünschte weitergehende Vernetzung der Projekte und die Dissemination der Projektergebnisse zu befördern.
Als unglücklich empfinden wir die in § 92a Abs. 1 Satz 7 SGB V vorgesehene Einführung eines zweistufigen Antragsverfahrens mit der Begrenzung der Zahl der jährlich zu fördernden Projekte. Der Gesetzentwurf führt damit nicht nur zu erheblichen bürokratischen Zusatzaufwänden für die Antragssteller, sondern setzt zudem Anreize, die Projektumfänge unabhängig vom angestrebten Erkenntnisgewinn größtmöglich zu skalieren. Im Ergebnis werden andere gleichsam geeignete Projektideen von der Förderung ausgeschlossen und die geförderten Projekte zusätzlich, aus der Fallzahl oder Flächenabdeckung resultierenden Erfolgsrisiken ausgesetzt. Aus unserer Sicht sollte die Frage der optimalen Projektgröße allein im Rahmen der fachlichen Beratung und Begutachtung beurteilt werden.
Wir schlagen daher vor, das vorgesehene neue zweistufige Antragsverfahren mit der Begrenzung der letztlich geförderten Projekte auf 15 Vorhaben pro Jahr einschließlich der zugehörigen Folgeänderungen nicht weiterzuverfolgen.
Schließlich begrüßen wir, dass gemäß des neuen Absatzes 3 von § 92b SGB V zukünftig mit Abschluss der Projektlaufzeit eine dezidierte Empfehlung zur Überführung der geeigneten Projektinhalte in die Regelversorgung durch den Innovationsausschuss beschlossen werden muss. Dies dient dem Ziel einer schnellen Translation neuester Erkenntnisse der Forschung in den Versorgungsalltag zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Wir regen an, noch einmal zu prüfen, ob an dieser Stelle die Differenzierung in Vorhaben der neuen Versorgungsformen nach Satz 1 und der Versorgungsforschung nach Satz 2 in der Sache erforderlich ist, oder ob nicht auch für die Vorhaben der Versorgungsforschung grundsätzlich immer eine Empfehlung beschlossen werden sollte.
Das vorgesehene Abschmelzen des Fördervolumens auf 200 Mio. Euro betrachten wir kritisch, zumal dieses nicht fachlich begründet ist. Soweit der Mittelabfluss in der Vergangenheit hinter den Etatansätzen zurückgeblieben ist bzw. auch weniger erfolgsversprechende Vorhaben in die Förderung gelangt sind, stände doch durch den vorgesehenen Einbezug externer Expertise und der aufzusetzenden Begleitstruktur für die Zukunft eine stringente Projektsteuerung und Vorhabenbegleitung zu erwarten. Die Fördermöglichkeit zur Weiterentwicklung von Leitlinien und der Beteiligung der AWMF sind grundsätzlich positiv zu bewerten. Allerdings sollten zusätzliche Aufgaben wie eine anteilig stärkere Förderung neuer Versorgungsformen oder die Leitlinienentwicklung nicht zu Lasten der Versorgungsforschung etatisiert werden. Die Versorgungsforschung deckt auf Basis evidenzbasierter Erkenntnisse Über-, Unter- und Fehlversorgungen auf und leistet dabei einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Versorgungsqualität wie auch der Ressourceneffizienz im Gesundheitswesen, der in der Folge auch systemimmanent zu finanzieren ist. Am Ende profitieren die Patientinnen und Patienten, denen etwa die Entwicklung einer Sepsis erspart bleibt oder die als Demenzerkrankte länger als bislang im häuslichen Umfeld versorgt werden können.
3. Digitale Gesundheitsanwendungen (§ 33a i. V. m. §139e SGB V)
Damit die Patientinnen und Patienten schneller als bisher von digitalen Versorgungsinnovationen profitieren können, die häufig auf den Ergebnissen universitärer und außeruniversitärer Forschung aufbauen, unterstützen wir die in § 139e SGB V vorgesehene Einführung der Kategorie digitaler Gesundheitsanwendungen, für die ein vereinfachter Zugangsweg in die Regelversorgung eröffnet wird. Wir gehen davon aus, das die aus der Forschung stammenden digitalen Gesundheitsanwendungen durch die nach guter wissenschaftlicher Praxis durchgeführten Grundlagenstudien regelmäßig bereits die Aufnahmevoraussetzungen nach Abs. 2 erfüllen. Soweit digitale Gesundheitsanwendungen nach Absatz 4 zum Antragszeitpunkt noch keinen Nachweis positiver Versorgungseffekte bringen können, sollte die Erprobungsphase zwingend wissenschaftlich begleitet werden. Insofern ist es wesentlich, dass Satz 2 zur Aufnahme in die Erprobung ein Evaluationskonzept einer wissenschaftlichen Einrichtung verlangt. Selbst eine einfache ergebnisorientierte wissenschaftliche Begleitung der Erprobungsphase wird dabei jedoch aller Erfahrung nach regelmäßig einen Zeitraum von mehr als 12 Kalendermonaten umfassen. Zwar ist im Gesetzentwurf eine einmalige Verlängerung des Erprobungszeitraumes um weitere zwölf Monate vorgesehen, doch erscheint uns ein regelmäßiger initialer Erprobungszeitraum von 24 Monaten in Hinblick auf die Generierung eines Mindestmaßes an Evidenz für die Erzielung der erwarteten positiven Versorgungseffekte sachgerechter.
4. Sonstige Änderungen
Laut Gesetzentwurf in § 291b Abs. 1 SGB V hat die gematik bei ihren Vorgaben für die TI und den Datenaustausch zukünftig auch die auf europäischer Ebene getroffenen Festlegungen zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der erweiterten Aufgaben der nationalen Kontaktstelle zum grenzüberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten, ist diese europäische Abstimmung zwingend erforderlich. Im neugefassten § 291b Absatz 1 sollte daher die gematik verpflichtet werden, die europäischen Festlegungen nicht nur „zu berücksichtigen“, sondern diese konkret „anzuwenden“. Nur so ist sichergestellt, dass die Patientinnen und Patienten in Deutschland vollumfänglich von den Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Austausches von Gesundheitsdaten Gebrauch machen können. Der in der Folge entstehende europäische Raum für einheitliche Gesundheitsforschungsdaten ist eine Grundvoraussetzung für eine Vielzahl europaweiter Forschungsvorhaben im Bereich von Big Data und künstlicher Intelligenz.
Grundsätzlich zu begrüßen ist die Verlängerung der Löschfrist für Daten in § 304 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V von bislang vier auf nunmehr zehn Jahre. Begründet wird dies u.a. mit der verbesserten wissenschaftlichen Aussagekraft für die daraus abzuleitenden Erkenntnisse. Mit derselben Intention sieht der Gesetzgeber gleichzeitig für die im Zuge des Datentransparenzverfahrens für Forschungszwecke bereitgestellten Daten eine Löschfrist von bis zu dreißig Jahren vor. Deshalb schlagen wir vor, die Speicherdauer der Daten nach § 304 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V analog ebenfalls auf bis zu dreißig Jahre festzusetzen.
Wir unterstützen die im neuen § 68a SGB V ausgeweiteten Möglichkeiten der Krankenkassen, sich direkt an der Entwicklung digitaler Innovationen u.a. durch die Kooperation mit oder Beauftragung von Forschungseinrichtungen zu beteiligen. Die engere Zusammenarbeit der Kostenträger mit der medizinischen Forschung kann im Sinne einer schnelleren Translation von Forschungsergebnissen in die Regelversorgung dazu beitragen, die Versorgungsqualität zu verbessern und den Versicherten individuellere evidenzbasierte Präventions-, Therapie- und Nachsorgeangebote zu unterbreiten.
Schließlich begrüßen wir die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens in der Begründung zu Nummer 37 dokumentierte Klarstellung von § 630e Absatz 1 BGB, wonach die Aufklärung für medizinische Behandlungen auch mittels Fernkommunikationsmitteln möglich ist. Wir gehen davon aus, dass soweit die Nutzung von Forschungsdaten auf Basis von informierten Einwilligungen erfolgt, für diese keine höheren Anforderungen gelten können. Insbesondere für die Studienrekrutierung mittels App bzw. der Einbindung patientengenerierter digitaler Forschungsdaten aus dem Alltag („Citizen Science“) ist die Möglichkeit zur Einwilligung ohne Medienbruch etwa durch Videoberatung eine wichtige Akzeptanzvoraussetzung.
III. Nutzung der elektronischen Patientenakte für Zwecke der medizinischen Forschung
Die Bundesregierung hat es sich in ihrer Hightech-Strategie und der aktuellen Fortschreibung des Rahmenprogramms Gesundheitsforschung zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 eine forschungskompatible elektronische Patientenakte einzuführen. Aufgrund des erforderlichen technischen Vorlaufs müssen dabei bereits im laufenden Gesetzgebungsverfahren die Weichen für eine forschungskompatible Ausgestaltung der technischen Infrastruktur und Aktenstrukturen gestellt werden.
Eine solche forschungskompatible ePA muss intersektoral aufgebaut sein und dabei über die einheitliche Anwendung internationaler Standards die Vergleichbarkeit der enthaltenen Daten gewährleisten. Die Inhalte der ePA müssen in strukturierter Form vorliegen, sodass diese für die datengestützte Analyse großer Patientenkohorten zur Verfügung stehen. Bestehende Prozesse der sektoralen Leistungserbringer müssen in Hinblick auf die Qualität der in die ePA zu überführenden Daten überprüft und durchgängig digitalisiert werden. Bestehende Dokumentationslücken müssen geschlossen und notwendiger Kontext vertikal ergänzt werden. Auch zusätzliche Möglichkeiten der Integration der Selbstbeobachtung der Patientinnen und Patienten in Form von Patient-Reported Outcome (PRO) in den Behandlungszyklus sind zu schaffen und bringen die Patientinnen und Patienten in eine weitaus aktivere Rolle in Bezug auf die eigene Therapietreue. In der Summe wirkt die forschungskompatible ePA transformierend auf das Gesundheitssystem insgesamt. Schließlich ist eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Zustimmung der Patientinnen und Patienten zur Forschungsdatennutzung vorzusehen und die notwendige Governance für die erforderlichen Pseudonymisierungsdienste und die Datentreuhands- bzw. -zugangsstrukturen zu schaffen.
Soweit zukünftig zusätzliche Informationsobjekte in der ePA verfügbar gemacht werden, trifft auch dies auf unsere volle Zustimmung. Deren Auswahl und Priorisierung sollte sich allerdings weniger an Analogien zu bestehenden Papierdokumenten orientieren, sondern vielmehr an dem zu erwartenden Mehrwert für die Versorgungspraxis, die Patientensicherheit und dem Potential im Rahmen der Forschungsdatennutzung.
Analog des ursprünglich im Referentenentwurf des DVG vorgesehenen § 291h Abs. 7 SGB V sollte die Forschungsdatennutzung gegenüber der gegenwärtigen versorgungsbezogenen Zweckbindung und dem Offenbarungsverbot aus § 291a Abs. 4 und 8 SGB V privilegiert werden. Dies ist eine notwendige Bedingung für die rechtmäßige Ausleitung von Forschungsdaten aus der elektronischen Patientenakte. Tatsächlich griff der Referentenentwurf damit eine langjährige Forderung der medizinischen Verbundforschung auf, da medizinische Forscherinnen und Forscher nicht in jedem Fall zugleich Angehörige eines Heilberufes sind. Dies ist im Weiteren auch bei der Ausgestaltung der technischen Voraussetzungen zur Datenausleitung zu berücksichtigen.
Ebenso sollte die gematik bereits im Zuge des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens die gesetzliche Aufgabe zur Schaffung der technischen Voraussetzungen einer Forschungsdatenausleitung („Forschungsdatenschnittstelle“) aus der elektronischen Patientenakte erhalten. Dabei sollte diese wiederum auf gesetzlicher Grundlage die tatsächlichen Bedarfe der medizinischen Forschung in der Erstellung der einschlägigen Spezifikationen berücksichtigen. Es gilt zu vermeiden, dass die entstehende Schnittstelle inkompatibel zu bereits bestehenden oder im Aufbau befindlichen öffentlich-geförderten Infrastrukturen wie die der Medizininformatik-Initiative steht, unangemessene Investitionskosten und organisatorische Anforderungen auslöst oder ein Informationsverlust durch die Verwendung nicht standard-konformer Protokolle eintritt.
Um dies zu gewährleisten ist eine Abstimmung mit den zur Wahrnehmung der Interessen der Forschung im Gesundheitswesen maßgeblichen Bundesverbänden erforderlich. Dazu muss die Forschungsperspektive auf allen Entscheidungsebenen und bei allen Entwicklungsschritten eng eingebunden werden, unter anderem bei der gematik.
Wir schlagen daher vor, folgenden Auftrag innerhalb der gegenwärtigen Systematik als § 291b Abs. 1f neu in das SGB V aufzunehmen: „Die Gesellschaft für Telematik hat bis zum 30. Juni 2022 im Benehmen mit den für die Wahrnehmung der Interessen der Forschung im Gesundheitswesen maßgeblichen Bundesverbänden, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Daten der elektronischen Patientenakte auf Wunsch der Versicherten für die Nutzung zu medizinischen Forschungszwecken zur Verfügung gestellt werden können. Dabei ist unter Anwendung internationaler Standards und Prozesse ein verlustfreier Datenaustausch mit den im Rahmen der Medizininformatik-Initiative des Bundes im Aufbau befindlichen Infrastrukturen zu gewährleisten.“ Satz 1 spiegelt insofern den Wortlaut des § 291b Abs. 1 Satz 7 SGB V.
Mit Inkrafttreten des Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) am 11. Mai 2019 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf Grundlage von § 291b Abs. 1 Satz 7ff SGB V damit begonnen, die semantischen und syntaktischen Festlegungen der s.g. Medizinischen Informationsobjekte (MIO) als Inhalte der elektronischen Patientenakte zu definieren. Der Wortlaut der Vorschrift stellt allerdings gegenwärtig nicht sicher, dass die so definierten MI-Os tatsächlich Datenstrukturen enthalten, die nicht nur technisch über die zu schaffende Schnittstelle für Forschungszwecke ausgeleitet werden, sondern auch tatsächlich für Forschungszwecke nutzbar gemacht werden können. Hierzu müssen die in der elektronischen Patientenakte enthaltenen MIOs weit über ein elektronisches Abbild („PDF als Fax des 21. Jahrhunderts“) bisheriger Papierdokumente hinausgehend
- internationale Terminologien in hinreichend breiten Kerndatensätzen nutzen,
- eine detaillierte, präzise und qualitätsgesicherte Annotierung ermöglichen,
- und die deutschlandweit einrichtungsübergreifende einheitliche Verwendung erforderlicher Metadaten vorschreiben.
Wir schlagen daher vor, in den Wortlaut von § 291b Abs. 1 Satz 7ff SGB V das Ziel der Forschungskompatibilität aufzunehmen:
§ 291b Abs. 1 Satz 8 SGB V ist daher wie folgt neu zu fassen: „Sie hat dabei internationale Standards einzubeziehen und die Festlegungen nach § 31a Absatz 4 und 5 sowie die Festlegungen zur Verfügbarmachung von Daten nach § 291a Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 zu berücksichtigen sowie in Abstimmung mit den für die Wahrnehmung der Interessen der Forschung im Gesundheitswesen maßgeblichen Bundesverbänden, die Forschungskompatibilität in Hinblick auf § 291b Abs. 1f¹ zu gewährleisten.“
Der Terminus Forschungskompatibilität greift dabei die bereits in der Hightech-Strategie der Bundesregierung eingeführte Begrifflichkeit auf.
Im Rahmen der Datenbereitstellung ist die Frage der qualifizierenden Anforderungen an eine Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur Datennutzung zu beantworten. Vor dem Hintergrund, dass der oder die Einzelne per einfachem Papierausweis einer Organspende zustimmen kann, sollten für die Forschungsdatenbereitstellung, die ebenfalls im Sinne des Allgemeinwohls konkret Leben zu retten vermag, keine überbordenden Hürden errichtet werden. Grundlage einer Entwicklung von KI-Routinen in der medizinischen Forschung ist regelmäßig die Verfügbarkeit einer großen Zahl von „Lerndaten“. Deshalb ist es entscheidend, dass die der Datennutzung zu Grunde liegenden Einwilligungen der einzelnen Patientinnen und Patienten breit gefasst sind. Erst jüngst hat eine von der TMF e. V. in Auftrag gegebene repräsentative Studie² erbracht, dass 73 Prozent der Befragten sich die Möglichkeit zu einer einmaligen oder zumindest längerfristigen Einwilligung in die Forschungsdatennutzung ausdrücklich wünschen. Begleitend sollte der Bund ein Digital Health Literacy-Programm auflegen, um die Bürgerinnen und Bürger in der Wahrnehmung ihrer Patientenautonomie zu stärken.
Aus Sicht der Forschung ist mit Blick auf die Datengovernance entscheidend, dass dabei die vorhandenen oder z. B. innerhalb der Medizininformatik-Initiative bereits im Aufbau befindlichen Infrastrukturen auch für die Forschungsdatenbereitstellung aus der ePA heraus genutzt werden. Der Aufbau von Doppelstrukturen kostet nicht nur Geld und Zeit, sondern verhindert auch ein interoperables Datenpooling, das aber Grundvoraussetzung für eine Vielzahl von Erkenntnisprozessen ist. Forschende sollten zentral Nutzungsanträge stellen können und Patientinnen und Patienten sich an einem Ort über Forschungsvorhaben informieren und ihre Patientenrechte wirksam ausüben können. Wir regen vor dem Hintergrund der vorgesehenen Auflösung des Deutschen Institutes für Medizinische Dokumentation und Information mit Blick auf die Vielzahl der zu beteiligenden Stakeholder daher weiter an, frühzeitig eine unabhängige nationale Koordinierungsstelle zu schaffen, die sich ergebende Interoperabilitätsfragen prozessual bearbeitet und insbesondere auch für die Wirtschaft Planungssicherheit herstellt. Diese kann zugleich im gemeinsamen Interesse von Versorgung, Wissenschaft und Industrie als bundesweite Lizenzstelle der eingesetzten Terminologien fungieren.
Zur ethischen Dimension der Forschung mit Gesundheitsdaten gehört, die bereitgestellten Daten bestmöglich im Interesse der Patientinnen und Patienten nutzen zu können. Neben der beschriebenen interoperablen Struktur der Akteninhalte ist dabei die Qualität der Primärdokumentation entscheidend. Diese muss zukünftig in einheitlich strukturierter und elektronischer Form erfolgen. Elektronisch unterfütterte Arztbriefe und nachvollziehbare Laborverläufe sind dabei nicht nur ein Gewinn für die Forschung, sondern entlasten gleichermaßen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte und erhöhen die Patientensicherheit. Um die hierfür notwendigen Assistenzsystem zu entwickeln und zu evaluieren bedarf es eines klaren Fahrplanes, aber auch einer deutlichen monetären Incentivierung der freiwilligen vertieften Dokumentation. Schließlich sollte ein Programm zur Ausbildung und Anstellung von Data Curation Scientists im Rahmen Datenmanagements aufgelegt werden.
Fußnoten
¹ Dieser Verweis wäre an die tatsächliche zukünftige Gesetzessystematik anzupassen.
² http://www.tmf-ev.de/News/articleType/ArticleView/articleId/4456.aspx