Kommentar zum Beschlussantrag „Schutz von Patientinnen und Patienten bei der genetischen Forschung in einem Biobanken-Gesetz sicherstellen“
Berlin, 26. November 2010. Kommentar der TMF und ihrer AG Biomaterialbanken zum Beschlussantrag der Abgeordneten Priska Hinz, Brigitt Bender, Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Ulrike Höfken und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen an den Deutschen Bundestag.
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Grundsätzlich begrüßt die TMF dass sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Biobank-Thematik annimmt. Wenn es gelingt, in Deutschland durch gesetzgeberische Maßnahmen einen Beschlagnahmeschutz für Biobanken sowie eine Proben- und Datennutzung auf der Grundlage eines weit gefassten Informed Consent zu erreichen, so kann dies nur im Interesse von Biobank-Betreibern und medizinischer Forschung sein.
Es fällt allerdings auf, dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen in maßgeblichen Punkten entweder nicht den Empfehlungen des Deutschen Ethikrats (DER) vom 15. Juni 2010 bzw. dessen Unterrichtung an den Deutschen Bundestag in der Drucksache 17/2620 vom 09. Juli 2010 folgt oder weit über diese hinausgeht.
- So hat der DER keineswegs die Notwendigkeit eines umfassenden Biobank-Gesetzes postuliert, sondern lediglich die gesetzliche Verankerung eines Biobank-Geheimnisses vorgeschlagen, das wiederum durch weitere Maßnahmen u. a. zur Qualitätssicherung (Anpassungen existierender Vorschriften u. Verordnungen, Leitlinien, SOPs etc.) ergänzt wird.
- Auch die Forderung, grundsätzlich vor jeder wissenschaftlichen Nutzung von Proben und Daten das Votum einer Ethikkommission (EK) einzuholen und dies gesetzlich vorzuschreiben (Antrag S. 2, Zeile 69-73), steht nicht im Einklang mit den Vorschlägen des DER. Außer in Fällen, bei denen personenbezogenen Daten verwendet werden, hält es der DER vielmehr für ausreichend, wenn Biobanken regelmäßige Berichte über ihre Aktivitäten veröffentlichen, die dann durch eine EK zu bewerten seien (BT-Drs 17/2620, S. 18, 55).
Kernprobleme des vorliegenden Antrags aus Sicht der TMF
- Der gesetzliche Regelungsbedarf für Biobanken wird im Antrag nicht hinreichend deutlich. Wo sind die Präzedenzen eines missbräuchlichen Umgangs mit Biobankproben in Deutschland, der durch ein solches Gesetz dringend unterbunden werden müsste? Die vom DER geforderte gesetzliche Verankerung eines Biobanken-Geheimnisses verfolgt doch gerade das Ziel, Forschung nicht zu erschweren, sondern die Nutzung von Proben und Daten auf hohem datenschützerischem und ethischem Niveau zu vereinfachen und juristische Grauzonen künftig zu vermeiden.
- Im Antrag fehlen Vorschläge zur Sanktionierung von Verstößen gegen das vorgeschlagene Gesetz. Wie und durch wen soll dessen Einhaltung kontrolliert werden, wer soll im Bedarfsfall wie bestraft werden? Welche Folgen hätte eine Strafbewehrung für die Forschungspraxis?
- Der Antrag enthält eine Reihe von Suggestivargumenten und verkennt die gängige Praxis der meisten existierenden Biobanken. Viele der vorgeschlagenen Regelungen wurden von exponierten Biobanken bereits schon heute aus reinem Eigennutz umgesetzt.
- Es wird nicht hinreichend zwischen „Biobanking“ und (genetischer) Forschung unterschieden. Wegen der gestiegenen technischen und inhaltlichen Anforderungen, wird sich das Biobanking zunehmend professionalisieren und von der eigentlichen Forschungsarbeit entkoppeln.
Spezifische Kommentare zum Antrag
1. Vermeintliche Regelungslücken im GenDG
Der Antragsentwurf bezieht sich in seiner Rechtfertigung auf vermeintliche Regelungslücken im Gendiagnostikgesetz (GenDG) (Antrag S. 1, Zeilen 33-40 und 42-47). Aus Sicht der TMF gibt es solche Regelungslücken im GenDG nicht. Wir verweisen hierzu auf unsere Stellungnahme zum GenDG vom 28.07.2008.
Aufgabe des GenDG ist laut Präambel die Sicherstellung von Qualität und Sicherheit an der Schnittstelle zwischen Patient und Genetik. Diese Schnittstelle ergibt sich in der Forschung - außer im relativ kleinen Bereich der translationalen Forschung – aber gar nicht. Daher hat der Gesetzgeber die Forschung auch bewusst aus dem Anwendungsbereich des GenDG herausgenommen, wohl wissend, dass eine Abwägung der Interessen von Wissenschaft und Probanden im Wege der praktischen Konkordanz schwierig durch ein Gesetz zu realisieren ist. Diese Situation hat sich bis heute nicht geändert.
Das TAB-Gutachten kann an dieser Stelle (S. 1, Zeilen 35-36) nicht als Argumentationshilfe herangezogen werden, da es deutlich vor Bekanntwerden des Wortlauts des GenDG entstanden ist. Auch der Aufruf zu gesetzlichen Regelungen durch die Konferenz der Datenschutzbeauftragten von 2001 (S. 4, Zeilen 159-167) datiert deutlich vor maßgeblichen Weiterentwicklungen wie den NER/DER-Stellungnahmen (2004/2010) und dem TMF-Datenschutzkonzept (2006).
2. Spenderschutz
Der Antrag hebt besonders auf die Unterbindung fremdnütziger Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen ab (S. 1, Zeilen 42-47, S. 5, Zeilen 213-226). Aus der im Text dargestellten Sicht wäre jede Grundlagenforschung zu medizinischen Problemen nicht einwilligungsfähiger Menschen „fremdnützig“. Da es aber ohne eine solche Forschung auch keine erfolgreiche Therapie geben wird, kann bei den Betroffenen aus Sicht der TMF ein Eigennutz, mindestens aber ein Gruppennutzen konstatiert werden. Die genannte Personengruppe systematisch vom medizinischen Fortschritt auszuschließen, wäre nach Auffassung der TMF ethisch, juristisch und gesundheitspolitisch bedenklich.
3. Zweckbindung
In den Erläuterungen zum Biobankgeheimnis wird das Wort „Zweckbindung“ (S. 2, Zeile 64) missverständlich verwendet. Gemeint ist an dieser Stelle wahrscheinlich die strikte Bindung an den Zweck „Forschung“ an sich, nicht die Binding an einen spezifischen Forschungszweck.
4. Einbindung von Ethikkommissionen
Die Forderung nach einer frühzeitigen, obligatorischen Einbindung der EKs (S. 2, Zeilen 69-73) trägt den differenzierten Empfehlungen des DER nicht Rechnung. Außerdem verfügen EKs über ganz unterschiedliche Kompetenzen und Zielrichtungen, wie von den Antragstellern in ihrer Begründung selbst bemängelt wird (S. 4, Zeilen 159-172 und S. 4/5, Zeilen 201-211. Nicht zuletzt deswegen können EKs keine bundesweit einheitlichen Empfehlungen geben. Wenn nun aber den EKs eine juristische Zuständigkeit (wie im Antrag vorgesehen) zufällt, so wird dies mit einiger Sicherheit zu einer uneinheitlichen Rechtspraxis in Deutschland führen. Obwohl die TMF die Empfehlungen des DER weitgehend begrüßt und unterstützt (siehe TMF-Stellungnahme vom 15.06.2010), müssen einige der Anregungen noch besser hinsichtlich ihrer praktischen Konsequenzen durchdacht werden. Hierzu gehört insbesondere die Einbeziehung der EKs, deren übereilte und vorschnelle gesetzliche Regelung im Interesse aller Beteiligten vermieden werden sollte.
5. Aufklärung der Spender
Die angemahnte umfassende Aufklärung der Spender und die Gewährung eines Widerrufsrechts (S. 2, Zeilen 77-83) sind bei deutschen Biobanken bereits gängige Praxis. Soweit möglich, holen alle in der TMF organisierten Biobanken (aus den medizinischen Kompetenznetzen, dem NGFN etc.; siehe www.biobanken.de) zu Studien, die auf ihren Proben und Daten basieren, Voten der lokalen EKs ein. Ansonsten würden die Forschungsvorhaben Gefahr laufen, dass sie weder förderfähig noch publizierbar wären.
6. Nutzung personenbezogener Daten
Die Nutzung personenbezogener Daten (S. 2, Zeilen 84-86) in anonymisierter bzw. pseudonymisierter Form sowie die Vernichtung bzw. Weiterverwendung von Proben und Daten nach Erreichen des Forschungsziels (Seite 2, Zeilen 87-91) sind bereits im Bundesdatenschutzgesetz geregelt. Eine redundante oder widersprüchliche Regelung in einem Biobankengesetz wäre mit dem Ziel eines transparenten und verständlichen Rechtsrahmens nicht vereinbar. Es sei an dieser Stelle auch daran erinnert, dass für eine nachhaltige Forschung mit Biobankproben deren zeitlich unbefristete, pseudonymisierte Nutzung als Option beworben und in den Vordergrund geschoben werden muss. Nur so können zeitliche Verläufe von Erkrankungen erforscht und hierfür aktuelle Analyse-Techniken eingesetzt werden.
7. Vermittlung gesundheitsrelevanter Informationen an Spender
Es bleibt unklar, was die Antragsteller mit „Auskunft über die wesentliche[n], auf ihre Gesundheit bezogenen Erkenntnisse der Forschungsarbeiten“ (S. 3, Zeilen 102-106) meinen. Ein solche Auskunft kann nur in einer allgemeinen, nicht auf die einzelne Person bezogenen Form gegeben werden, da Ergebnisse aus Forschungsprojekten in der Regel für eine sinnvolle Beurteilung ihrer individuellen medizinischen Relevanz nicht hinreichend validiert sind. Außerdem besteht bei einer weitgehenden individuellen Auskunft leicht die Gefahr, dass ein medizinisches Forschungsvorhaben in den Geltungsbereich des GenDG gerät.
8. Internationale Schutzstandards für internationalen Proben- und Datenaustausch
Bei der grundsätzlich zu unterstützenden Forderung nach verbindlichen internationalen Schutzstandards zum Austausch von Proben und Daten (S. 3, Zeilen 112-114) stellt sich die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit solcher Standards in nationalen Gesetzen. Selbst innerhalb der EU klafft die Rechtspraxis an verschiedenen, für den Betrieb von Biobanken maßgeblichen Stellen auseinander (siehe Goebel JW, et al. Legal and ethical consequences of international biobanking from a national perspective: The German BMB-EUCoop project. Eur J Hum Genet 2010, 18, 522-525).
Spezifische Kommentare zur Antragsbegründung
1. Anlegen von Biobanken
Mit Blick auf die Begriffserläuterung „Anlegen einer Biobank“ (S. 3, Zeile 122-132) möchten wir feststellen, dass Studien zur Erforschung komplexer Erkrankungen zwar auf Proben- und Datensammlungen basieren, per se aber noch keine Biobank bilden. Günstigenfalls gehen die Proben und Daten am Ende einer Studie in eine Biobank über. Erst in diesem Fall werden Fragen nach der langfristigen und weitreichenden Nachnutzung relevant. Hinsichtlich des akuten Regelungsbedarfs sei darauf verwiesen, dass medizinisch-wissenschaftliche Studien bereits seit Jahrzehnten unter Berücksichtigung genetischer Fragestellungen betrieben werden. Werden diese Studien lege artis durchgeführt, so zeigt die Erfahrung, dass der bisherige rechtliche Rahmen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Proben und Daten ausreicht.
2. Extraktion genetischer Muster zur Probenidentifikation
In der Begründung des Antrags wird angedeutet, dass das Erfassen genetischer Muster aus Biobankproben quasi ein Bestandteil des Aufbewahrungsprozesses darstelle (Seite 3, Zeile 134-140), der zur Re-Identifikation des Spenders dienen soll. Der TMF ist kein Fall bekannt, in dem eine Biobank genetische Muster aus Proben extrahiert hätte, um damit die Identifizierbarkeit ihrer Proben sicherzustellen. Im Gegenteil, die heute gängige Untersuchungs- und Aufbewahrungspraxis von Biobanken dient gerade der Vermeidung einer unzulässigen Re-Identifizierung von Proben und Daten. Hierzu hat die TMF generische Lösungen entwickelt, die u. a. mit dem AK Wissenschaft der Landesdatenschutzbeauftragten abgestimmt worden sind.
3. Einrichtung einer „Nationalen Biobank“
Der TMF ist nicht bekannt, dass das BMBF die Einrichtung einer „Nationalen Biobank“ (S. 3, Zeilen 145-147) plant. Vielmehr hat das BMBF eine Ausschreibung zur Förderung einer nationalen Biobanken-Initiative unternommen, die an ausgewählten Standorten (z.B. Universitätsklinika) den Aufbau zentralisierter Infrastrukturen für lokale Biobanken fördern soll (http://www.bmbf.de/foerderungen/14844.php). Falls sich die Aussage in der Antragsbegründung auf die Nationale Kohorte bezieht, so sei darauf verwiesen, dass auch diese Initiative zunächst keine Biobank im eigentlichen Sinn anstrebt.
4. Reglementierung medizinisch orientierter Forschung mit Biobankproben
Medizinische Forschung an Proben und Daten einer Biobank (S. 4, Zeilen 191-199) ist kein ärztliches Handeln per se, das einer besonderen berufsständigen Reglementierung bedarf. Die Rahmensetzung durch Datenschutzgesetze und Hinzuziehen der EKs ist nach Einschätzung der TMF hinreichend.
Für die TMF e.V. und ihre AG Biomaterialbanken:
Prof. Dr. Michael Hummel, Berlin
Prof. Dr. Michael Krawczak, Kiel
Dr. Dr. Michael Kiehntopf, Jena
Prof. Dr, Jürgen Goebel, Bad Homburg
Dr. Sara Demiroglu, Göttingen
Johannes Drepper, Berlin
Sebastian Claudius Semler, Berlin
Dr. Roman Siddiqui, Berlin
Hintergrund
TMF e.V.
Als Dachorganisation leistet die TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. einen wesentlichen Beitrag dazu, die Organisation und Infrastruktur der medizinischen Forschung in vernetzten Strukturen zu verbessern. Wer patientenorientierte Forschung an verteilten Standorten betreibt, steht vor organisatorischen, rechtlich-ethischen und technologischen Herausforderungen, die in der biomedizinischen Forschung noch relativ neu sind. Mit dem Ziel, diese Probleme gemeinsam zu identifizieren und zu lösen, haben sich zahlreiche Forschungsverbünde in der TMF zusammengeschlossen. Bei den Mitgliedern der TMF handelt es sich um daher überregionale Netzwerke und vernetzt arbeitende Einrichtungen der medizinischen Forschung.
AG Biomaterialbanken
In der Arbeitsgruppe Biomaterialbanken der TMF kommen Wissenschaftler und Biobank-Betreiber zusammen, um gemeinsam Antworten auf rechtliche, ethische, organisatorische und technologische Fragen zum Aufbau und Betrieb von humanen Biobanken für die medizinische Forschung zu entwickeln. Aus der Arbeit der AG sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Rechtsgutachten, Musterverträgen, Konzepten für Datenschutz und Patienteneinwilligungen, eine Checkliste zur Qualitätssicherung sowie Empfehlungen zur IT-Strategie für Biobanken hervorgegangen und konnten durch die TMF öffentlich verfügbar gemacht werden.
Deutsches Biobanken-Register
Transparenz und eine bessere Nutzung von Ressourcen – das sind die vorrangigen Ziele des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes „Deutsches Biobanken-Register“, dessen Ausbau durch die TMF im März 2010 gestartet wurde. Das Register soll neben den Kontaktdaten, Kerninformationen über alle für die medizinische Forschung relevanten Biobanken in Deutschland enthalten, wodurch ein effektiver und strukturierter Zugang zu dieser nationalen Wissenschaftsressource möglich wird. Das Register wird dazu beitragen, die deutschen Biobanken national wie international besser sichtbar zu machen, und wird die Forscher dabei unterstützen, gemeinsam Qualitätsstandards für Biobanken zu entwickeln.
Weitere Informationen:
www.tmf-ev.de | www.biobanken.de
Ansprechpartner:
Dr. Roman Siddiqui, Tel.: 030–31 01 19 73 | E-Mail: roman.siddiqui@tmf-ev.de