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Sechs modellhafte Register der Versorgungs­for­schung star­ten in die Realisierungs­phase

Kick-Off Workshop zum Start der Realisierungsphase der BMBF-geförderten modellhaften Register der Versorgungsforschung fand am 16.01.2020 in Berlin statt.

Teilnehmer des Kick-Off Workshops

Teilnehmer des Kick-Off Workshops (v. l. n. r.): Sebastian C. Semler (TMF e. V.), Dr. Roman Siddiqui (TMF e. V.), Raphael Scheible (Uniklinik Freiburg), Friederike Praus (Universitätsklinikum Freiburg), Dr. Jeannine Wegner (Universitätsklinikum Münster), PD Dr. Christoph Engel (Universität Leipzig), Sonja Harkener (Universitätsklinikum Essen), Prof. Dr. Rita Schmutzler (Uniklinik Köln), PD Dr. Ekkehart Jenetzky (Universität Witten/Herdecke), Prof. Dr. David Martin (Universität Witten/Herdecke), Dr. Silke Schwarz (Universität Witten/Herdecke), PD Dr. Rüdiger Rupp (Universitätsklinikum Heidelberg), Li, Jeany Q. (Universität Bonn), Prof. Dr. Jürgen Stausberg (Universitätsklinikum Essen). © TMF e.V.

Mit einem Fördervolumen von 13,5 Mio. Euro gehen sechs BMBF-geförderte modellhafte Register der Versorgungsforschung in die Umsetzung ihrer innovativen Vorhaben. Die geförderten Register Fever App, HerediCaRe, ParaReg, RECUR, SOLKID--GNR-Lebendspende-Register und das TOFU Register hatten sich in der letzten Runde gegen 13 Bewerbungen in einem Auswahlverfahren durchgesetzt. Ziel der geförderten Projekte ist es, neue, patientenbezogene Register zu wichtigen Fragen der Versorgungsforschung aufzubauen. Dazu müssen sie hohe Qualitätsstandards erfüllen und Modellcharakter haben.

„Die modellhaften Register in der Versorgungsforschung sind sechs Fördermaßnahmen, die in keiner Weise in Konkurrenz zueinander stehen und die sich vollumfänglich unterstützen und voneinander lernen können“, begrüßt der  wissenschaftliche Referent im Begleitprojekt der Fördermaßnahme Dr. Roman Siddiqui, TMF e. V., die Registervertreterinnen und -vertreter auf dem Kick-Off Workshop am 16.01.2020 in Berlin. Im Zentrum der gemeinsamen Treffen stehe vor allem der gemeinsame Erfahrungsaustausch zu Datenschutz- und ethischen Fragen sowie zur Datenqualität und IT-Implementierung. Unter dem Dach der TMF stehen zu allen diesen Themen Experten und Arbeitsgruppen zum Austausch, zur Beratung und zur gemeinsamen Vernetzung zur Verfügung, so Siddiqui.

TMF führt Gutachten zu Qualitäts­kriterien von Registern durch

Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF e. V., berichtet zu Beginn des Workshops über das im Frühjahr 2020 anstehende „Gutachten zur Weiterentwicklung medizinischer Register zur Verbesserung der Dateneinspeisung und -anschlussfähigkeit“ im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Er wirbt dafür, dass sich die geförderten Register an der anstehenden Expertenbefragung beteiligen. Ziel ist es, eine nationale und internationale Übersicht und Bewertung medizinischer Register zu erarbeiten und ein tieferes Verständnis über derzeitige Rahmenbedingungen und Hürden für eine breite Nutzung der Register zu erhalten. Weiterhin sollen Qualitäts- und Bewertungskriterien für Register entwickelt und Empfehlungen für eine Weiterentwicklung der deutschen Registerlandschaft gegeben werden. Am 14. Mai 2020 wird es ein Open Space Experten-Workshop zur Anhörung der Ergebnisse der Expertenbefragung und zum Einfließen weiterer Impulse aus der Community geben.

SOLKID-GNR - Die Sicherheit des Lebendnieren­spenders

Dr. Jeannine Wegner vom SOLKID-GNR Register adressiert in Ihrem Vortrag die unzureichende Datenlage zum Outcome von Lebendnierenspendern im deutschen Gesundheitssystem auf körperlicher und psychosozialer Ebene. Eine prospektive interdisziplinäre Analyse medizinischer, chirurgischer und psychosozialer Aspekte der Lebendnierenspende sei für die Risikoabschätzung, Aufklärung und die Entwicklung spenderzentrierter Versorgungsstrategien und -standards dringend erforderlich. Das zentrale Ziel des SOLKID-GNR Registers ist die Risikoabschätzung zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse und des Überlebens der Spender. Außerdem werden umfangreiche Informationen zur Lebendnierenspende für Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte und das Gesundheitssystem bereitgestellt. Hierdurch soll die Bereitschaft und das Vertrauen in die Lebendspende gesteigert werden.

Dazu werden Spender und medizinisches Fachpersonal tabletbasiert über eine App an deutschlandweit 38 Transplantationszentren befragt. Die Datenerhebung erfolgt jährlich, um im Langzeitverlauf „den Spender möglichst lebenslang zu begleiten“, erläutert Wegner. Die Daten werden im Zentrum für Informationsverarbeitung pseudonymisiert und die PID’s über eine Mainzelliste an das Studienzentrum zurückgegeben. Pseudonymisierungsserver und Datenserver werden strikt getrennt. Für die Registerdatenbank wird RedCap genutzt.

FieberApp-Register – Aufbau eines Registers zur Information und Selbstdokumentation der familiären Behandlungspraxis bei Fieber mit Hilfe einer App

Derzeit hat die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin zur Behandlung von Fieber keine ausreichende Datenbasis und eine Gabe von Medikamenten wird sehr frühzeitig empfohlen, erläutern die Leiter der FieberApp Prof. Dr. David Martin und PD Dr. Ekkehart Jenetzky, beide von der Universität Witten-Herdecke. Die FieberApp möchte Daten zu Fieber erheben sowie Eltern, Praxen und Krankenhäuser im Umgang mit Fieber schulen. Weiterhin sollen Qualitätsstandards für die Behandlung entwickelt und die Kommunikation zwischen Ärzten und Eltern unterstützt werden. Dafür setzt sie u. a. auf Daten, die von den Eltern der betroffenen Patientinnen und Patienten selbst erfasst werden, um so ein interaktives, appbasiertes Register zu schaffen. Die App ist seit September 2019 im App Store erhältlich und kann nur von betroffenen Familien genutzt werden, die in Praxen auftauchen. Die Möglichkeit zur Nutzung der FieberApp wird den Familien randomisiert zugelost. Derzeit wurden 382 Familien-Codes zur Nutzung der App vergeben. Diese Familien haben 593 Kind-Profile angelegt und 452 Fieberphasen dokumentiert (Stand 15.1.2020).

ParaReg-Register: lebenslanges Monitoring von Querschnitts­gelähmten

In Deutschland leben rund 80.000 Menschen mit einer Querschnittslähmung. Rund 45 Prozent der Fälle sind unfallbedingt. Die Behandlungspfade von Rückenmarksverletzten unterscheiden sich in Abhängigkeit von inneren, krankheitsspezifischen und äußeren Faktoren erheblich. Bis heute ist nicht geklärt, inwieweit innere, krankheitsspezifische und äußere Faktoren (Behandlungspfad, Verfügbarkeit einer Nachsorge, Umfang der poststationären Pflege etc.) zu einem verbesserten Behandlungsergebnis mit weniger Folgekomplikationen und stationären Wiederaufnahmen führen. Das webbasierte Modellregister ParaReg zum lebenslangen Monitoring von querschnittgelähmten Patienten möchte deshalb bundesweit die akute und postakute Versorgung der Betroffenen erfassen und die unterschiedlichen Behandlungspfade in den Spezialzentren durch eine patientenzentrierte Dokumentation im Hinblick etwa auf medizinische, neurologisch-funktionelle und soziale Parameter vergleichen. Ziel sei es, langfristig die Versorgung, die Therapieplanung und die Steuerung des Behandlungspfades unter Berücksichtigung der Kosteneffizienz zu verbessern, erläuterte Projektleiter Prof. Dr. Rüdiger Rupp vom Universitätsklinikum Heidelberg. Bei einer Subpopulation wird mithilfe von Aktivitätstrackern untersucht, inwieweit eine Verschlechterung der Mobilität von Querschnittsgelähmten als Marker für ein vorliegendes Problem dienen kann. Im Februar 2020 soll die Implementierung von ParaReg abgeschlossen sein und die Beta-Tests an den Zentren des ParaReg-Leitungskomitees können beginnen.

Prof. Dr. Rupp

Prof. Dr. Rupp, ParaReg. © TMF e.V.

HerediCaRe: ein bundesweites Register zur Evaluierung und Verbesserung risikoadaptierter Prävention für erblichen Brust- und Eierstockkrebs

27 Prozent der Brustkrebs- und 22 Prozent der Eierstockkrebsfälle sind mit erblichen Faktoren assoziiert. Der klinische Nutzen von Präventionsprogrammen ist aber bislang unklar. PD Dr. Christoph Engel, Universitätsklinikum Leipzig, stellt im Workshop die Pläne für das bundesweite patientenorientierte Register für familiären Brust- und Eierstockkrebs HerediCaRe vor, welches in Zusammenarbeit mit zertifizierten Krebszentren, einer zentralen Kerneinheit für Dokumentation und Biostatistik, den gesetzlichen Krankenkassen, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Selbsthilfegruppe BRCA (BRCA-Netzwerk) aufgebaut wird. Das Register hat das Ziel, Daten über die Ausprägung genetischer Tumoruntertypen zu sammeln. Diese sollen es erlauben, den klinischen Nutzen von risikoangepassten vorbeugenden und behandelnden Maßnahmen wissenschaftlich zu beurteilen. Das Register dient der Evaluation des klinischen Nutzens von risiko-adjustierten Präventionskonzepten und ist ein Use Case für die Implementierung weiterer strukturierter und qualitätskontrollierter onkologischer Programme z. B. bei Darm- und Prostatakrebserkrankungen. Die Ergebnisse des Registers sollen in ein Ausbildungsprogramm zur Verbesserung der Risikobewertungskompetenz von Ärztinnen und Ärzten, genetischen Beraterinnen und Beratern sowie Patientinnen und Patienten münden. Das Datenschutzkonzept wurde mit Beratung der TMF im Juli 2019 erstellt und im Sommer 2019 am Standort der Projektleitung eingereicht. Das Votum ist durch Nachforderungen von Unterlagen noch ausstehend. Die Registerdatenbank wird als Eigenentwicklung umgesetzt, da eine konsortiale Datenbank für genetische Varianten benötigt wird, die den automatisierten Upload von molekulargenetischen Daten und Stammbaumformaten erlaubt und Schnittstellen zu LIMS in genetischen Labors aufweist. Die TMF unterstützt die Arbeit des Registers beim Datenschutzkonzept, berät bezüglich Datenschutzfolgeabschätzungen und im Qualitätsmanagement.

RECUR: ein nationales Register für rezidivierende Steinerkrankungen des oberen Harntraktes

Friederike Praus berichtet für das bundesweite, prospektive, longitudinale Register für rezidivierende Steinerkrankungen des oberen Harntraktes (kurz: RECUR). Das Register nutzt die Potenziale der Medizininformatik-Initiative, indem es eine digitale Verknüpfung mit Daten aus der Versorgung herstellt. Das modellhafte Register unter Leitung von Prof. Dr. Martin Schönthaler, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, speist die Daten aus den Krankenhausinformationssystemen der teilnehmenden Zentren im MIRACUM-Konsortium ein und kombiniert die Datenerhebung mit einer Patienten-App. Das Register ist dezentral angelegt; die Datenbank wird erst aktiviert, wenn wissenschaftliche Fragen erhoben und gezielte Abrufe ausgelöst werden. Die Daten selbst liegen in der Cloud. Ziel von RECUR ist es, erstmals den Zusammenhang zwischen den medizinischen Daten (Patientencharakteristika, Behandlungsdaten), patientenrelevanten Ergebnissen (z.B. Lebensqualität) und gesundheitsökonomisch bedeutsamen Variablen (z.B. Krankheitstage) auszuwerten. Das geplante Register soll dabei helfen, die Patienten zu identifizieren, die am meisten von spezifischen Behandlungen und vorbeugenden Maßnahmen profitieren. Bis RECUR umgesetzt werden kann, müssen noch die offenen Fragen der Patienteneinwilligung in MIRACUM geklärt werden. Ein Datenschutzkonzept liegt vor und eine Betaversion der Patienten-App ebenfalls.

TOFU-Register: Behandlungs­austritts­optionen bei nicht-infektiöser Uveitis

tofu

Eine nicht-infektiöse Uveitis ist eine seltene Entzündung der Gefäßhaut des Auges, die zu dauerhaften Schädigungen des Auges und einem Sehverlust bis hin zu einer Erblindung führen kann. Die Erkrankung ist chronisch und viele Betroffene benötigen daher eine langfristige immunmodulierende Therapie. Jeany Q. Li von der Universität Bonn berichtet, dass das TOFU-Register die Krankheitsverläufe von Patienten mit nicht-infektiöser Uveitis untersucht, um zur Evidenzentwicklung in der Durchführung einer immunmodulierenden Therapie beizutragen und langfristig die Leitlinienentwicklung zu unterstützen. Auf diesem Weg sollen Behandlungsergebnisse verbessert und unerwünschte Nebenwirkungen der Therapie, Kosten der Behandlung, krankheitsbedingte Ausfälle und Operationen wegen Komplikationen der Entzündung reduziert werden. Es werden nicht nur Daten an den behandelnden Zentren erfasst sondern die Patientinnen und Patienten werden auch direkt eingebunden und erfassen selbst Daten zu Nebenwirkungen der Therapie und ihrer Lebensqualität. All dies wird hochqualitative Daten und den Nachweis dazu liefern, wie eine immunmodulierende Therapie bei nicht-infektiöser Uveitis am besten durchzuführen ist. Derzeit initiiert TOFU die teilnehmenden Zentren und hat die Patientenrekrutierung angestoßen.

Qualitätsindikatoren in klinischen Registern

In drei abschließenden Impulsvorträgen des Kick-Off Workshops werden Fragestellungen adressiert, die für den Aufbau und die Datenqualität in Registern relevant sind. Prof. Dr. Claudia Ose, Zentrum für Klinische Studien am Universitätsklinikum Essen, erläutert in ihrem Vortrag wie „Quality by Design“-Prinzipien zum Gelingen klinischer Register beitragen. Besonders wichtig sei es demnach, relevante Zielparameter festzulegen. Diese sollten klinisch relevant, einfach zu messen, zentral zu bewerten und gut durchführbar sein sowie eine geringe Anfälligkeit für Messfehler aufweisen. Bei der Studiendurchführung sei auf die Qualität der Durchführung, das Vermeiden eines Design Bias und ein risikobasiertes Qualitätsmanagement zu achten. „Wir haben zukünftig immer mehr Datenquellen, aber die Qualität, die anfangs hineinkommt ist entscheidend, um hinterher aussagekräftige Ergebnisse erzeugen zu können“, schließt Frau Ose ihren Vortrag (Vortragsfolien mit Referenzen siehe unten).

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner, Universität Augsburg. © TMF e.V.

Zertifizierung von Gesundheits-Apps nach neuem Medizinprodukterecht

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner von der Universität Augsburg erläutert in seinem Vortrag die Notwendigkeit der Zertifizierung von Gesundheits-Apps nach Einführung der europäischen Medical Device Regulation (MDR). Diese bringt veränderte Anforderungen an digitale Gesundheitsanwendungen mit sich. Eine medizinische App bzw. digitale Gesundheitsanwendung, kurz „DiGA“, muss langfristig eine CE-Zertifizierung aufweisen. „Softwareprodukte, die vor dem 25. Mai 2020 auf den Markt kommen, fallen unter die Übergangsregelung“, so Gassner. Dazu müsse das Produkt im Einsatz sein, „ein Besitzwechsel stattgefunden haben“. Die Übergangsregelung gilt dann 4 Jahre. Relevante Änderungen in der Software fallen unter das neue Gesetz. Die neue MDR-Gesetzgebung bringe viele Unsicherheiten mit sich. Wie genau die neue Gesetzgebung rezipiert werde, wird sich erst durch die Rechtssprechung zeigen, so Gassner.

Datenintegrations­zentren der MII-Konsortien

Welchen Nutzen die Medizininformatik-Initiative (MII) für Register in der Datenerhebung zukünftig haben können, erläutert Dr. Thomas Wendt, Universitätsklinikum Leipzig, am Beispiel des SMITH-Konsortiums. In der MII werden an Universitätskliniken und Partnereinrichtungen Datenintegrationszentren aufgebaut und vernetzt. In diesen Zentren werden die Voraussetzungen geschaffen, um Forschungs- und Versorgungsdaten standortübergreifend verknüpfen zu können. Bisher wurden eine übergreifende Muster-Nutzungsordnung entwickelt und ein Kerndatensatz definiert. Dieser steht zukünftig für Daten auf Basis spezifischer Spezifikationen zur Verfügung. In der AG Interoperabilität werden interoperable Standards für den Datenaustausch definiert. Voraussetzungen für die Datenbereitstellung ist, dass ein Data Use and Access Verfahren definiert ist.  
Problematisch ist derzeit noch die Umsetzung eines Broad Consent für die Nutzung der Daten. Herr Wendt ruft dazu auf, die Interessenlagen der Register zusammenbringen und gemeinsam in der MII zu adressieren.