Interview

„Es muss eine gemeinsame Sprache geben“

Interwiew mit Dr. Gabriele Hausdorf, Referatsleiterin Gesundheits­forschung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

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Querschnitts­strukturen tragen dazu bei, dass zunehmend auch die einzelnen Patienten in der Breite der Versorgung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen behandelt werden.

Portraitbild Dr. Gabriele Hausdorf

Dr. Gabriele Hausdorf © TMF e.V.

Das Interview führten Antje Schütt und Sebastian C. Semler am 15. Februar 2008. Eine leicht gekürzte Fassung des Interviews ist im TMF-Jahresbericht 2007 erschienen.

 

Frau Dr. Hausdorf, das BMBF unterstützt seit Jahren die Zusammenarbeit von Forschern in den biomedizinischen Fächern und bemüht sich, hierfür geeignete Bedingungen zu schaffen. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

Ja. Das BMBF hat bereits in der Vergangenheit eher seltener einzelne Wissenschaftler mit ihren Einzelprojekten gefördert. Im Mittelpunkt standen weitestgehend Verbünde. Diese Entwicklung hat mit der Etablierung der Interdisziplinären Zentren für Klinische Forschung, den IZKF, ab Mitte der 90er-Jahre einen besonderen Schub bekommen und sich dann auch fortgesetzt.

Wir haben erkannt, dass mehr Ergebnisse, mehr Synergien erzielt werden, wenn man innerhalb von Verbünden, innerhalb von Netzwerken zusammenarbeitet und wenn man dafür auch Strukturen schafft. Es muss vermieden werden, dass sich jeder seine eigene Infrastruktur aufbaut und die Lösungen dann nicht kompatibel zueinander sind.

 

Wie haben sich denn die Förder­ausschreibungen in den vergangenen zehn Jahren auf Basis der Erfahrungen mit vernetzter Forschung geändert?

Quervernetzungen und übergreifende Forschungsthemen haben sich zunächst aus der Wissenschaft heraus selbst ergeben. Mit der Entwicklung der vernetzten Forschung und der Etablierung entsprechender Fördermaßnahmen wurde die Notwendigkeit übergreifender Aktivitäten zunehmend deutlicher. Deshalb ist das BMBF dazu übergegangen, in Bekanntmachungen klare Querschnittsaktivitäten einzufordern. Gefragt waren Lösungen für Fragestellungen, die eben nicht nur von einem Verbund, sondern von mehreren genutzt werden können.

 

Werden Sie diesen Ansatz weiterverfolgen?

Auch hier ein klares Ja! Wir haben im vergangenen Jahr  beispielsweise die Ausschreibung zur Methodenentwicklung veröffentlicht. Sie dient genau dazu herauszufinden, wo Harmonisierungen, wo Standards notwendig sind, wo man Dinge vereinheitlichen und gemeinsam nutzen kann.

Aus der Wissenschaft kam immer häufiger die Rückmeldung, dass ein einzelner Forscher mit der Lösung bestimmter Fragestellungen zeitlich und finanziell überfordert sein kann. Denken Sie mal an den Bereich klinische Studien, beispielsweise zum Thema seltene Erkrankungen. Hier sind besondere Anforderungen an das Studiendesign zu stellen. Das gleiche gilt für die molekulargenetische Auswertung von diagnostischen Tests und viele andere Verfahren.

Ich denke dass es der einzelne Wissenschaftler zu schätzen weiß, wenn er Serviceleistungen geboten bekommt, die er nutzen kann. Dem dient der bereits erwähnte Förderschwerpunkt Methodenentwicklung. Dabei geht es vor allem darum, Methoden zu entwickeln, die wirklich von mehreren genutzt werden können. Einzellösungen haben keine Chance.

 

Wie können die Ergebnisse aus dieser Ausschreibung ihren Nutzen in der Forscher­gemeinschaft entfalten?

Sie können ihren Nutzen sicher nur dann entfalten, wenn sie nicht nur für diejenigen hilfreich sind, die jetzt einen Förderantrag bewilligt bekommen und gefördert werden, sondern wenn sie so gut sind, dass sie in der Community angenommen werden. Der Anfang ist schwer, aber wir hoffen, dass diejenigen, die Anträge stellen, im Vorfeld bereits mit vielen Wissenschaftlern gesprochen haben, den Nutzen transportieren konnten und die Ergebnisse auf breites Interesse stoßen – ja dass man sich letzten Endes darum reißt, die Ergebnisse nutzen zu können.

Aber es ist auch ein Versuch. Die Bekanntmachung ist anders als die sonst üblichen. Wir lassen deutlich mehr inhaltliche und methodische Flexibilität zu. Wir werden sehen, wie diese Aufforderung angenommen wird.

Generell können Sie eine Tendenz erkennen, mehr offene Bekanntmachungen zu veröffentlichen, wobei es in den meisten Fällen bisher eine Eingrenzung auf eine bestimmte Fragestellung, wenn auch nicht unbedingt auf eine Indikation gab.

 

Was wünschen Sie sich denn von den Forschern in dem Zusammenhang?

Von der Forschung wünsche ich mir, dass die Erkenntnis, dass Teamarbeit nötig ist, mehr  und mehr auch in der eigenen Arbeit umgesetzt wird. Das wird noch ein sehr langer  Weg sein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass fast jeder über Teamarbeit redet, diese dann aber oft nicht aktiv praktiziert.

Wenn man jahrzehntelang als „Einzelkämpfer“ eher  Anerkennung fand als im Team, so konnte das nicht ohne Auswirkungen bleiben. Und eine solche Entwicklung kann man nicht auf Knopfdruck rückgängig machen. Veränderungen im Anerkennungsgefüge halte ich für erforderlich: mitarbeiten ohne Federführer zu sein, Lösungen nutzen, die ein anderer entwickelt und aufgebaut hat.

Dass der vielleicht etwas altruistische Gedanke, dass Netzwerkbildung notwendig ist, damit nicht jeder seine eigene Insellösung schaffen muss, mehr Verbreitung findet –  das würde ich mir wünschen.

Langfristig wird es notwendig sein, dass die medizinische Forschung eine gemeinsame IT-Infrastruktur aufbaut – und diese auch nutzt.

 

Welche Hindernisse sehen Sie dabei?

Dass man eine gemeinsame IT-Infrastruktur braucht, hatten wir erkannt, als die TMF ins Leben gerufen wurde: Die Telematikplattform war ursprünglich mit dem Ziel gegründet worden, eine solche Infrastruktur aufzubauen. Dass sich die Aufgaben der TMF inzwischen erweitert haben, ist letzten Endes der Notwendigkeit geschuldet, über die wir gesprochen haben: dass sich nicht jeder Forscher einzeln hinsetzen und im stillen Kämmerlein Lösungen für seine Probleme entwickeln sollte.

Solche übergreifenden Lösungen sind notwendig, wenn man das Ziel ernst nimmt, das wir der Forschung immer als Anforderung stellen: Forschungsergebnisse schneller in die Patientenversorgung zu bringen, also den Transfer von Forschung, von Grundlagenforschung in die medizinische Praxis zu beschleunigen.

Dazu braucht man einerseits gegenseitiges Verständnis: Ein Naturwissenschaftler muss die „Nöte“ der Mediziner kennen – deshalb ist es auch gut, wenn viele Mediziner in die Forschung gehen. Die Forschung muss also wissen, was die Praxis, was die Patienten brauchen, aber die Praxis muss auch wissen, was die Forschung zu bieten hat. Und um dieses Zusammenspiel zu erleichtern, muss es eine gemeinsame Sprache geben bedarf es gemeinsamer Werkzeuge, z. B. IT-Werkzeuge. So wie die Pseudonymisierungslösung für Studien, die in der TMF gemeinsam erarbeitet worden ist.

 

Werden Sie, neben Anreizen, gemeinsame Infrastrukturen aufzubauen, auch die Nutzung solcher Infrastrukturen fördern – oder dies fordern, um Doppel­entwicklungen zu vermeiden?

Das eine hängt sicher mit dem anderen zusammen. Wenn Sie sich die Bekanntmachungen zu den krankheitsbezogenen Kompetenznetzen anschauen, dann wird darin gefordert, dass vorhandene Expertise gerade bei Querschnittsaktivitäten zu nutzen ist. Wir werden darauf in der Begutachtung der eingereichten Anträge achten. Wenn jemand Methoden entwickeln will, von denen wir genau wissen, dass es sie schon gibt, dann wird das nicht akzeptiert. Wenn man Infrastruktur aufbauen will, wird der Nachweis, dass es dazu noch nichts gibt, auf jeden Fall notwendig sein.

 

Was wird der einzelne Patient von alledem haben?

Ich hoffe sehr viel! Ich habe erst kürzlich wieder wahrgenommen, dass es Gebiete gibt, wo Leitlinien ohne Begründung und Erklärung lediglich zu 50 Prozent genutzt werden, wo es teilweise gar keine Leitlinien gibt – und das betrifft nicht einen einzelnen Indikationsbereich. Die Patienten sind unzureichend informiert, die Ärzte oft ungenügend vernetzt oder können die neuesten Erkenntnisse nicht nutzen – aus welchen Gründen auch immer, aus sozialen Gründen oder  weil die notwendigen Tools nicht zur Verfügung stehen.

Es ist noch unheimlich viel Arbeit notwendig, um dafür zu sorgen, dass der Erkenntnisgewinn, den man durch Forschung erzielen konnte, wirklich schnell an den Patienten kommt. Mit Querschnittstrukturen, mit Aktivitäten wie sie zum Beispiel in der TMF stattfinden – IT spielt da für mich eine ganz wesentliche Rolle –, kann man schon dafür sorgen, dass zunehmend der einzelne Patient in der Breite und nicht nur in den großen Zentren in den Genuss neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse kommt.