Interview

"Eine Ansprechstelle für die Unterstützung multinationaler Studien"

Interwiew mit Prof. Dr. Christian Ohmann zum 'European Clinical Research Infrastructure'-Projekt (ECRIN)

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"ECRIN hat zum Ziel, die Fragmentierung der klinischen Forschung in Europa zu überwinden. Dies soll durch den Zusammenschluss nationaler Netzwerke von klinischen Forschungszentren und klinischen Studienzentren geschehen."

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Prof. Dr. Christian Ohmann ist nationaler Koordinator des ECRIN-Projektes und Leiter des Koordinierungszentrums für Klinische Studien Düsseldorf

Das Interview führten Sebastian C. Semler und Dagmar Baust im März 2008. Eine Kurzfassung ist in der E-HEALTH-COM Nr. 2 2008 erschienen.

Prof. Dr. Christian Ohmann

Prof. Dr. Christian Ohmann. © TMF e.V.

Herr Professor Ohmann, in diesen Tagen startet das European Clinical Research Infrastructure-Projekt (ECRIN) im Rahmen der EU-Initiative 'European Strategy Forum on Research Infrastructure' (ESFRI). Was verbirgt sich hinter diesem Projekt und was sind die Ziele?

ECRIN hat zum Ziel, die Fragmentierung der klinischen Forschung in Europa zu überwinden. Dies soll durch den Zusammenschluss nationaler Netzwerke von klinischen Forschungszentren und klinischen Studienzentren geschehen. In dem ECRIN-Netzwerk sind derzeit zwölf Länder mit über 200 Studienzentren zusammengeschlossen. Es ist das Ziel von ECRIN, flexible integrierte Services im Zusammenhang mit multinationalen klinischen Studien anzubieten. Hierzu gehören unter anderem die Interaktion mit Ethikkommissionen und nationalen Regulierungsbehörden, die Verteilung von Prüfarzneimitteln, das Reporting von Adverse Events, das Datenmanagement, Monitoring und das Management von biologischen Proben. Das Besondere von ECRIN ist, dass hier nicht einzelne Forschungs- oder Studienzentren Mitglieder sind, sondern jeweils bereits etablierte nationale Netzwerke.

 

Was sind die speziellen Anforderungen an die IT bei europaweit aufgesetzten klinischen Studien? Gibt es in Europa schon IT-Ausstattungen an Studienzentren, die Sie für funktional ausreichend und perspektivisch sinnvoll ansehen?

Selbstverständlich gibt es spezielle Anforderungen an die IT bei europaweit aufgesetzten klinischen Studien, die sich aus unterschiedlichen nationalen Regelungen und Gesetzen ergeben. Hier soll nur beispielhaft der Datenschutz genannt werden. Darüber hinaus spielt die Multilingualität in Studien eine große Rolle, vor allen Dingen dann, wenn freitextliche Information erfasst wird (z.B. Patiententagebuch, Reporting von Adverse Events). Bezüglich der IT-Ausstattung an ECRIN-Zentren haben wir eine Umfrage durchgeführt. Diese Umfrage hat ergeben, dass in ca. 80 Prozent der Zentren Datenmanagement für klinische Studien durchgeführt wird und dass eine eigene Studiensoftware in Gebrauch ist. Allerdings hat die Befragung auch ergeben, dass eine erhebliche Softwareheterogenität dahingehend besteht, dass eine Vielfalt unterschiedlicher kommerzieller und eigenentwickelter Systeme im Gebrauch ist.

Auch ist die personelle Ausstattung in vielen Zentren eher unzureichend. Defizite wurden im Hinblick auf das Qualitätsmanagement (Systemvalidierung, externe Audits) festgestellt. Allerdings ist erhebliche Expertise und auch ausreichende Ressourcen an einzelnen Zentren verfügbar (z. B. Deutschland, Frankreich, England). Wir sind der Meinung, dass diese bereits jetzt gut aufgestellten Zentren zu zertifizierten ECRIN Data-Centers weiterentwickelt werden können.

 

Die IT-Infrastrukturen in der klinischen Forschung sind heute - technisch wie konzeptionell - völlig getrennt von jenen in der Patienten­versorgung. Warum ist das so - und ist diese Entwicklung aus Ihrer Sicht vorteilhaft?

Dies ist in der Tat so, klinische Versorgung und klinische Studien stellen unterschiedliche Welten dar. Ziele, Gesetze und Regulierungen, Prozesse, Akteure, Rollen, Ontologien und Klassifikationen, Terminologien, Softwaretools und Datenbanken sind verschieden. In der klinischen Forschung wird CDISC und SAS, in der Versorgung HL7 und Dicom eingesetzt. Da auch die Arbeitsprozesse völlig getrennt sind, ist es hier bisher zu keiner vernünftigen Integration gekommen. Die Entwicklung ist für die klinische Forschung außerordentlich nachteilig und sollte überwunden werden. Hier gibt es derzeit aktuelle Aktivitäten, die die Situation verbessern sollen.

Beispielhaft sei das Programm Innovative Medicines Initiative (IMI) genannt, welches sich unter anderem um die sekundäre Nutzung von Daten aus elektronischen Krankenakten kümmert. Dieses Programm wird zu 50 Prozent von der EU und zu 50 Prozent von der pharmazeutischen Industrie finanziert und wird erhebliche Geldmittel für Projekte zur Verfügung stellen.

 

Sie sind der nationale Koordinator des ECRIN-Projektes. Wie wird sich Deutschland einbringen?

Deutschland spielt in dem ECRIN-Projekt eine wichtige und zentrale Rolle. Ich selber bin Leiter des Network Committees, dem Entscheidungsgremium von ECRIN. Weiterhin leitet Deutschland das Workpackage über Data-Management und ist stellvertretend an der Leitung des Workpackages zum legalen Status und zur Qualitätssicherung beteiligt. Darüber hinaus sind in allen Arbeitsgruppen erfahrende Mitglieder des KKS-Netzwerks im Einsatz.

 

Sind die ausgefeilten ethischen Regelungen und ihre Umsetzung bei uns im Land eine Hürde?  Haben pharmazeutische Studien bei uns höhere Hindernisse als in anderen EU-Ländern - und müsste sich da nicht die GCP-Harmonisierung auf EU-Ebene nivellierend auswirken?

Das genau war das Ziel der EU-Direktive 2001/20/EC. Es ist jedoch durch die jeweils national unterschiedlich ausgeprägte Implementierung nur bedingt gelungen. Das Ergebnis sind länderspezifisch unterschiedliche Anforderungen an klinische Studien mit Arzneimitteln. In Deutschland gibt es spezifische Probleme, etwa im Hinblick auf das Ethikkommissionsverfahren, das SUSAR-Meldewesen und die Einreichungsmodalitäten bei Behörden. Auf einer im letzten Jahr durchgeführten EMEA-Konferenz wurden zahlreiche Handlungsfelder für nicht-kommerzielle Studien aufgezeigt. Es ist zu hoffen, dass die Durchführung klinischer Studien in den nächsten Jahren vereinfacht wird, ohne an der Patientensicherheit und der Qualität der Daten Abstriche machen zu müssen.

 

Richtet sich das Projekt hauptsächlich an die vom BMBF geförderte KKS - oder sind auch andere klinische Forschungszentren angesprochen?

Primäres Mitglied im ECRIN-Konsortium ist das Netzwerk der KKS (KKS-Netzwerk). Selbstverständlich ist das Projekt auch offen für andere Forschungsinstitutionen und vor allen Dingen auch für krankheitsspezifische Netzwerke. Allerdings wird ein Qualitätsstandard vorausgesetzt, wie er zum Beispiel im KKS-Netzwerk in den letzten Jahren erfolgreich etabliert werden konnte. Ein vernünftiger Weg, Mitglied im ECRIN-Konsortium zu werden, könnte daher sein, sich dem KKS-Netzwerk anzuschließen.

 

ECRIN möchte einen "One-Stop-Shop" einbringen - was ist damit gemeint?

ECRIN will multinationale Studien dadurch unterstützen, dass spezifische Kompetenzen und Ressourcen im ECRIN-Projekt zusammengeführt werden. Potentielle Nutzer von ECRIN, beispielsweise Forscher und Sponsoren sowohl aus dem akademischen Sektor als auch der Industrie, werden in ECRIN eine Ansprechstelle für die Unterstützung multinationaler Studien finden. Dies umfasst die unterschiedlichen Bereiche wie Interaktionen mit den Behörden, Ethikkommissionen, Versicherungen, Datenmanagement, Safety, etc. "One-Stop-Shop" heißt, dass eine Ansprechstelle besteht, die sich dann um die verschiedenen Probleme kümmert und entsprechende Services anbietet.

 

Seit Initiierung der TMF haben Sie sich insbesondere um die IT-Infrastruktur für klinische Studien gekümmert, nicht zuletzt als langjähriger Leiter der entsprechenden Arbeitsgruppe. Was war rückblickend der wichtigste Erfolg, und wo sehen Sie auf nationaler Ebene noch die größten Baustellen und Herausforderungen?

Sicherlich war es ein großer Erfolg, GCP-konformes Datenmanagement in den Koordinierungszentren für Klinische Studien zu etablieren. Hierzu hat die TMF und als Förderer das BMBF entscheidend beigetragen. Im Laufe der Zeit wurde ein hoher Standard erreicht, der es heute erlaubt, Datenmanagement in klinischen Studien auf höchstem Qualitätsniveau durchzuführen. Im Laufe der Zeit hat sich die TMF als die Institution herauskristallisiert, die sich mit IT-Unterstützung in der Forschung beschäftigt. Viele beispielhafte Lösungen wurden erarbeitet und umgesetzt – sei es zu Fragen des Datenschutzes, zum Thema Biobanken oder zu anderen Aspekten.

Allerdings ist mittllerweile auch durch viele Einzelprojekte ein Grad der Komplexität erreicht, der sich als mögliche Bremse erweisen könnte. Es ist daher aus unserer Sicht unbedingt nötig, eine IT-Konzeption zu erstellen, um Vorgaben für die Planung und Entwicklung von Softwaretools zu machen. Ein solches Vorgehen wurde beispielhaft und erfolgreich im US-amerikanischen caBIG-Projekt durchgeführt. Wir sind der Meinung, dass hier dringend Handlungsbedarf besteht und glauben, dass mit entsprechender Unterstützung des Ministeriums die TMF ein geeigneter Motor für eine solche IT-Konzeption sein könnte.

 

In wenigen Tagen werden Sie nach fast 10 Jahren Arbeit aus dem TMF-Vorstand ausscheiden. Wie beurteilen Sie im Rückblick die Entwicklung der TMF – und welche Perspektiven sehen Sie für diese Institution?

In der Tat habe ich von Anfang an in der Telematikplattform mitgearbeitet. Ich habe daher alle Höhen und Tiefen mit durchlebt. Aus heutiger Sicht hat sich die Gründung eines gemeinnützigen eingetragenen Vereins als sinnvoll und zukunftstragend erwiesen. Besonders hervorzuheben ist die Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Für mich ist die TMF bereits heute die führende Institution, die sich um medizinische Forschungsverbünde und vernetzt arbeitende Einrichtungen im Bereich der Medizin, der Informatik und verwandte Gebiete kümmert.

Beispielhaft sollen die konzertierten Datenschutz- und Patienteneinwilligungskonzepte und die fundierten Beiträge zur Konzeption und Umsetzung von Biobanken genannt werden. Die Arbeit der TMF weist eine hohe Akzeptanz bei den Mitgliedsverbünden auf. Hervorzuheben ist außerdem die hervorragende Einbindung in nationale Aktivitäten (z.B. HL7, CDISC), aber auch die ersten Aktivitäten in Richtung EU-Projekte. Wir hoffen, dass die TMF in Zukunft eine führende Rolle im Hinblick auf die Erarbeitung und Umsetzung von IT-Konzepten in der vernetzten Forschung ausübt.