Medizinische Forschung und Versorgung braucht Datability
GMDS-Jahrestagung 2014 in Göttingen stellt Thema Big Data und Forschungsinfrastruktur in den Mittelpunkt
GMDS-Jahrestagung 2014: Umfassende Kompetenz für den verantwortungsvollen Umgang mit "Big Data" in der Medizin nötig.
12.09.2014. „Die Medizin
braucht ‚Datability‘!“ Dies mahnte Professor Dr. Otto Rienhoff als
Tagungspräsident in der Eröffnung der 59. Jahrestagung der GMDS an, die vom 7.
bis 10. September 2014 in Göttingen stattfand. Der Begriff meint die umfassende
Kompetenz für den verantwortungsvollen Umgang mit „Big Data“. Hierfür seien
geeignete Infrastrukturen ebenso notwendig wie die Ausbildung und Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses. An der GMDS-Jahrestagung mit dem
Schwerpunktthema „Big Data und Forschungsinfrastruktur – Perspektiven für die
Medizin“ nahmen knapp 700 Medizininformatiker, Biometriker und Epidemiologen
teil. Nach 1956, 1977 und 1986 fand die Konferenz nun zum vierten Mal in
Göttingen statt.
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Tagungspräsident Prof. Dr. Otto Rienhoff
führte ins Thema ein.
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Professor Christopher G. Chute wies
darauf hin, dass die Daten vergleichbar
und konsistent sein müssen.
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In seiner Keynote im Rahmen der Kongresseröffnung betonte
Professor Christopher G. Chute (Mayo Clinic College of Medicine, Rochester,
USA), dass Informatik und Informationsmanagement heute zentrale Faktoren der
Gesundheitsversorgung sind. Die dabei anfallenden Daten zeichneten sich dadurch
aus, dass sie „reich“ seien: umfassend sowohl in der Breite als auch in der
Tiefe.
Notwendige Voraussetzung für Analysen sei jedoch, dass die
Daten standardisiert – vergleichbar und
konsistent – verfügbar seien. Die Entwicklung der 11. Revision der
International Classification of Diseases (ICD 11) beispielsweise trage den
neuen Anforderungen dadurch Rechnung, dass sie nicht, wie noch die aktuell
geltende ICD 10, rein hierarchisch strukturiert sei, sondern auch ein Mapping
auf SNOMED-CT (Systematisierte Nomenklatur der Medizin - Clinical Terms) als
Referenzterminologie erleichtere, indem sie Aspekte eines semantischen
Netzwerks enthalte.
Ohne Forschungsinfrastrukturen kann man nicht kompetitiv forschen
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Geeignete Forschungsinfrastrukturen
bezeichnete Dr. Wilhelm Krull als
zentrale Voraussetzung für ein
leistungsfähiges Wissenschaftssystem.
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Um deutsche Universitäten international wettbewerbsfähig zu
halten, müssen Politik wie Hochschulen den Erhalt und Ausbau intakter
Infrastrukturen auf die Agenda setzen. Darauf wies Dr. Wilhelm Krull,
Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Hannover, hin. „Ohne
Forschungsinfrastrukturen wird man eben auch nicht kompetitiv forschen können“,
mahnte er in seinem Gastvortrag am zweiten Kongresstag. Geeignete
Forschungsinfrastrukturen seien eine zentrale Voraussetzung für ein
leistungsfähiges Wissenschaftssystem, ein Selbstzweck seien sie jedoch nicht:
Erst durch die Überwindung allzu kleinteiliger Spezialisierung, durch
zunehmende Vernetzung und fächer- wie länderübergreifende Kooperation erhalte
die Wissenschaft neue Impulse.
Hauptproblem sei, dass in den vergangenen 20 Jahren die
Kernhaushaltsmittel der Universitäten deutlich zurückgegangen seien, so dass
hier selbst für strategische Entscheidungen kaum noch Dispositionsmöglichkeiten
gegeben seien. Krull begrüßte ausdrücklich die Einrichtung des Rats für
Informationsinfrastrukturen im Rahmen des Nationalen Roadmap-Prozesses, dessen
Geschäftsstelle in Göttingen angesiedelt sein wird, und beglückwünschte
Professor Rienhoff zu seiner Berufung in dieses Gremium.
Chancen für den medizinischen Fortschritt und Datenschutz ausbalancieren
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Dr. Thilo Weichert empfahl, eine Infra-
struktur zu schaffen, die das Ausbalan-
cieren des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung und die Nutzung
der Chancen für den medizinischen Fort-
schritt unterstützt.
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Nicht zuletzt die jüngste NSA-Affäre macht
deutlich, dass die Nutzung von „Big Data“ auch zu erheblichen
Datenschutz-Problemen führen kann. Dr. Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen
Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, betonte den unvermeidbaren
Widerspruch, der aus dem Recht auf informationelle und medizinische
Selbstbestimmung des Individuums auf der einen Seite und andererseits den
Hoffnungen entstünden, die sich auf die Analyse großer Datenmengen im
Gesundheitsbereich richten.
Weichert empfahl, dass der Staat eine Infrastruktur schaffen
sollte, die das Ausbalancieren dieser beiden Interessen unterstützt. Er betonte
außerdem, dass Datenschutz insbesondere auch Transparenz über die IT-Verfahren
erfordere. Im Bereich der medizinischen Forschung hätten die
Datenschutzkonzepte der TMF zu einer Standardisierung der Verfahren beigetragen
und den Nutzen der Selbstregulierung beispielhaft aufgezeigt.
Große Datenmengen sind nur mit strukturierten Metadaten nutzbar
Mit dem ganztägigen Workshop zum Thema „MetadataRepositories und Metadaten-getriebene Systeme in der biomedizinischen Forschung“, den das Institut für Medizinische Informatik, Statistik und
Epidemiologie der Universität Leipzig (IMISE), die GMDS und die TMF gemeinsam
ausrichteten, stand eine zentrale Herausforderung beim Umgang mit „Big Data“ in
der Medizin besonders im Fokus: Ohne die strukturierte Verwaltung von
Metadaten, die die Primärdaten vollständig und eindeutig beschreiben, ist die
extensive und dauerhafte Nutzung großer Datenmengen in der medizinischen
Forschung nicht sinnvoll möglich.
Der Workshop gab einen Überblick über die Verwendung von Ontologien
zur Auszeichnung komplexer biomedizinischer Datensätze und zur Abbildung
heterogener Daten sowie über Metadatenmodelle zur Umsetzung interoperabler
Dienste. Weitere Schwerpunkte waren praktische, benutzerfreundliche Werkzeuge zur Unterstützung klinischer
Forscher sowie die Analyse von Nutzeranforderungen an Metadata Repositories.
Top-Level-Nachwuchsförderung für die Medizininformatik
Mit einem „Crash Kurs“ für Habilitanden zum Thema
Forschungsinfrastrukturen in Deutschland leisteten die Universitätsmedizin
Göttingen, die GMDS, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die TMF einen gemeinsamen Beitrag, um den wissenschaftlichen
Nachwuchs der Medizininformatik auf die künftigen Anforderungen und
Entwicklungen des Faches vorzubereiten.
Als Pilotveranstaltung bildete der Workshop den Auftakt zu
einem Mentoring-Programm, das einen neuen Ansatz der Top-Level-Förderung für
Habilitanden verfolgt. Das Konzept der Veranstaltungsreihe wurde mit acht
Teilnehmern erprobt und evaluiert, die das Angebot sehr positiv bewerteten und
zahlreiche Anregungen für die Weiterentwicklung gaben. Die Reihe soll im
kommenden Jahr fortgesetzt werden.
Klassifikationen und Terminologien spielen eine wichtige Rolle bei „Big
Data“
Zahlreiche Beiträge der Wissenschaftler im Konferenzprogramm
berührten auch in diesem Jahr wieder Projekte, an denen die TMF beteiligt ist,
und bezogen sich auf Arbeiten, die gemeinsam in Arbeitsgruppen der TMF
diskutiert und durchgeführt worden sind. So berichtete beispielsweise TMF-Geschäftsführer
Sebastian C. Semler im Symposium „Medizinische Klassifikationen und
Terminologien und ihre Rolle bei Big Data“ über die Perspektiven der Nutzung
von Terminologien in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Beitrag bezog
sich auf eine vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragte Vorstudie, in
der der Bedarf an international verfügbaren Terminologien für Deutschland bzw.
den deutschsprachigen Raum identifiziert und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen
erarbeitet worden waren.
Im Zusammenhang mit der Tagung führte darüber hinaus auch die
GMDS-Arbeitsgruppe „Nutzung von elektronischen Krankenakten für die klinische
Forschung“, an der die TMF beteiligt ist, den GMDS/IMIA-Workshop „Research
Databases“ durch, der zugleich das zweite Europäische i2b2 Academic User Group
Meeting war.
Vortragsfolien und Abstracts
- Abstracts der GMDS-Jahrestagung 2014 bei German Medical Science (gms)
- M. Löbe,
J. Stausberg,
J. Drepper:
Metadata Repositories und Metadaten-getriebene Systeme in der Biomedizinischen Forschung
<Abstract bei egms>
- C. Plötz,
R. Siddiqui, S.C. Semler:
Die Daten im Deutschen Biobanken-Register – Ressource für „Big Data“ in der medizinischen Forschung
<Abstract bei egms>
- J. Stausberg, S.C. Semler, E. Neugebauer:
Ein Register von Registern und Kohorten: Das Registerportal von TMF und DNVF
<Abstract bei egms>
- A. Chatziastros, J. Drepper, U.K. Schneider,
S.C. Semler:
Datenschutzrechtliche Einordnung typischer Anwendungsfälle zur Cloud-basierten Sekundärnutzung klinischer Daten im föderalen Rechtrahmen Deutschlands
<Abstract bei egms>
- D. Brammen,
J. Ahlbrandt, R.W. Majeed,
R. Lefering,
S.C. Semler,
S. Thun, F. Walcher,
R. Röhrig:
Eine IT-Infrastruktur für ein dezentrales Notaufnahmeregister
<Abstract bei egms>
- S.C. Semler,
P. Weil, K. Bockhorst, C.R. Bauer, L. Gusky,
O. Rienhoff:
Nutzung von Terminologien und Ordnungssystemen in der Medizin in Deutschland, Österreich und Schweiz – Stand und Perspektiven
<Abstract bei egms>
- J. Drepper, K. Pommerening:
Datenschutz in der medizinischen Forschung
<Abstract bei egms>
- A. Zaiß,
B. Graubner:
Symposium Medizinische Klassifikationen und Terminologien und ihre Rolle bei „Big Data“
<Abstract bei egms>
- Vortragsfolien des Workshops Metadata Repositories und Metadaten-getriebene Systeme in der biomedizinischen Forschung
Weiterführende Links
- Programm des Workshops Metadata Repositories und Metadaten-getriebene Systeme in der biomedizinischen Forschung [PDF | 800 kb]
- Empfehlung der Datenschützer für Datenschutzkonzepte der TMF 2.0 - Newsartikel vom 07.04.2014
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Begrüßung durch den
GMDS-Präsidenten
Prof. Dr. Paul Schmücker
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Die TMF präsentierte ihre
Angebote und Lösungen
für die Forschung.
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Der erste Kongresstag
klang mit einem Empfang
im Göttinger Rathaus aus.
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