Interview

"Die Zusammenarbeit mit anderen Bio­bankern ist uns wichtig"

Interview mit Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Kretzschmar und Dr. Thomas Arzberger über die Hirn­gewebe­bank Brain-Net in Deutschland, deren Einbindung auf europäischer Ebene und die Vorteile der Vernetzung mit anderen Betreibern humaner Biobanken.

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„Ich möchte die Biobanken­szene besser kennen lernen. Wie arbeiten andere Biobanken? Was kann ich dort einbringen und was kann ich davon für das deutsche und das europäische Brain Net lernen? Das sind wichtige Fragen für mich.“ (Dr. Thomas Arzberger)

Portraitbilder Kretzschmar und Arzberger Interview 2011

Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Kretzschmar, Dr. Thomas Arzberger © TMF e.V.

Prof. Dr. Kretzschmar ist Direktor des Zentrums für Neuropathologie und Prionforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München und Koordinator des Brain-Net Deutschland, Dr. Arzberger ist sein wissenschaftlicher Mitarbeiter. Gemeinsam koordinieren beide das BrainNet Europe.

 

Das Gespräch führte Beate Achilles für die TMF.

 

Herr Prof. Kretzschmar, was sind derzeit Ihre spannendsten Forschungs­projekte und wie nutzen Sie dabei das Brain-Net Deutsch­land?

Kretzschmar: Einerseits beschäftige ich mich mit der Prionenforschung, das hat nur zum Teil mit dem Brainbanking zu tun. Für meinen anderen Forschungs­schwer­punkt, die Epigenetik von neurodegenerativen Erkrankungen, nutze ich allerdings intensiv die Möglichkeiten, die mir das Brain-Net Deutschland bietet. Im Rahmen dieser Forschung untersuchen wir, wie sich die DNA-Methylierung auf das Ausbrechen dieser Art von Erkrankungen auswirkt, zu denen beispielsweise Morbus Alzheimer gehört. Für solche Untersuchungen kann man gut mit postmortalem Gewebe arbeiten, wie es im Brain-Net ausschließlich vorhanden ist. Aktuell beschäftigen wir uns mit der Frage, wie gut Histon­modifikationen an postmortalem Gewebe untersucht werden können. Es gibt Hinweise darauf, dass Histonmodifikationen bei der Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen. Dies ist deshalb auch ein möglicher Ansatzpunkt für Therapien bei Krankheiten wie Morbus Alzheimer.

 

Wie organisieren Sie den fachlichen Austausch mit anderen Biobank-Betreibern?

Arzberger: Für uns ist die Zusammenarbeit mit anderen Biobankern wichtig, vor allem in Hinblick auf Fragen der Probensammlung, Probenlagerung und der Qualitätssicherung. Nicht zuletzt deshalb ist das Brain-Net seit 2003 Mitglied der TMF, wo wir uns der AG Biobanken angeschlossen haben. Bei der TMF konnten wir lernen, wie andere Biobanken arbeiten, die nicht wie das Brain-Net Deutschland ausschließlich Gewebeproben von Verstorbenen sammeln. Wir konnten einen Einblick gewinnen, wie Biobanken Gewebeanfragen behandeln und Proben herausgeben, die von lebenden Personen stammen, zum Beispiel Blut oder Urin. Sehr wertvoll fanden wir auch die Informationen über die Entwicklung ethischer Richtlinien in Deutschland, über Datenschutz etc., die wir bislang bei der TMF erhalten haben, und die Diskussion über ethische Fragen beim letzten Treffen der Arbeitsgruppe Biobanken in Berlin. Für mich persönlich ergab sich dort die seltene Gelegenheit, mich mit einem Experten vom Deutschen Ethikrat auszutauschen.

 

Welches KnowHow kann das Brain-Net in die Biobanken-Community einbringen?

Kretzschmar: Wir können unter anderem unsere Erfahrungen zur Gewebe­herausgabe weitergeben. Wenn Gewebeanfragen von externen Projekten kommen, braucht man Kriterien, nach denen man darüber entscheidet. Auch muss klar sein, wer den Antrag annehmen oder ablehnen kann. Zu diesen und weiteren Fragen haben wir uns viele Gedanken gemacht und Lösungen erarbeitet, die wir unter dem Dach der TMF gerne auch anderen Forschern zur Verfügung stellen. 

Arzberger: Im Zusammenhang mit dem EU-Projekt BBMRI (Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure) ist mir aufgefallen, dass die Dinge, die wir beim BrainNet Europe erarbeitet haben, noch nicht allen Mitgliedern der AG Biobanken bekannt waren. Das wird sich aber spätestens dann ändern, wenn wir demnächst den Code of Conduct des europäischen BrainNet publizieren.
 

Wie war und ist das deutsche Brain-Net in das BrainNet Europe eingebunden?

Kretzschmar: Das Hauptziel des BrainNet Europe war die Qualitäts­verbesserung der Hirn­gewebe­banken in Europa. Das deutsche Brain-Net hat den Verhaltenskodex des BrainNet Europe für den Umgang mit Gewebe, dessen Qualitätskontrolle und die ethischen Richtlinien für die Einrichtung von Hirn­gewebe­banken übernommen. Die Datenbank des deutschen Brain-Net überschneidet sich mit der Datenbank des BrainNet Europe, so dass auch Forscher aus anderen europäischen Ländern Hirnproben des Brain-Net Deutschland erhalten können. Mitglieder haben direkten Zugang zu den Datenbanken beider Netzwerke, Forscher von außerhalb können Gewebe­anfragen stellen.

Bei den europäischen Treffen diskutierten die Teilnehmer, darunter drei deutsche Biobanken aus dem Brain-Net Deutschland,  unter anderem über konkrete diagnostische Fälle. Dort zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Diagnosen in den einzelnen europäischen Ländern. Als eines der wichtigen Ergebnisse hat man sich bei der Alzheimer-Krankheit und bei der Erkrankung mit Lewy-Körpern, zu dehnen die Parkinson-Krankheit und die Demenz mit Lewy-Körpern zählen, inzwischen europaweit auf einheitliche neuro­patho­logische Kriterien** zur Feststellung der definierten Krankheits­stadien geeinigt. 

 

** Literatur:

Alafuzoff I, Arzberger T, Al-Sarraj S, Bodi I, Bogdanovic N, Braak H, Bugiani O, Del Teredici K, Ferrer I, Gelpi E, Giaccone G, Graeber M, Ince P, Kamphorst W, King A, Korkolopoulou P, Kovács GG, Larionov S, Meyronet D, Monoranu C, Parchi P, Patsouris E, Roggendorf W, Seilhean D, Tagliavini F, Stadelmann C, Streichenberger N, Thal DR, Wharton SB, Kretzschmar H (2008).

Staging/typing of Lewy body related alpha-synuclein pathology: a study of the BrainNet Europe Consortium. Acta Neuropathol. 117(6):635-52.

Alafuzoff I, Thal DR, Arzberger T, Bogdanovic N, Al-Sarraj S, Bodi I, Boluda S, Bugiani O, Duyckaerts C, Gelpi E, Gentleman S, Giaccone G, Graeber M, Hortobagyi T, Höftberger R, Ince P, Ironside JW, Kavantzas N, King A, Korkolopoulou P, Kovács GG, Meyronet D, Monoranu C, Nilsson T, Parchi P, Patsouris E, Pikkarainen M, Revesz T, Rozemuller A, Seilhean D, Schulz-SchaeVer W, Streichenberger N, Wharton SB, Kretzschmar H (2009).

Assessment of ß-amyloid deposits in human brain: a study of the BrainNet Europe Consortium. Acta Neuropathol 117: 309-320.