Positionspapier der AG ZI der TMF zur Unterstützung des One-Health-Ansatzes in der Infektionsforschung
Berlin, 10. Februar 2014.
Zielsetzung dieses Positionspapiers
Die Infektionsforschung in Deutschland hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die zoonotischen Erreger, die zwischen Tieren und Menschen in beide Richtungen übertragen werden können, stellen dabei eine besondere Herausforderung dar.
Die Zielsetzung dieses Positionspapiers ist, den Bedarf für einen One-Health-Ansatz, d.h. für die gemeinschaftliche Bearbeitung von Fragen in der Infektionsforschung durch Human- und Tiermedizin, explizit zu formulieren und die Rahmenbedingungen dafür herauszuarbeiten. Insbesondere muss dafür die interdisziplinäre Vernetzung von Human- und Tiermedizin in diesem Forschungsbereich vorangetrieben werden, nachdem etwa 60% aller bekannten Infektionen des Menschen Zoonosen sind. Hierbei soll u.a. auf die Notwendigkeit der Bereitstellung von fachspezifischen Infrastrukturen und die Netzwerkbildung im Sinne der vom Wissenschaftsrat definierten sozialen Forschungsinfrastrukturen eingegangen werden¹’².
Einleitung
Infektionsmedizinische Fragen sind in Deutschland in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Gesellschaft gerückt. Insbesondere zoonotische Erreger, die zwischen Tieren und Menschen in beide Richtungen übertragen werden können, wurden von der interessierten Öffentlichkeit, von der Politik und den damit befassten Wissenschaftlern vermehrt betrachtet. Dabei zeigte sich, dass sowohl das Wissen aus der Human- wie auch aus der Tiermedizin von entscheidender Bedeutung ist, um zoonotische Infektionserkrankungen adäquat zu bewerten. So enthielt beispielsweise das Virus der Influenza-Pandemie von 2009/2010, der sogenannten „Schweinegrippe“, Genanteile von Schweine-, Vogel- und humanen Grippeviren. Wo Menschen und Tiere auf engem Raum zusammenleben und ihre Grippeerreger austauschen, können genetische Mischungen dieser Art jederzeit neu entstehen und für Menschen auf der ganzen Welt gefährlich werden.
In der Infektionsforschung hat aus diesem Grund die Vernetzung und Interdisziplinarität zwischen der Human- und Veterinärmedizin in den letzten Jahren stetig zugenommen. Gefördert wird diese durch verschiedene Verbundfördermaßnahmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), insbesondere durch die gemeinsame Forschungsvereinbarung zu Zoonosen der drei zuständigen Bundesministerien (BMBF, BMELV und BMG) in 2006, die Gründung der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen in 2009 sowie die Gründung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) im Jahr 2011.
Die Universitäten stellen auch im Bereich der Infektionsforschung die Grundlage für Forschung und Ausbildung und sind somit die Basis für Innovation. Seit 2008 unterstützt die Arbeitsgruppe Zoonosen und Infektionsforschung der TMF die disziplinübergreifende Vernetzung, indem sie Infektionsforscher aus Human- und Veterinärmedizin zusammenbringt und einheitliche Werkzeuge und Infrastrukturen schafft, um die Forschung, Prognose und Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu verbessern. Aktuelle Themen der AG Zoonosen und Infektionsforschung sind beispielsweise die „Dual-Use-Problematik“ und „Infrastrukturen in der Infektionsforschung“. Weitere Themen werden in Form von eigen-finanzierten Projekten bearbeitet („Aufbau einer Mikrobiologie-Datenbank“; „Gemeinsame Nutzung von Sekundärdaten für Fragen der Zoonoseforschung“, „Entwicklung differenzierter risikobezogener Brandschutz-Standards für S3-Laboratorien“) oder in Workshops mit Experten diskutiert („Geografische Informationssysteme (GIS) in der Zoonosenforschung“, „Elektronische Meldewege“). Die Ergebnisse der Workshops und Projekte sind in dem Papier berücksichtigt.
One-Health-Ansatz und Infektionsforschung
Die Globalisierung, die auch die internationalen Lebensmittelströme einschließt, und die zunehmende Anzahl von Ereignissen, bei denen Krankheitserreger Speziesgrenzen übersprungen haben, zeigt die hohe Relevanz des One-Health-Ansatzes in der Infektionsforschung auf. One Health kann allgemein verstanden werden als das interdisziplinäre, gemeinschaftliche Betrachten aller Aspekte der Gesundheit des Menschen, der Gesundheit der Tiere sowie der zwischen diesen interagierenden Prozesse. Im Sinn der Infektions- und darin der Zoonosenforschung ist hierbei das enge Zusammenwirken von Faktoren wie Tiergesundheit, Lebensmittelqualität und hygienischer Standard auf die Gesundheit der Bevölkerung und der Nutztiere auf globaler und nationaler Ebene gemeint. Eine qualitativ hochwertige veterinärmedizinische Versorgung von Tieren, ein gerechter Umgang mit Tieren, verbunden mit einer qualitätsgesicherten Lebensmittelherstellung, ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Prophylaxe von Infektionskrankheiten beim Menschen.
Als ein Beispiel für diesen interagierenden Komplex können hier die zunehmenden Multiresistenzen, insbesondere Antibiotikaresistenzen, genannt werden, die ein immer größer werdendes Problem in der medizinischen Versorgung darstellen. Im Rahmen des medizinischen Fortschritts besteht bei immer mehr Menschen mit schwersten Grundkrankheiten die Notwendigkeit zur Therapie, gleichzeitig sind diese Patienten aber auch in immer stärkerem Maße für Infektionen mit opportunistischen Krankheitserregern mit besonderen Antibiotikaresistenzen anfällig. Die dabei relevanten Aspekte der Multiresistenz sind ein gemeinsames Problem für Medizin, Veterinärmedizin, Landwirtschaft und Umwelt.
Voraussetzung für die Umsetzung des One-Health-Gedankens ist auf der Ebene der Wissenschaft und Forschung eine enge Zusammenarbeit zwischen diversen Wissenschaftsfeldern, die bislang häufig getrennt gearbeitet haben. Hierzu zählen neben der Human- und der Veterinärmedizin die Infektionsbiologie und –epidemiologie, sowie Umweltwissenschaften, aber auch Fächer aus der Agrar- und Ingenieurwissenschaften und anderer Disziplinen. Nur so können die Eigenschaften von Infektionserregern und Wirten, die zur Übertragbarkeit von Krankheiten zwischen Tier und Mensch beitragen, sinnvoll erforscht werden. Nur der interdisziplinäre Ansatz ermöglicht es, die Übertragungswege über Speziesgrenzen hinweg aufzuklären und epidemiologische Zusammenhänge zu erkennen. Diese Erkenntnisse machen es wiederum möglich, sinnvolle Prophylaxemaßnahmen zu entwickeln und zu implementieren.
Dieser Zusammenhang zwischen Tiergesundheit (Animal Health) und Humangesundheit (Public Health) rückt immer mehr in das Bewusstsein von Öffentlichkeit und Politik und muss daher angemessen wissenschaftlich begleitet werden.
Besonderheiten in der Infektionsforschung
Die Infektionsforschung unterscheidet sich von anderen Forschungsgebieten in mehrfacher Hinsicht. Die folgenden Besonderheiten der Infektionsforschung im Vergleich zu anderen Wissenschaftsbereichen sind für die folgenden Betrachtungen relevant:
- Die Infektionsforschung ist ein interdisziplinäres Feld in Human- und Tiermedizin, welches unter anderem die Bereiche Klinik, Immunologie, Genetik, Ökologie und Klimatologie, Epidemiologie, Grundlagenforschung, Seuchen- und Risikomanagement sowie Informationstechnologie umfasst. Dies erfordert ein großes Maß an Flexibilität und Zusammenarbeit über viele Disziplinen hinweg.
- Die Infektionsforschung hat wie jeder Teilbereich der Gesundheitsforschung eine zeitliche und eine räumliche Komponente. Da Infektionskrankheiten aber häufig nur temporär auftreten und in vielen Fällen eine unvorhersehbare Dynamik der Veränderung aufweisen, sind Epidemien zeitlich und geographisch häufig nicht vorhersagbar, so dass klassische Prognosen der Krankheitsentwicklung hier keine Gültigkeit haben.
- Der Umgang mit teilweise unbekannten Erregern zum Zeitpunkt eines Ausbruchs fordert eine schnelle Identifizierung und Risikobewertung (risk assessment). Voraussetzung hierfür sind funktionierende labortechnische, soziale und IT-Infrastrukturen, so dass basierend auf diesen Grundlagen ein zuverlässiges Risikomanagement erfolgen kann.
- Die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Ausbrüchen sowohl auf Human- als auch auf Veterinärseite unterliegt gesetzlich geregelten Anzeigepflichten und Meldeprozessen. In diesem Zusammenhang nehmen Bundes- und Landesbehörden verschiedene hoheitliche Aufgaben wahr. Diese Strukturen haben direkte Auswirkungen auf die Forschungslandschaft und es ergeben sich zusätzliche Anknüpfungspunkte und Kooperationsmöglichkeiten für die infektiologische Forschung.
Infrastruktureinrichtungen in der Infektionsforschung
Der Wissenschaftsrat definiert vier Typen von Forschungsinfrastrukturen: Großgeräte und Forschungsplattformen, Informationsinfrastrukturen, IT- oder e-Infrastrukturen und soziale Infrastrukturen. ¹’² Forschungsinfrastrukturen sind langfristig bis dauerhaft angelegt und bedürfen daher einer gesicherten und ausreichenden institutionellen Grundfinanzierung.
Soziale Infrastrukturen dienen gemäß der Definition des Wissenschaftsrats als „Ermöglichungsräume für wissenschaftliche Kommunikation unter Anwesenden, welcher gegenüber medientechnisch vermittelter Kommunikation eine eigene, inkommensurable Bedeutung für den Prozess der Wissenschaft zukommt.“ ¹ Zu den Informationsinfrastrukturen gehören nach der Definition des Wissenschaftsrats wissenschaftliche Datenerhebungen, Datensammlungen und Datenbanken einschließlich Forschungsdaten- und Datenservicezentren, Archive, Bibliotheken, objektbezogene Sammlungen und andere.² Für den Bereich der Infektionsforschung kann dies auf Biobanken, die immer sowohl das Biomaterial als auch Daten zu den Proben umfassen, und andere systematische Sammlungen von Bio- oder Referenzmaterialien, wie Stammsammlungen usw., erweitert werden. Weiterhin müssen in diesem Kontext auch Literatur- und Sequenzdatenbanken genannt werden. Diese Strukturen sind grundsätzlich institutsintern zur Unterstützung der Aufgaben der jeweiligen Einrichtung sowie seiner nachgeordneten Behörden eingerichtet, können jedoch teilweise auch von Forschern weiterer Einrichtungen genutzt werden. Effektive Lösungen, auch kleinere oder unbekannte Sammlungen bekannt zu machen und langfristig zu erhalten, fehlen bisher jedoch weitestgehend. Entscheidend ist hierbei vor allem die kontinuierliche Qualitätssicherung.
Einen wichtigen Beitrag auf dem Gebiet der Informationsinfrastrukturen leistet für den Bereich der Biomaterialbanken das Deutsche Biobanken Register (DBR), in dem deutschlandweit Sammlungen humaner Bioproben geführt werden.³ Es wird mit Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) bei der TMF betrieben und trägt zur Transparenz auf dem Gebiet der Biobanken-Forschungsinfrastrukturen bei.Eine weitere wesentliche Forschungsinformationsinfrastruktur im Bereich der Daten- und Probensammlungen ist die Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig.⁴
Mit Bezug zur Infektionsforschung existieren in Deutschland verschiedene Bundes- und Landeseinrichtungen, die im Rahmen ihrer hoheitlichen Aufgaben und wissenschaftlichen Forschung vielfältige Forschungsinfrastrukturen betreiben.
So stellen medizinische und veterinärmedizinische Referenz- und Konsiliarlaboratorien eine wesentliche Infrastruktur für den Bereich Diagnostik dar.
Das Friedrich-Loeffler-Institut – Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI)⁵ im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bildet mit an mehreren Standorten angesiedelten Instituten ein enges Netzwerk an wissenschaftlichen und informationstechnischen Strukturen zur Bearbeitung von Fragen im Bereich Tiergesundheit, Tierprodukte und Tierschutz. Bei der Bearbeitung von Tierseuchenerregern steht bereits der One-Health-Gedanke im Vordergrund, da Tierseuchen in weiten Teilen Zoonosen sind und somit Einfluss auf den Public-Health-Bereich haben.
Das Robert Koch-Institut (RKI)⁶ ist die zentrale Einrichtung des Bundes auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention und gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Die Kernaufgaben des RKI sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere der Infektionskrankheiten.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI)⁷ gehört als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel ebenfalls zum Geschäftsbereich des BMG. Aufgaben sind u.a. die Genehmigung klinischer Prüfungen und die Zulassung von Impfstoffen für Human- und Tiermedizin.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)⁸ im Geschäftsbereich des BMEL hat die Aufgabe, den gesundheitlichen Verbraucherschutz zu stärken. Ein wichtiger Teilbereich ist die Kontrolle der Lebensmittelüberwachung und die Prävention lebensmittelbedingter zoonotischer Ausbrüche beim Menschen.
Weiterhin von Bedeutung und ebenfalls im Geschäftsbereich des BMEL ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)⁹, an dem die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) angesiedelt ist.
Auch verschiedene BMBF-geförderte Forschungsverbünde haben für die Infektionsforschung relevante Infrastrukturen aufgebaut.
Hier sind zunächst die Forschungsverbünde zu Zoonosen zu nennen, die sämtliche vier Typen von Infrastrukturen beinhalten. Hierzu zählen u.a. verschiedenste Proben- und Datenbanken. Hier besteht das aktuelle Problem, diese nach Auslaufen der BMBF-Förderung als Informations- und soziale Infrastrukturen in die Nachhaltigkeit zu überführen.
Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen wurde 2009 gegründet¹⁰ und kann als eine der zentralen sozialen und Informationsinfrastrukturen in diesem Forschungsbereich angesehen werden. Unter dem Dach der Zoonosenplattform wurde eine umfangreiche Datenbank mit Informationen zu Wissenschaftlern, verfügbaren Zelllinien und aktuellen Probensammlungen in der Zoonosenforschung aufgebaut.
Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) befindet sich zurzeit in der Aufbauphase und wird sich in elf Schwerpunktthemen mit der Erforschung von Infektionskrankheiten beschäftigen.
Eine der zentralen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem One-Health-Ansatz besteht darin, die an den oben aufgeführten Institutionen vorhandenen Proben- und Datensammlungen sowie weitere Infrastrukturen wissenschaftlich zugänglich zu machen und, soweit möglich, miteinander zu vernetzen. Zum aktuellen Zeitpunkt sind die Schnittstellen und Kooperationen zwischen diesen unterschiedlichen Einrichtungen deutlich ausbaufähig.
Meldesysteme und Meldewege
Meldesysteme gehören zu den informationstechnischen Infrastrukturen und bestehen einerseits aus Hardware-Komponenten, aber auch aus in Netzwerken organisierten Rechenleistungen und überregional bzw. institutsübergreifend organisierten Softwarelösungen. Zielsetzung von Meldesystemen ist die standardisierte Überwachung von Krankheitsgeschehen sowohl beim Menschen als auch bei Tieren, um die Surveillance und Prävention zu verbessern und bei Krankheitsausbrüchen schnell reagieren zu können.
Lebensmittelassoziierte Ausbrüche, wie der EHEC-Ausbruch im Jahre 2011 und der Norovirus-Ausbruch im Jahr 2012 haben die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und die schnelle Kommunikation zwischen Behörden des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Lebensmittelbehörden eindrücklich aufgezeigt.
Grundsätzlich verlaufen in Deutschland die Meldewege zu Infektionskrankheiten in Human- und Tiermedizin aber getrennt. Die Daten werden je nach Herkunft (Tier, Lebensmittel, Mensch) und Erhebungsgrund (Ausbruch, Überwachung, etc.) separat in unterschiedlichen Datenbeständen, an unterschiedlichen Institutionen und unter verschiedenen Hoheitsbereichen (Länder, Bund) gesammelt. Schnittstellen zwischen diesen Informationsquellen sind bisher nur sehr selten vorgesehen bzw. etabliert, so dass teilweise parallele Berichtsstränge existieren. Es stellt sich daher die Frage, ob sich einheitliche bzw. vernetzende Strukturen oder Informationswege schaffen lassen, die im Sinne des One-Health-Ansatzes einen sinnvollen Mehrwert für die Human- und Tiergesundheit erzeugen.
- Die Wissenschaftler in der AG Zoonosen und Infektionsforschung der TMF prüfen zurzeit im Rahmen einer Machbarkeitsstudie die Möglichkeiten und Grenzen der Vernetzung vorhandener epidemiologischer Datenbanken zwischen der Human- und Tiermedizin in Deutschland.
Soziale Infrastrukturen – Netzwerke in der Infektionsforschung
Zentral für die Verstärkung des One-Health-Gedankens in der Infektionsforschung sind die sozialen Infrastrukturen. Diese sind sehr vielfältig, entstehen häufig im Zusammenhang mit anderen Infrastrukturen und können reale oder virtuelle Begegnungs- und Diskursräume sein. Langfristig angelegte oder auch projektbezogene Netzwerke, Plattformen und Arbeitsgruppen sind typische soziale Infrastrukturen. Auch regelmäßig stattfindende Veranstaltungen können soziale Infrastrukturen darstellen.
Zu den sozialen Infrastrukturen in der Infektionsforschung sind in erster Linie die relevanten Fachgesellschaften und ihre Jahrestagungen zu zählen. Diese bieten neben dem fachlichen Austausch soziale Community-Strukturen und werden zudem als „Sprachrohre“ zur Informationsverbreitung relevanter Themen genutzt.
Eine etablierte soziale Infrastruktur ist die TMF mit ihren themenbezogenen aber fachübergreifenden Arbeitsgruppen, mit der für diese Betrachtung wichtigen AG Zoonosen und Infektionsforschung. Dort findet ein kontinuierlicher Austausch zu aktuellen Fragen der Infektionsforschung zwischen den BMBF-geförderten Forschungsverbünden zu Zoonosen statt.
Die zwölf Forschungsverbünde zu zoonotischen Infektionskrankheiten bilden eine wertvolle soziale Infrastruktur in ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Community.
Gleichzeitig schlagen sie eine Brücke zwischen Universitäten und Bundesinstituten.
Eine weitere, inzwischen im fünften Jahr geförderte, soziale Infrastruktur ist die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen. Das Besondere der Zoonosenplattform ist, dass diese, ganz im Sinne des One-Health-Gedankens, Mikrobiologen, Infektiologen und Epidemiologen aus Human- und Veterinärmedizin in sich vereint und damit den wichtigen Bereich der Translation in Richtung Prophylaxe aus der Perspektive der gesamten (Human- bzw. Tier-) Populationen abdeckt.
Diese Ausrichtung ist komplementär zu der des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) zu sehen, welches sich schwerpunktmäßig auf die Translation in Richtung der Behandlung von Infektionskrankheiten fokussiert. Mit den neu gegründeten Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, wie dem für diese Betrachtung relevanten DZIF oder dem Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) entstehen neue Forschungsinfrastrukturen, die sich in den nächsten Jahren auch zu sozialen Netzwerken für die jeweiligen Fachgebiete entwickeln werden.
Eine der großen Herausforderungen wird darin bestehen, zwischen den verschiedenen existierenden sozialen Netzwerken und Infrastrukturen einen kontinuierlichen partnerschaftlichen Dialog und Austausch zu entwickeln. Hierbei ist eine Interaktion der diversen betroffenen Forschungsrichtungen sowie die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Forschung an Universitäten, Groß- und Ressortforschungseinrichtungen erforderlich. Des Weiteren sollten neben den fachlichen auch die juristischen Möglichkeiten zur Nutzung von Forschungsinformationen zwischen diesen Partnern geebnet werden. Diese Verbindungen bergen ein großes Potential für das Voranbringen des One-Health-Gedankens, nicht zuletzt auch durch die verschiedenen Nachwuchsprogramme dieser Plattformen und Verbünde.
Fazit und Ausblick
Der One-Health-Gedanke formuliert aufgrund seiner Komplexität besonders hohe Ansprüche an die Infektionsforschung und die beteiligten Fakultäten und Forschungseinrichtungen. Diese Zusammenhänge sollten den Akteuren in Forschung und Forschungsförderung daher immer wieder nahe gebracht werden und sich idealerweise auch im Förderhandeln widerspiegeln.
In Deutschland existiert eine Vielzahl von Einrichtungen und Instituten, die Infektionsforschung betreiben und zum Teil hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Das in diesen Institutionen vorhandene Know-How sollte daher angemessen vernetzt und gebündelt werden und Strukturen geschaffen werden, die ein aktives Leben des One-Health-Konzepts möglich machen. Insbesondere ist zu fordern, dass
- Maßnahmen ergriffen werden, die die wissenschaftliche Nutzung bestehender Daten und biologischer Proben auch für Dritte möglich machen
- neue Förderprogramme begründet werden, die eine kontinuierliche unabhängige Forschung im Bereich One Health möglich machen
- die Arbeitsgruppe Zoonosen und Infektionsforschung (AG ZI) der TMF und die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen den interdisziplinären Austausch weiter vorantreiben können, um damit die infektionsmedizinischen Kenntnisse in Human- und Tierpopulationen zu vertiefen und zu verstetigen
- die Aktivitäten des DZIF bei der Translation in Richtung der Behandlung von Infektionskrankheiten auf Ebene von Patienten um eine komplementäre Struktur mit Schwerpunkt auf der Zoonosenforschung ergänzt wird.
Der Erhalt der Funktionsfähigkeit der beschriebenen Infrastrukturen und ihr weiterer Ausbau in diesem Sinne sind für die Umsetzung des One-Health-Gedankens im Bereich der Infektionsforschung und die damit verbundene erfolgreiche Bekämpfung von Infektionskrankheiten unbedingt notwendig.
Über die TMF
Die TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (kurz: TMF) ist die Dachorganisation für die medizinische Verbundforschung in Deutschland. Sie ist die Plattform für den interdisziplinären Austausch und die projekt- wie standortübergreifende Zusammenarbeit, um gemeinsam die organisatorischen, rechtlich-ethischen und technologischen Probleme der modernen medizinischen Forschung zu identifizieren und zu lösen. Die Lösungen reichen von Gutachten, generischen Konzepten und IT-Anwendungen über Checklisten und Leitfäden bis zu Schulungs- und Beratungsangeboten. Die TMF stellt diese Lösungen frei und öffentlich zur Verfügung.
Im Zentrum der fachlichen Arbeit der TMF steht der interdisziplinäre Dialog in den Arbeitsgruppen. Die Arbeitsgruppen und Foren der TMF sind die Gremien, in denen die wissenschaftlichen Delegierten der Forschungsverbünde und -einrichtungen ihre Erfahrungen austauschen, sich gegenseitig sowie auch externe Partner beraten und Stellungnahmen zu aktuellen Fragen mit (forschungs-)politischer Relevanz erarbeiten und konsentieren. Darüber hinaus initiieren die Arbeitsgruppen TMF- oder Drittmittelprojekte, begleiten ihren Verlauf und unterstützen die Implementierung der Ergebnisse an den Standorten.
Die AG Zoonosen und Infektionsforschung
Die Arbeitsgruppe Zoonosen und Infektionsforschung schafft einheitliche Werkzeuge, die die Forschung zu und die Vorhersage sowie die Bekämpfung von Zoonosen und anderen Infektionskrankheiten verbessern. In der Arbeitsgruppe kommen Wissenschaftler aus den Bereichen Human- und Veterinärmedizin sowie aus der biomedizinischen Grundlagenforschung zusammen. Mitglieder der Arbeitsgruppe sind Human- und Veterinärmediziner, Informatiker, Biologen, Biochemiker und Infektionsbiologen, die in den unterschiedlichen Feldern der Infektionsforschung - Bakteriologie, Virologie, Parasitologie, Epidemiologie, Klinik - an Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Bundesinstituten tätig sind.
Internet: www.tmf-ev.de
Fußnoten
¹ Wissenschaftsrat, Übergreifende Empfehlungen zu Informationsinfrastrukturen, Berlin 2011, Drs. 10466-11
² Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020, Berlin 2012, Drs. 2359-12