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Sekundärdaten sind vorhanden, Verknüpfung ist schwierig

120 Forscher diskutierten beim TMF-Forum Versorgungsforschung über die Nutzung von Datenbeständen für Forschung und Qualitätssicherung

Das Publikum beim TMF-Forum Versorgungsforschung 2015

Das Publikum beim TMF-Forum Versorgungsforschung. © TMF e.V.

Es gibt in Deutschland eine Reihe von Datenbeständen, die für die Versorgungsforschung genutzt werden können. Diese Nutzung basiert auf jeweils spezifischen Rechtsgrundlagen: Beispielsweise regelt die Datentransparenzverordnung (DaTraV) das Informationssystem Versorgungsdaten beim DIMDI oder das Krebsfrüherkennungs- und registergesetz (KFRG). Eine Verknüpfung dieser Daten, die wissenschaftlich wertvoll wäre, ist allerdings schwierig, oftmals selbst dann, wenn der Patient oder Proband in die Nutzung von Daten aus verschiedenen Quellen einwilligt. Dies war das Fazit aus dem TMF-Forum Versorgungsforschung, bei dem am 30. Juni 2015 in Berlin 120 Forscher teilnahmen.

Aufgabe des TMF-Forums Versorgungsforschung ist es zu prüfen, welche Datenkörper für die Versorgungsforschung zur Verfügung stehen oder stehen können, welche Daten sie enthalten und für welche Fragestellungen diese geeignet sind. Außerdem geht es um Fragen des Datenzugangs, technologische Anforderungen und datenschutzrechtliche Aspekte. Das erläuterte Sebastian C. Semler (TMF), der die Veranstaltung eröffnete. 2014 lag der Fokus der Forumsveranstaltung auf den DaTraV-Daten. Resultat sei unter anderem gewesen, dass ein gemeinsamer Arbeitskreis von DIMDI, AGENS und TMF gegründet wurde, der den Aufbauprozess des Informationssystems Versorgungsdaten beratend begleitet. Die aktuelle Veranstaltung solle den Blick nun auch auf andere Datenkörper erweitern.

Dr. Jochen Dreß

Dr. Jochen Dreß vom Deutschen Institut für Dokumentation. © TMF e.V.

DaTraV-Daten: Iteratives Vorgehen notwendig

Voll auswertbar sind derzeit im Informationssystem Versorgungsdaten des DIMDI die Daten aus den Jahren 2009 bis 2011. Für 2009 und 2010 sind seit Kurzem auch die Gemeindeschlüssel enthalten. Dies berichtete Dr. Jochen Dreß vom Deutschen Institut für Dokumentation und Information (DIMDI). Es habe sich gezeigt, dass von der Antragstellung durch Forscher aus antragsberechtigten Institutionen bis zur Lieferung einer optimalen Datenmenge durch das DIMDI ein iteratives Vorgehen notwendig ist. Dies sei allerdings eigentlich in den Verwaltungsverfahren nicht vorgesehen. Das DIMDI habe deshalb ein Rechtsgutachten und ein Folgegutachten eingeholt, die ergeben hätten, dass die Bereitstellung vorläufiger Ergebnismengen möglich erscheine. Dies würde eine Modifizierung der Methoden und Anpassung des Studienprotokolls erlauben, alternativ bliebe nur die Möglichkeit, einmalig formal „Widerspruch“ gegen die Ergebnismenge einzulegen und dann gemeinsam zu prüfen, ob und wie eine bessere Datenmenge erreicht werden kann. Das Votum des BMG zu dieser neuen Lösung stünde allerdings noch aus.

Ende 2015 wird das DIMDI einen Evaluationsbericht zum Informationssystem Versorgungsdaten an das BMG übermitteln. In diesen Bericht werden auch die Erfahrungen der Nutzungsberechtigten einfließen. Das DIMDI führt deshalb eine Umfrage unter den Nutzungsberechtigten durch, die sich dafür vorab registrieren müssen.

Krankenkassenbias: Erweiterung des DIMDI-Datensatzes beste Lösung

Die PMV forschungsgruppe an der Universität zu Köln hat für das DIMDI ein Datengutachten erstellt mit dem Ziel, eine generelle Bestandsaufnahme zurzeit in Deutschland vorhandener gesundheitsbezogener Datenbestände vorzunehmen. Das Gutachten wurde im Dezember 2014 veröffentlicht. Nach wie vor spielen hier die versichertenbezogenen GKV-Daten eine große Rolle. Diese liegen bei unterschiedlichen Stellen und können beim DIMDI, beim GBA und beim Zentralinstitut der Kassenärztlichen Vereinigungen genutzt werden.

Ein Problem sei allerdings der so genannte „Krankenkassenbias“ aufgrund von strukturellen Unterschieden zwischen den Versicherten der verschiedenen Krankenkassen. So liege beispielsweise die Diabetes-Prävalenz bei den AOK-Versicherten deutlich über den Werten aller anderen GKVen. Eine Möglichkeit wäre, die Daten der Versicherten zu poolen, allerdings scheitere dies – abgesehen von den technischen und logistischen Herausforderungen – oft an der Bereitschaft der Krankenkassen. Die beste Lösung seien deshalb die DaTraV-Daten beim DIMDI, die unbedingt erweitert werden sollten. Aktuell könne der DIMDI-Datensatz aber auch schon helfen, die Daten einzelner Krankenkassen hinsichtlich der Prävalenzschätzungen zu überprüfen. 

Nutzung von Sekundärdaten erfordert guten Umgang mit den Datengebern

Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) stellt mit seiner Plattform "Versorgungsatlas" Daten für die regionalisierte Versorgungsforschung bereit. Datengrundlage des ZI sind die Abrechnungsdaten aus ambulanter Versorgung und zu Arzneimitteln. Die Kernfrage der Arbeit des ZI sei, was in der Versorgung wirklich passiere und was beim Patienten ankomme, so Dr. Dominik Graf von Stillfried (ZI). Bestehende Unterschiede könnten aufzeigen, was mit den aktuellen Regelungen machbar ist und damit Verbesserungen auch in anderen Regionen stimulieren. 

Das ZI verfolge eine „no surprise“-Politik, bei der die KVen frühzeitig vor Publikation neuer Daten informiert würden, um sich vorbereiten zu können. Allerdings sei bei Veröffentlichung des Masernberichts versäumt worden, die Gesundheitsämter rechtzeitig einzubeziehen, was verständlicherweise zu abwehrenden Reaktionen geführt habe. Stillfried betonte deshalb besonders, dass die Nutzung von Sekundärdaten den richtigen Umgang mit den Datengebern erfordert. Der Versorgungsatlas sei auch offen für Analysen anderer Institutionen, allerdings werde dieses Angebot bisher noch zu wenig genutzt.

Krebsregistrierung: Datenaustausch zwischen Registern ist schwierig

Mit dem Nationalen Krebsplan ist eine flächendeckende klinische Krebsregistrierung zur Erfassung der Versorgungsqualität und die Vernetzung der klinischen und epidemiologischen Krebsregister vorgegeben und im Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz 2013 festgeschrieben worden. Ziel der Einrichtung flächendeckender klinischer Krebsregister in den Ländern sei die sektorübergreifende Darstellung, Bewertung und Verbesserung der Qualität der onkologischen Behandlung in allen Behandlungsphasen. Das erklärte Dr. Stefan Hentschel (Hamburgisches Krebsregister). Geplant seien jährliche landesbezogene Auswertungen, bundesweite Auswertungen, die vom GBA veranlasst würden, sowie möglicherweise ein bundesweiter 5-Jahresbericht durch den GKV-Spitzenverband. Notwendig hierfür sei allerdings der Datenaustausch zwischen den Registern, an dem die Krebsregistrierung auch noch scheitern könne. Der Aspekt Forschung sei erst nachträglich ins Gesetz eingefügt worden, eine Finanzierung hierfür fehle.  

Die epidemiologische Krebsregistrierung erfolgt in Deutschland seit 2012 flächendeckend, vorher sei die Situation in den verschiedenen Bundesländern sehr heterogen gewesen, berichtete Dr. Klaus Kraywinkel (Robert Koch-Institut). Aggregierte Daten stünden über die Website des Zentrums für Krebsregisterdaten zur Verfügung und könnten beispielsweise auch für eine Prävalenzabschätzung der GKV-Daten genutzt werden. Einzeldaten können auf Antrag zur Verfügung gestellt werden, ein Angebot das, so Kraywinkel, noch zu wenig genutzt würde. 

Nationale Kohorte setzt auf Einwilligungs­erklärungen

Die Nationale Kohorte (NaKo), die umfangreich Primärdaten von ihren Probanden erhebt, prüft auch die Möglichkeiten einer Veknüpfung dieser Daten mit Sekundär- und Registerdaten. Viele wesentliche Informationen zu den Probanden seien bereits vorhanden, erläuterte Dr. Svenja Jacobs (BIPS, Kompetenznetz Sekundär- und Registerdaten der NaKo), diese zu nutzen würde helfen, die Probanden zeitlich nicht noch stärker zu belasten. Außerdem seien diese Daten frei von Erinnerungs-Bias, und sie würden auch eine Nachverfolgung bei Erkrankung des Probanden ermöglichen, der dann möglicherweise nicht mehr ins Studienzentrum kommen könne. Die NaKo arbeite mit Einwilligungen der Probanden in die Nutzung der Sekundär- und Registerdaten, dennoch sei die Verknüpfung rechtlich schwierig zu realisieren. 

Datenschutz: Vielzahl von Regelungen für die Sekundär­daten­nutzung

Dr. Uwe K. Schneider (Vogel & Partner Rechsanwälte) stellte abschließend das von der TMF in Auftrag gegebene Rechtsgutachten zur Sekundärdatennutzung vor. Es beschreibt die Datenschutzlage in Bund und Ländern für Arztpraxen und Kliniken für den Bereich individueller Forschung und Qualitätssicherung. Das Gutachten gibt detaillierte Informationen zu den gesetzlichen Erlaubnissen der Sekundärdatennutzung in den Bundesländern differenziert nach Zweck der Datennutzung und Rechtsform der Einrichtung – alle diese Faktoren bestimmen, welcher gesetzliche Rahmen jeweils zur Anwendung kommt.

Schneider resümierte, dass die Sekundärnutzung nach geltendem Recht grundsätzlich rechtskonform ausgestaltet werden könne. Allerdings sei eine Vielzahl von Regelungen und Restriktionen zu beachten. Besondere Herausforderungen ergäben sich für Verbundforschung über Bundeslandgrenzen hinweg. Unklar sei derzeit noch, inwieweit auch Restriktionen durch die Europäische Datenschutz-Grundverordnung zu erwarten sind. Eine freiwillige Harmonisierung der unter den Bundesländern sei zu empfehlen. Das Rechstgutachten Sekundärdatennutzung wird in Kürze in der TMF-Schriftenreihe veröffentlicht. 

Die Referenten des Forums Versorgungsforschung

Die Referenten des Forums Versorgungsforschung: (v.l.n.r.) Dr. Uwe K. Schneider (Vogel & Partner Rechtsanwälte mbB); Dr. Jochen Dreß (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information); Dr. Klaus Kraywinkel (Robert Koch-Institut); Dr. Dominik Graf von Stillfried (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland); Dr. Svenja Jacobs (Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH); Peter Ihle (PMV forschungsgruppe, Universität zu Köln); Sebastian C. Semler (TMF e.V.); Dr. Holger Gothe (UMIT - University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology); Dr. Stefan Hentschel (Hamburgisches Krebsregister, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz). © TMF e.V.

TMF-Arbeitskreis Versorgungsdaten begleitet in Kooperation mit dem DIMDI die Ausgestaltung des Verfahrens

Hauptanliegen des Arbeitskreises Versorgungsdaten, der von der TMF in Kooperation mit dem DIMDI betrieben wird, ist es die Nutzungsmöglichkeiten der Daten aus dem Informationssystem Versorgungsforschung für wissenschaftliche Zwecke zu verbessern und die Prozesse zu vereinfachen. Dazu gehören beispielsweise die Optimierung der Iterationen zwischen dem DIMDI und den Wissenschaftlern oder die Erweiterung des Datenkörpers, wie Dr. Holger Gothe (UMIT, Vertreter der AGENS) darstellte. Es gehe auch um eine methodische Begleitung des DIMDI. Der Arbeitskreis hat sich in seinen Sitzungen 2014 und 2015 unter anderem mit dem Antragsverfahren, mit den Testantrag-Projekten, mit der Datencharakterisierung und mit der Vorbereitung der Umfrage unter den Nutzungsberechtigten befasst. Der Arbeitskreis habe so die Implementierung und Modifikation des DaTraV-Verfahrens im Dialog mit dem DIMDI bereits maßgeblich mitgestaltet, so Gothe.

Ein Foto der PowerPoint des Arbeitskreises Versorgungsdaten

Eine Kooperation der TMF und des DIMDI: Der Arbeitskreis Versorgungsdaten. © TMF e.V.