Interview

"Wir wollen die Voraus­setzungen dafür schaffen, dass die euro­päischen Bio­banken vernetzt werden können."

Interview mit Prof. Dr. H.-Erich Wich­mann zum ESFRI-Projekt Bio­banken

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Auf europäischer Ebene hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine harmonisierte und vernetzte Vorgehensweise im Zusammenhang mit Biobanken sinnvoll wäre. Dies erläuterte Prof. Dr. H.-Erich Wichmann im Interview mit der TMF.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. H.-Erich Wichmann ist nationaler Koordinator des europäischen ESFRI-Projektes Biobanken, Leiter der Biobank Kora-gen sowie Vize-Präsident der GMDS und Mitglied des Beirats der TMF.

Das Interview führten Sebastian C. Semler, Dagmar Baust und Antje Schütt am 07. August 2007.

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Eine Kurzfassung ist in der E-HEALTH-COM Nr. 5 (September/Oktober 2007) erschienen.

Herr Professor Wichmann, was sind Biobanken und worin bestehen die besonderen Anforderungen an die IT?

Biobanken sind Sammlungen von humanen Bioproben, die mit medizinischen Daten der Spender verknüpft werden können. So sind weitergehende Untersuchungen zur Krankheitsentstehung oder zu neuen Behandlungsmöglichkeiten möglich.

Damit diese Untersuchungen statistische Aussagekraft haben, müssen in Biobanken große Zahlen von Proben zur Verfügung stehen. Bei größeren Biobanken – um mal eine Größenordnung zu nennen – geht man von Proben von ca. 100.000 Personen aus, bei der UK-Biobank in Großbritannien strebt man 500.000 Personen an.

Die IT-Herausforderungen bei Biobanken liegen zum einen in der Bereitstellung großer Datenmengen, zum anderen im Umgang mit umfangreichen Analysedaten. So kann eine Einzelanalyse im Bereich Genomics durchaus eine Million einzelner Datensätze umfassen. Weiterhin muss IT-technisch ermöglicht werden, möglichst vielen Personen Zugriff auf eine Biobank zu bieten.

 

Wo sehen Sie Perspektiven für kleinere Kliniken, sich im Bereich Biobanken zu engagieren?

Auch kleinere Kliniken verfügen über Biobanken – teilweise für sehr spezielle Krankheitsbilder. Hier liegt sicherlich die Herausforderung darin, diese Biobanken zusammenzuführen. Wichtige Fragen, die sich hier stellen, sind die Datennutzungserlaubnis sowie das Einverständnis der Probanden einzuholen.

 

Wo steht Deutschland im inter­nationalen Vergleich?

Es gibt weltweit etwa 100 mittlere und große Biobanken mit mehr als 10.000 Teilnehmern. Führend sind Länder wie Großbritannien, Kanada und Australien. Deutschland spielte hier in der Vergangenheit  eine eher untergeordnete Rolle. Dies liegt vorrangig daran, dass es bisher keine Planungen zu einer großen zentralen Biobank gab.

Portraitbild Prof. Dr. H.-Erich Wichmann

Prof. Dr. H.-Erich Wichmann © TMF e.V.

Sind die strengen Daten­schutz­regelungen bei uns im Land eine Hürde?

Das sehe ich nicht als unüberwindbare Hürde an; hier lassen sich erfahrungsgemäß praktikable Wege finden. Mit den neuentwickelten Konzepten für Datenschutzlösungen hat auch die TMF einen Beitrag hierzu geleistet.

 

In diesen Tagen startet das Roadmapping-Projekt 'Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure' (BBMRI) im Rahmen der EU-Initiative 'European Strategy Forum on Research Infrastructure' (ESFRI). Was erwarten Sie von dem Projekt? Wo besteht europäischer Harmonisierungs­bedarf?

Das Thema Biobanken wird mittlerweile in Europa breit diskutiert. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine harmonisierte und vernetzte Vorgehensweise sinnvoll ist. Wissenschaft und Industrie sollen Zugang zu den vorhandenen Biomaterialsammlungen erhalten. Bei dem BBMRI-Projekt befinden wir uns in der "Preparatory Phase", einer auf zwei Jahre angelegten Vorbereitungsphase. Ziel ist, sich in diesem Zeitraum einen Überblick über die in Europa vorhandenen Biobanken zu verschaffen und neben methodischen und organisatorischen Fragen auch die IT-Strukturen sowie relevante Aspekte von Ethik und Datenschutz gemeinsam zu bearbeiten. Einbezogen werden verschiedene Arten von Biobanken: bevölkerungsbezogene Biobanken und „klinische“, d.h. krankheitsbezogene Biobanken ebenso wie Sammlungen von pathologischen oder anderen Materialien.

Für das BBMRI-Projekt hat sich eine europäische Gruppe gefunden, die einen gemeinsamen Antrag an die EU gestellt hat. Dieser ist positiv begutachtet worden. Mit diesem Projekt wollen wir innerhalb von zwei Jahren die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die europäischen Biobanken vernetzt werden können. Der eigentliche Einstieg in die Realisierung der Vernetzung geschieht dann im sich anschließenden Hauptprojekt.

Die angesprochene Harmonisierung ist notwendig, da sich das Projekt primär auf bereits vorhandene Biobanken stützen soll. Jede dieser Sammlungen hat ihre Vorgeschichte und ihre Rahmenbedingungen, die nur in gewissem Maße zu ändern sind. Wir wollen Minimalanforderungen formulieren – beispielsweise für die technische Seite –, aber auch für die medizinischen Kerndatensätze. Bevor wir eine gemeinsame Linie entwickeln können, müssen wir uns aber zunächst einen Überblick verschaffen. Dass dies praktisch möglich ist, zeigen unsere Arbeiten im 'Public Population Project in Genomics' (P3G). Ich bin hier optimistisch.

 

Richtet sich das Projekt hauptsächlich an akademische Biobanken oder ist auch die pharma­zeutische Industrie angesprochen?

BBMRI ist nicht auf die Wissenschaft beschränkt, sondern auch für die Pharmaindustrie offen. Das Projekt soll sowohl die Grundlagenforschung als auch die anwendungsnahe und die klinische Forschung umfassen. Langfristiges Ziel ist die Entwicklung von Medikamenten und die Verbesserung der Therapie auf Basis der individualisierten Medizin, unter Berücksichtigung der genetischen Prädisposition des einzelnen Patienten.

 

Sie sind der nationale Koordinator des BBMRI-Projektes. Wie wird sich Deutschland einbringen?

Eine Reihe von Ländern hat einen nationalen Koordinator festgelegt, der die Interessenten zusammenbringen und die Vorabstimmungen organisieren soll. Die deutsche Gruppe hat sich in mehreren Treffen im Vorfeld eine Struktur gegeben, die das Einbringen unserer Interessen und Beiträge in das große Projekt erleichtert. Vorteil dieses Vorgehens ist, dass wir jetzt eine größere Anzahl namhafter Partner dabei haben. Ich selbst werde in der Vorbereitungsphase den Bereich der klinischen Biobanken koordinieren und bin an den populations­bezogenen Biobanken beteiligt.

Sehr wichtig erscheint mir auch, dass es in der Vorphase gelungen ist, Repräsentanten von Förderorganisationen an dem Projekt zu beteiligen. So freuen wir uns, dass das BMBF dabei ist. Aber auch andere große Forschungsorganisationen wie die Helmholtz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft konnten wir integrieren. Dies ist wichtig, da in der späteren Hauptphase nur ein Teil des Geldes aus der EU kommen wird – weitere Mittel müssen auf nationaler Ebene zur Verfügung gestellt werden.

Um den Konzentrations­prozess in Richtung Europa voranzutreiben, ist es erforderlich, in der deutschen Community parallel zu arbeiten und sich zu sortieren. Dies werden wir unter anderem über die Arbeitsgruppe Bio­material­banken der TMF tun und sehen, was sich hier vorab diskutieren und koordinieren lässt. Als förderalistisches Land, in dem immer ein höherer Abstimmungsbedarf besteht als in zentralistisch organisierten Ländern wie Frankreich oder Großbritannien, ist es für Deutschland sehr wichtig, auf diese Weise die Schlagkraft in Europa zu erhöhen.

 

Sehen Sie Berührungs­punkte zwischen den IT-Systemen, die für Biobanken und in der bio­medizinischen Forschung verwendet werden, und den IT-Systemen, die in der Versorgung im Einsatz sind?

Die Vielfalt der IT-Systeme, die in der Krankenversorgung in Deutschland eingesetzt werden, ist sehr groß. Zu den unterschiedlichen IT-Lösungen kommt zudem eine sehr heterogene Kranken­haus­land­schaft. Es ist daher fraglich, inwieweit dieses Thema im BBMRI-Projekt derzeit lösbar ist. Wenn sich mit der elektronischen Gesundheits­karte in Zukunft ein Standard durchsetzt, wird es einen konkreten Ansatzpunkt gegen, aber derzeit ist es noch nicht so weit.

 

Herr Professor Wichmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.