Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-Anpassungsgesetz-EU – MPAnpG-EU)
Berlin, 20. September 2019. Gemeinsame Stellungnahme der TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. und GMDS – Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
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TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.
Charlottenstraße 42
10117 Berlin
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Geschäftsführer
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sebastian.semler@tmf-ev.de
Prof. Dr. Rainer Röhrig
Vorstand für Medizinprodukteforschung
rroehrig@ukaachen.de
GMDS – Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
Industriestraße 154
50996 Köln
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Tel.: +49 (0) 2236 - 33 19 958
Beatrix.Behrend@gmds.de
Dr.-Ing. Myriam Lipprandt
Sprecherin PG SaMD
mlipprandt@ukaachen.de
Über die TMF
Die TMF - Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (kurz: TMF) ist mit gegenwärtig 65 Mitgliedern und ihren mehr als einhundert Standorten bundesweit die Dachorganisation für die medizinische Verbundforschung in Deutschland. Sie ist Plattform für den interdisziplinären Austausch und die projekt- wie standortübergreifende Zusammenarbeit, um organisatorische, rechtlich-ethische und technologische Probleme der modernen medizinischen Forschung zu identifizieren und zu lösen. Die als gemeinnützig anerkannte TMF stellt diese Lösungen frei und öffentlich zur Verfügung. Mit dem Aufbau tragfähiger Infrastrukturen für die medizinische Forschung leistet die TMF einen Beitrag zur Stärkung des Wissenschaftsstandortes Deutschland im europäischen wie internationalen Wettbewerb.
Über die GMDS
Die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. ist eine unabhängige wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft, deren vorrangiges Wirkungsfeld in der Medizinischen Informatik, der Medizinischen Biometrie, der Epidemiologie, der Medizinischen Bioinformatik und Systembiologie, einschließlich der Medizinischen Dokumentation in Theorie und Anwendung, in Forschung und Lehre, liegt. Zurzeit ist die GMDS mit ca. 2.000 Mitgliedern die einzige wissenschaftliche Fachgesellschaft für diese fünf Disziplinen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie engagiert sich bei der Planung der Förderungsmaßnahmen der Öffentlichen Hand, in Fragen der Standardisierung und Normung, bei der Errichtung von Lehrinstitutionen, bei Ausbildungs-, Weiter- und Fortbildungsfragen und bei Gesetz gebenden Maßnahmen.
I. Zum Gesetzentwurf allgemein
Die TMF - Technologie- und Methodenplattform für vernetzte medizinische Forschung e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. begrüßen das mit dem vorgelegten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/74 (Medizinprodukte-Anpassungsgesetz-EU – MPAnpG-EU) verfolgte Ziel, das stark ausdifferenzierte deutsche Medizinprodukterecht im Rahmen eines konsolidierten neuen Durchführungsgesetzes an die in Kraft tretenden europarechtlichen Vorschriften abzupassen und nationale Öffnungsklauseln auszugestalten.
Die Europäische Medizinprodukteverordnung (MDR, EU 2017/745) und die Europäische Invitro-Diagnostik Verordnung (IVDR, EU 2017/746) stellen dabei nicht nur Hersteller, Betreiber und benannte Stellen vor große Herausforderungen – dies gilt ebenso auch für die akademische Forschung. Bislang handelt es sich bei der überwiegenden Mehrzahl der im Rahmen von Forschungsvorhaben erstellten Entscheidungsunterstützenden Systeme und „Medical-Apps“ um Medizinprodukte der Klasse 1. Durch die Änderungen der Klassifikation von Software als Medizinprodukt (Regel 11, EU 2017/745 Anhang VIII Kapitel III.6.3) wird auch die im Rahmen von Forschungsprojekten entwickelte Software zukünftig höheren Risikostufen zugeordnet. Dies gilt auch für die akademische Forschung an den Hochschulen und insbesondere an den medizinischen Fakultäten, die durch die Einheit von Forschung und Entwicklung und Krankenversorgung eine relevante Schlüsselstelle des Digitalisierungsprozesses einnehmen. Betroffen sind zahlreiche Forschungsvorhaben, unter anderem die Use Cases in der BMBF-geförderten Medizininformatik-Initiative, aber auch die verschiedenen von BMBF, BMG oder im Innovationsfond geförderten Forschungsvorhaben, in deren Rahmen eine Softwarelösung entwickelt wird.
Damit die wissenschaftlichen Erkenntnisse der akademischen Grundlagen- und präklinischen Forschung der Data Driven Medicine die Translationshürde in die klinische Forschung und Versorgung nehmen können, ist es notwendig, gezielt Strukturen zur Kompetenzvermittlung und der Bereitstellung von Unterstützungsprozessen zu schaffen. Der Aufbau entsprechender Kompetenzzentren und einer bündelnden Plattform kann sich an der Errichtung der Koordinierungsstellen für klinische Studien (KKS / KKS-Netzwerk) zur Bewältigung der Anforderungen aus der 12. AMG Novelle 2004 orientieren. Aufgrund der Versorgungsnähe bietet sich eine koordinierte ressortübergreifende Förderung durch BMG und BMBF an.
Die Stellungnahme zu den Einzelnormen erfolgt im Weiteren aus der Perspektive der akademischen Forschung mit Schwerpunkten in der Digitalisierung.
II. Zu den Regelungen im Einzelnen
1. § 3 MDG – Ergänzende Begriffsbestimmungen
Die Norm greift Definitionen entsprechend der aktuellen Praxis auf und präzisiert den teilweise missverständlichen Wortlaut in der aktuellen Gesetzgebung. Dies trägt wesentlich zu einer größeren Rechtssicherheit auch für die Forschenden bei und ist zu begrüßen.
2. § 9 MDG – Klassifizierung von Produkten, Feststellung des rechtlichen Status, Einstufung von Produkten der Klasse I, Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung oder Leistungsstudie
Ebenso ist im Sinne einer einheitlichen Rechtspraxis begrüßenswert, dass es zukünftig eine zentrale zuständige Stelle für die Qualifikation und Klassifikation von Medizinprodukten bzw. der Festlegung des rechtlichen Status von klinischen Prüfungen oder Leistungsstudien geben soll. Allerdings besteht im vorgelegten Entwurf die Antragsberechtigung bei der zuständigen Stelle nur für die zuständige Behörde, sowie den Hersteller und die benannte Stelle, bzw. den Sponsor. Wir schlagen vor, die Möglichkeit zur Antragsstellung auch für Prüfstellen oder Ethikkommissionen zu eröffnen, um beispielsweise Meinungsverschiedenheiten mit Sponsoren rechtssicher entscheiden zu können.
3. §17 Absatz 1 Nr. 2 MDG – Ausschluss von Personen, die auf gerichtlicher oder behördlicher Anordnung in einer Anstalt untergebracht sind.
Prinzipiell ist der in § 17 Absatz 1 Nr. 2 benannten Personenkreis als besonders vulnerable Gruppe anzusehen und folgerichtig besonders zu schützen. Allerdings gibt es insbesondere in der Psychiatrie Patientengruppen, die aufgrund ihrer Erkrankung auf gerichtliche oder behördliche Anordnung in geschlossenen Einrichtungen / Anstalten untergebracht sind. Mit dem vorgeschlagenen Text wird diese Patientengruppe von der klinischen Forschung mit Medizinprodukten und damit womöglich in wesentlichen Aspekten von der Teilhabe am medizinischen Fortschritt ausgeschlossen. Dies ist aus unserer Sicht ethisch nicht vertretbar.
Daher schlagen wir eine Regelung vor, die unter sehr engen Kriterien Forschung an dieser Patientengruppe bei vollständiger Wahrung der im Übrigen geltenden genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen, Aufsichts- und Kontrollpflichten zulässt. Eckpunkte einer solchen Norm wären:
- Die klinische Prüfung muss sich auf die Erkrankung des Patienten beziehen.
- Die klinische Prüfung / Leistungsstudie darf nur an Patienten erfolgen, die auf Grundlage einer gerichtlichen oder behördlichen Anordnung untergebracht sind.
4. § 18 Absatz 3 MDG – Studien mit Nichteinwilligungsfähigen Patienten.
Die neugeschaffene Möglichkeit im Medizinprodukterecht, klinische Prüfungen und Leistungsstudien unter den in den EU-Verordnungen beschriebenen Bedingungen auch an Personen durchzuführen, die nicht in der Lage sind, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten, ist im Sinne des medizinischen Fortschritts für diese Patientengruppen zu begrüßen.
Grundsätzlich ist dabei zwischen sich chronisch, bzw. sich langsam entwickelnden (z.B. Demenz) und akut eintretenden Krankheiten (Traumata, Schlaganfall, etc.) zu unterscheiden. Während bei chronischen, sich langsam entwickelnden Erkrankungen die betroffenen Patienten sich mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen können und dabei eine Bereitschaft für eine Studienteilnahme entwickeln können, ist dies bei akut einsetzenden Krankheiten im Vorfeld gerade nicht der Fall.
Soweit § 18 Absatz 3 Satz 2ff MDG bei gruppennützigen Leistungsstudien mit nicht einwilligungsfähigen Patienten eine im Voraus erteilte Einwilligung verlangt, ist diese Regelung weder praktikabel, noch ethisch und rechtlich vertretbar. Personen, die nicht selbst erkrankt sind, werden sich regelmäßig nicht mit dem Thema einer Leistungsstudie ohne Bezug zu einer Erkrankung, bzw. Relevanz und Bedeutung auseinandersetzen. Auch stehen die Aufwände einer vorsorgenden Konsentierung breiter Bevölkerungskreise außer Verhältnis zu den zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Es ist daher davon auszugehen, dass insbesondere bei akut eintretenden Erkrankungen keine Leistungsstudien durchgeführt werden können und damit eine Patientengruppe, die aufgrund der Schwere der Erkrankungen am stärksten von diesen Studien profitieren kann, von der Forschung ausgeschlossen wird. Daher schlagen wir eine Opt-Out-Lösung für Leistungsstudien nach EU-V 2017/746 vor, wie sie im Grundsatz durch Art. 60 Absatz 1 lit. c bereits vorgeschrieben ist.
5. § 19 Absatz 11 Nr. 2, § 19 Absatz 12 Nr. 2, § 25 Absatz 7 Nr. 2 MDG in Verbindung mit § 22 Absatz 3 MDG – Bewertung der Qualität der Studie und Zusammensetzung der Ethikkommission
Richtigerweise sind klinische Prüfungen und Leistungsstudien zurückzuweisen, die nach Prüfung nicht geeignet sind, den beabsichtigten Nachweis von Leistung, Sicherheit oder den Nutzen tatsächlich zu erbringen. Der entsprechende Kriterienkatalog sollte um das qualifizierte Merkmal der Verhältnismäßigkeit der Studie, insbesondere in Hinblick auf die Fallzahl der einzuschließenden Patienten oder Probanden ergänzt werden, da zur Erreichung des Studienziels hinreichend Patienten oder Probanden einzuschließen sind, aber auch nicht unnötig viele Patientinnen und Probanden studienbedingten Risiken oder Belastungen ausgesetzt werden sollten.
Dies setzt voraus, dass in der Ethikkommission eine entsprechende Expertise vorhanden ist. Daher schlagen wir vor, die Formulierung aus dem Arzneimittelrecht (§ 41a Absatz 3 Nr. 2 AMG) zu übernehmen, wonach „eine Person mit Erfahrung auf dem Gebiet der Versuchsplanung und Statistik“ der Ethikkommission angehören sollte.
Aufgrund von Anhang VIII Kapitel III Nr. 6.3 (Regel 11) wird zukünftig auch Software (Stand alone Software, Software as a Medical Device) und damit entscheidungsunterstützende Systeme und „Medizin-Apps“ als Klasse IIa, IIb und III Produkte eingestuft werden. Dies setzt bei der Beurteilung der Prüfprodukte spezifische Kenntnisse im Bereich der Medizinischen Informatik voraus. Daher sollte § 22 Absatz 3 MDG dahingehend geändert werden, dass auch eine Person mit wissenschaftlicher oder beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der Medizintechnik und Medizinischen Informatik der Ethikkommission angehören sollte. Dies kann ggf. durch eine Person vertreten werden.
6. § 24 Absatz 4 MDG sowie EU-V Art. 74 Absatz 1 – Begriffsklärung der „normalen Verwendungsbedingungen“ / Studienbedingte Maßnahmen
In § 24 Absatz 4 MDG wird analog zu EU 2017/745 Art 74 Absatz 1 eine Erleichterung von den EU 2017/745 Art. 60ff unter der Bedingung gewährt, dass „die Prüfungsteilnehmer über die normalen Verwendungsbedingungen des Produktes hinaus keinen zusätzlichen invasiven oder belastenden Verfahren unterzogen werden“.
Dies entspricht in der Intention dem Wortlaut von § 23 b MPG, „[…] es sei denn, […] es werden zusätzlich invasive oder andere belastende Untersuchungen durchgeführt“.
Während § 23 b MPG im Begriffsverständnis eindeutig studienbedingte Maßnahmen beschreibt, lässt der Wortlaut in § 24 Absatz 4 und EU 2017/745 Art 74 Absatz 1 aus unserer Sicht verschiedene Interpretationen zu. Da bereits § 23 b MPG regelmäßig zu Diskussionen zwischen Sponsor / PI, Ethikkommissionen, benannten Stellen und Behörden geführt hat schlagen wir vor, dies ggf. in § 24 Absatz 4 oder den Begriffsbestimmungen klarzustellen.
Textvorschlag für die Änderung von §24 Absatz 4: „[… ] und Prüfungsteilnehmer nicht zu den normalen „Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung auf eine sonstige klinische Prüfung eines Produktes, das bereits die CE-Kennzeichnung nach Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 trägt, soweit die klinische Prüfung im Rahmen der von der CE-Kennzeichnung umfassten Zweckbestimmung durchgeführt wird und die Prüfungsteilnehmer über die normalen Verwendungsbedingungen des Produktes hinaus keinen studienbedingten zusätzlichen invasiven oder belastenden Verfahren unterzogen werden.“
7. Kapitel 5 – Vigilanz und Überwachung
Berichte über Vorkommnisse sind im Bereich der Fehlerforschung und der Forschung im Bereich der Patientensicherheit eine wichtige Informationsquelle. Gegenwärtig werden der zuständigen Bundesoberbehörde schwerwiegende Vorkommnisse oder Sicherheitskorrekturmaßnahmen womöglich nicht im vollen Umfang angezeigt. Eine der Gründe sind die fehlenden Rückmeldungen der Bundesoberbehörde an die meldenden Anwender hinsichtlich Bewertung und Konsequenzen ihrer Meldung. Hier sollten auf dem Verordnungswege entsprechende Frist- und Formvorgaben erlassen werden.
Eine weitere Ursache ist die subjektive Sorge der Anwender vor möglichen Konsequenzen für die eigene Institution, bzw. eigene Person. Daher sollten die Meldungen an die Bundesoberbehörde für Wissenschaftler unter Beachtung der schutzwürdigen Interessen von Herstellern, Betreibern und Anwendern (Anonymisierung) zugänglich gemacht werden. Um die Melderate zu erhöhen, könnte eine anonyme Anlaufstelle / Meldestelle eingerichtet werden, da bei nachvollziehbaren Produktmängeln eine Involvierung der Meldenden nicht zwangsläufig erforderlich ist. Alternativ wäre auch eine Treuhandstelle für die Meldungen denkbar, die Rückfragen an die Meldenden ermöglicht, gleichzeitig aber die Identität der meldenden Person schützt. Ein durch diese Maßnahmen mutmaßlich verbessertes Meldewesen würde nicht nur unmittelbar die Arbeit der Bundesoberbehörde verbessern, die verbesserte Datengrundlage hätte in Verbindung mit einem verbesserten Zugang zu den Vorkommnis-Meldungen auch einen relevanten Einfluss auf Forschung und Entwicklung.