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DMEA 2019: Vom Branchen­treffen zum gesund­heits­politischen Impuls­geber

TMF auf der neuen Plattform des digitalen Gesundheitswesens präsent

Die Messe Berlin von außen bei der DMEA 2019

Der Veranstaltungsort der DMEA 2019 war die Messe Berlin. © TMF e.V.

Rund 10.800 Besucher, 570 Aussteller und 350 Speaker – in Berlin ging die DMEA, Europas größte Digital-Health-Veranstaltung, in der vergangenen Woche erfolgreich zu Ende. Die ehemalige conhIT hatte sich mit erweitertem Themenportfolio, einer breiteren Zielgruppe und neuen interaktiven Formaten als Plattform der digitalen Gesundheitsversorgung neu aufgestellt. Die TMF war sowohl mit einem eigenen Messestand in der Halle 1.2 wie auch als Organisatorin mehrerer Sessions im Rahmenprogramm der Messe vertreten.

Holger Langhof

Holger Langhof, Berlin Institute of Health. © TMF e.V.

Glaubt man dem Publikumsvoting der gut besuchten DMEA Session zum „Verantwortungsvollen Umgang mit Patientendaten“, so scheint die Bereitschaft für eine Datenspende von Versorgungsdaten zur Verwendung in der Forschung hoch zu sein. In Deutschland hat in den letzten Jahren ein Bewusstseinswandel eingesetzt: überwiegte vor fünf Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung noch die Skepsis gegenüber dem „gläsernen Patienten“, so steht heute eine neue Offenheit gegenüber den Chancen der Digitalisierung im Vordergrund. Patienten werden durch innovative digitale Instrumente gestärkt, Ärzte bieten mehr und mehr stratifizierte Diagnostika und Therapien an und Wissenschaftler nutzen digitale Technologien, um Zugriff auf großangelegte Datenbestände zu erhalten. Die Liste der Möglichkeiten ist lang und es herrscht Aufbruchstimmung bei allen im Gesundheitswesen Beteiligten.

Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der LV Selbsthilfe Berlin, fordert in ihrem Vortrag, dass die Bürger besser mitgenommen werden müssen, und mehr „digitale Gesundheitskompetenz“ benötigen, um mit den gesellschaftlichen Veränderungen Schritt zu halten. Jeder Dritte sei durch die Dynamik und Komplexität der Digitalisierung überfordert, so Bendzuck.

„Uns fehlen die Standards, um Gesundheitsdaten auszutauschen“, kritisiert Dr. Peter Gocke, Chief Digital Officer der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Patienten sammeln heute mithilfe digitaler Instrumente selbst Daten, weil das Gesundheitswesen das nicht ausreichend macht. Sie wollen die Daten weitergeben, aber das deutsche Gesundheitswesen ist nicht dafür aufgestellt, die Daten zu verarbeiten. Die Sektorentrennung interessiere den Patienten nicht, argumentiert Gocke.

Bernhard Calmer, Cerner Health Services Deutschland, plädiert aus der Perspektive eines globalen Health IT-Unternehmens dafür, dass große Infrastrukturen im Gesundheitswesen gebraucht werden, damit Daten in noch größeren Kohorten gespeichert und ausgewertet werden können. Dazu müssen mehrere Universitäten im Verbund zusammenarbeiten, damit „Value für alle Stakeholder entsteht“, so Calmer.

Mit dem Einzug von Big Data müsse auch die Ethik neu gedacht werden, regt der Ethikforscher Holger Langhof vom Berlin Institute of Health an. Man brauche neue Konzepte für die Ethik von Big Data in der Medizin. Einwilligungsprozesse, Data Use and Access, Ownership-Fragen etc. sind Aspekte von Big Data, die unter ethischen Gesichtspunkten diskutiert werden müssen.

„Wer könnte der Träger von nationalen oder zentralisierten Datenbestände sein?“, fragt Sebastian Claudius Semler, Geschäftsführer der TMF e. V., die Panelteilnehmer zum Abschluss der Session. Die Teilnehmer sehen darin eine staatliche Aufgabe, die am besten durch ein unabhängiges Institut oder eine Stiftung übernommen werden sollte.

Gruppengespräch bei der DMEA

v. l. n. r.: Sebastian Claudius Semler, Wissenschaftlicher Geschäftsführer, TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.; Holger Langhof, Research Fellow, Charité, Berlin Institute of Health (BIH), QUEST- Center for Transforming Biomedical Research; Dr. Peter Gocke, Leiter Stabsstelle Digitale Transformation, Charité – Universitätsmedizin Berlin; Bernhard Calmer, Director Business Development, Cerner Health Services Deutschland GmbH; Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende, Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. © TMF e.V.

Christian Luft

Christian Luft, Staatssekretär, Bundesministerium für Bildung und Forschung. © TMF e.V.

Staatssekretär Luft: Medizininformatik-Initiative beispielgebend für Kultur des Datenteilens

Großes Interesse zeigten die Messebesucherinnen und Besucher an dem Insights-Format „Medizininformatik-Initiative: Berichte aus den Konsortien“, bei der drei der vier geförderten Konsortien im Arbeitsgespräch die Ziele und Fortschritte ihrer Use Cases vorstellten.

Unmittelbar anschließend startete auf der großen DMEA-Stage A und im Livestream die 90-minütige Session „1. Jahr der Medizininformatik-Initiative: Ergebnisse und Perspektiven“ mit einem Grußwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Bildung und Forschung Christian Luft. Darin betonte Luft, dass das Potential der Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht mit IT-Technik allein gehoben werden könne: „Forschung und Versorgung müssen künftig enger zusammen arbeiten. Wir brauchen ein gelebtes Data-Sharing zwischen allen Beteiligten des Gesundheitswesens.“ Ein zentraler Erfolgsfaktor sei die forschungskompatible elektronische Patientenakte. Mit ihr könnten die Daten zwischen den Behandelnden geteilt werden. Zugleich könnten sie mit Zustimmung des Patienten für wissenschaftliche Analysen zur Verfügung stehen. „Viel zu viele Informationen zu Krankheitsverläufen, Erfolgen und Misserfolgen unterschiedlicher Therapien schlummern heute noch ungenutzt auf Papier, in inkompatiblen Computerprogrammen oder in den Köpfen weniger Expertinnen und Experten.“, so Luft.

Forschung und Versorgung müssen künftig enger zusammen arbeiten. Wir brauchen ein gelebtes Data-Sharing zwischen allen Beteiligten des Gesundheitswesens.

Gruppenfoto auf der DMEA 2019

v. l. n. r.: Martin Peuker, Chief Information Officer, Charité – Universitätsmedizin Berlin; Berliner Institut für Gesundheitsforschung (HiGHmed); Dr. Danny Ammon, Leiter des Datenintegrationszentrums, Universitätsklinikum Jena (SMITH); Prof. Dr. Martin Sedlmayr, Lehrstuhl für Medizinische Informatik, Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Institut für Medizinische Informatik und Biometrie (MIRACUM); Staatssekretär Christian Luft, Bundesministerium für Bildung und Forschung; Sebastian Claudius Semler, Wissenschaftlicher Geschäftsführer, TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.; PD Dr. Fabian Prasser, Technischer Koordinator DIFUTURE, Technische Universität München (DIFUTURE); Dr. Ben Illigens, Verband der Universitätsklinika Deutschlands e.V. (VUD). © TMF e.V.

Publikum beim Insights-Format „Medizininformatik-Initiative: Berichte aus den Konsortien“

Insights-Format „Medizininformatik-Initiative: Berichte aus den Konsortien“. © TMF e.V.

Die Zusammenarbeit der Beteiligten in der Medizininformatik-Initiative sei vorbildhaft für eine solche Kultur der gemeinsamen Datennutzung. Der Initiative sei es in bemerkenswert kurzer Zeit gelungen, in ihrem Nationalen Steuerungsgremium Einigungen zum einem breiten Spektrum an Themen zu erreichen, die bislang in jeder Klinik und in jedem Forschungsinstitut anders gehandhabt wurden: „Die Medizininformatik-Initiative ist Impulsgeberin in vielen Bereichen der Digitalisierung des Gesundheitsbereiches: für eine elektronische Patientenakte, die den Ansprüchen von Forschung und Versorgung gerecht wird genauso wie für die Verwendung gemeinsamer internationaler Standards.“, so Luft. Wegen des großen Erfolgs der Initiative habe das BMBF nunmehr zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt und sei bereit, noch mehr zu investieren, um weitere Vernetzungen zu ermöglichen.

Im Anschluss stellten die vier geförderten Konsortien DIFUTURE, HiGHmed, MIRACUM und SMITH sowie die Koordinationsstelle der MII erste Ergebnisse des Projekts vor und gaben einen Ausblick auf die nächsten Schritte. 

Digitale Instrumente der patientennahen Forschung für das lernende Gesundheitssystem

Zum Abschluss der DMEA brachte die TMF noch eine Session aus dem Programm des diesjährigen TMF-Jahreskongresses, der am 20. und 21. März 2019 in den Räumlichkeiten des Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) auf dem Bonner Venusberg in Bonn stattgefunden hatte, mit auf das Berliner Messegelände unter dem Funkturm. Das DZNE ist mit seinen zehn Standorten Mitglied der TMF. Moderiert durch Stefan Rabe (TMF e.V.) zeigten die DZNE-Standorte Rostock-Greifswald und Magdeburg zwei Beispiele für gelungene digitale, patientenahe und translationale Forschung.

Armin Keller, DZNE Rostock-Greifswald, stellte aktuelle Erkenntnisse aus der DelpHi-Studie MV vor. Mit Hilfe eines eigens entwickelten Computersystems erstellen Betreuungsmanagerinnen und -manager für die Patientinnen und Patienten einen individuell maßgeschneiderten Behandlungs- und Versorgungsplan, der an die behandelnden Hausärztinnen und Hausärzte weitergeleitet wird. Dabei hat sich das computergestützte Interventions-Management-System (IMS) einer händischen Beurteilung der Versorgungssituation signifikant überlegen gezeigt. „Die vom IMS gegebenen Empfehlungen für eine individualisierte und leitliniengerechte ambulante Versorgung von Demenzpatientinnen und –patienten genießen eine hohe Akzeptanz bei den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten, aber auch auf Seiten der Kostenträger“, so Dr. Keller. Gemeinsam gelänge es, die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern und ihre Angehörigen nachhaltig zu entlasten.

Neueste Methoden der molekularen Diagnostik der Alzheimer Erkrankung in bildgebenden Verfahren sind die wissenschaftliche Grundlage der von Prof. Dr. Emrah Düzel, Universitätsklinikum Magdeburg, vorgestellten neotiv-App. Mittels spezieller Wahrnehmungstests auf mobilen Endgeräten kann eine frühzeitige Diagnosestellung eingeleitet und der Krankheitsfortschritt kontinuierlich überprüft werden. Ziel ist es, zukünftig die beginnende individuelle Erkrankung frühzeitig ab- und aufzufangen. Über die App können zudem zukünftig patientenerhobene Daten, etwa zur Auswirkung von Infekten auf die Grunderkrankung, ihrerseits als „Citizen Science“ direkt in die wissenschaftlichen Erkenntnisprozesse einfließen. „Bis zum Jahr 2025 werden digitale Instrumente wie die neotiv-App als Tor zur frühzeitigen Versorgung eine Schlüsselrolle für die Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen spielen“, so Prof. Düzel.

Die DMEA 2020 findet vom 21. April bis 23. April 2020 in Berlin statt.

Armin Keller auf der DMEA 2019

Armin Keller, DZNE Rostock-Greifswald. © TMF e.V.

Prof. Dr. Emrah Düzel auf der DMEA 2019

Prof. Dr. Emrah Düzel, Universitätsklinikum Magdeburg. © TMF e.V.