Interview

"Register parallel zu klinischen Studien führen"

Interview mit Prof. Dr. Edmund Neugebauer über die Notwendig­keit, Qualitäts­standards für Register zu entwickeln

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"Ich sehe den Wert von Registern in absoluter Ergänzung zu klinischen Studien und fordere die Community auf, Register bei großen Indikationsfeldern immer parallel zu den klinischen Studien zu führen."

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Das Interview führte Antje Schütt im Juli 2009. Eine Kurzfassung erscheint in der Zeitschrift E-HEALTH-COM 5 2009.

Portraitbild Neugebauer

Prof. Dr. Prof. h.c. Edmund A.M. Neugebauer ist Direktor des IFOM – Institut für Forschung in der Operativen Medizin (Universität Witten) und Geschäftsführer des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung (DNVF). © TMF e.V.

Herr Professor Neugebauer, wozu dienen Register und welchen Wert haben sie speziell für die Versorgungs­forschung?

Im Prinzip gibt es zwei verschiedene Formen von Registern: Zum einen die populationsbezogenen Register, mit denen epidemiologische Zusammenhänge dargestellt werden können. Zum anderen die patientenbezogenen Register, die uns besonders interessieren. Solche Register dienen beispielsweise dem kontinuierlichen Monitoring zu Intervention und Outcomes, der Nutzung von Daten als Benchmarking-Instrument und der Etablierung medizinischer Standards.

Wir selber haben mit dem Trauma-Register der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie mit inzwischen mehr als 35.000 schwerverletzten Patienten gute Erfahrungen gemacht. Aus diesem Register erstellen wir regelmäßig Qualitätsberichte und ein Benchmarking. Die Krankenhäuser erhalten jeweils ihre Daten im Vergleich zu den anonymisierten Daten der anderen Häuser. Daraus können sie dann die Stellschrauben ermitteln, an denen sie drehen müssen, um besser zu werden – ein Erfolgsmodell.

Ich sehe den Wert von Registern in absoluter Ergänzung zu klinischen Studien und fordere die Community auf, Register bei großen Indikationsfeldern immer parallel zu den klinischen Studien zu führen. Ein gutes Beispiel für den Stellenwert von Registern ist die Geschichte des Drug-eluting Stent: Hier hat man sich lange auf die Ergebnisse aus klinischen Studien verlassen, die einen Überlebensvorteil nahe legten. Erst später hat man anhand von Registerdaten gesehen, dass die Mortalitätsrate bei Drug-eluting Stents höher ist als bei  Bare-Metal Stents, jedenfalls in der derzeitigen Entwicklungsstufe.

Die Kombination von Efficacy, die durch klinische Studien nachgewiesen wird, und Effectiveness, als Ergebnis aus Registern, lässt nachher auch eine vernünftige Bewertung von Interventionen beispielsweise über den Gemeinsamen Bundesausschuss zu. Firmen scheuen sich jedoch bisher, Register zu finanzieren, weil sich die Kriterien der FDA oder auch des GBA Wesentlichen auf randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) stützen. Aber in der Bewertung für die Zulassung wird eine Zusatzinformation über die Breite in der Anwendung später helfen, tatsächlich zu einer besseren und sichereren Bewertung zu kommen. Wir müssen diesen Prozess induzieren – auch bei den regulatorischen Behörden.

 

Sie haben im Deutschen Netzwerk Versorgungs­forschung (DNVF) eine Arbeitsgruppe zum Thema Register eingerichtet. Welche Ziele verfolgen Sie damit?

In dieser Arbeitsgruppe geht es tatsächlich hauptsächlich um patientenbezogene – klinische – Register. Es geht uns darum, Benchmarking zu betreiben und die Qualität der Versorgung in den verschiedensten Krankheitsfeldern zu beurteilen. Darüber hinaus müssen wir einer ganzen Reihe von gestiegenen Anforderungen in der Versorgungsforschung gerecht werden.

Gemeinsam erarbeiten wir derzeit ein Memorandum zum Thema Registerforschung, das wir beim Deutschen Kongress für Versorgungsforschung in Heidelberg Anfang Oktober erstmals öffentlich vorstellen und diskutieren wollen.

Bisher verfolgen die klinischen Register zum Teil sehr unterschiedliche Ziele und verwenden eine sehr variable Methodik. Wir bereiten deshalb eine konsensfähige Definition zum Konzept „Register“ vor. Außerdem erstellen wir eine Auflistung relevanter Qualitätsaspekte, also verschiedener Dimensionen und Indikatoren zur Datenqualität. Vor allem aber erarbeiten wir Empfehlungen zur Erstellung von Registern.

Die derzeit 44 Fachgesellschaften, die im DNVF zusammen­geschlossen sind, sind aufgefordert, hier gemeinsam zu einem Konsens zu kommen. Das ist wichtig, da die Interessen fächerspezifisch sehr unterschiedlich sind – von Krebsregistern und Herzinfarktregistern angefangen bis  zu Traumaregistern oder beispielsweise den Registern in den verschiedenen Kompetenznetzen.

Wir wollen also ein bundesweit gültiges Papier erstellen, an dem man sich orientieren kann, wenn man künftig Register aufbaut. Ziel ist im Prinzip, die Qualität der Registerforschung als wesentliche Ergänzung zu klinischen Studien zu verbessern, weil wir dort einen absoluten Nachholbedarf sehen.

 

Ein funktionsfähiges Forschungs­register braucht eine leistungsfähige Kommunikations- und IT-Infrastruktur. Welche Herausforderungen stellen sich beim Aufbau dieser Strukturen?

Das ganze Thema Datenschutz und Datensicherheit ist natürlich ein großes Problem. Es geht ja um Patientendaten. Brauche ich – wie bei einer klinischen Studie – eine Patienten­einwilligungs­erklärung? Können die Daten anonymisiert werden oder muss es nicht doch eine Möglichkeit geben, den individuellen Fall im einzelnen Zentrum rückzuverfolgen?

Dies ist zum Beispiel sinnvoll, damit die Krankenhäuser aus den besten und den schlechtesten Fällen lernen können – „Ausreißerforschung“: Ein Patient ist beispielsweise plötzlich verstorben, obwohl das Risiko klein war. Was ist der Hintergrund? Oder umgekehrt: Jemand hat überlebt, obwohl seine Prognose sehr schlecht war. Was hat dazu geführt? Dazu brauchen wir Daten­verschlüsselungen in verschiedenen Stufen – ein Feld, in dem die TMF ja schon viel Erfahrung hat.

 

Die TMF arbeitet in der Arbeitsgruppe mit. Was erwarten Sie von der Kooperation?

Die TMF ist für uns eine wichtige Organisation im Zusammenhang mit dem Aufbau der Kommunikationsinfrastruktur für die Register. Wir erhoffen uns Unterstützung bei der technischen Umsetzung einer vernünftigen Kommunikationsplattform für den Datenaustausch zwischen den Fachgesellschaften und den Zentren.

Auch bei der Entwicklung von Software-Werkzeugen erwarten wir Hilfestellung: Wenn wir wollen, dass Register analog zu klinischen Studien als zusätzliche Erkenntnisquelle agieren sollen, brauchen wir auch eine ähnlich gute Software, wie wir sie für klinische Studien haben. Also so etwas wie ein Electronic Data Capture System. Hier hat die TMF ja bereits einige Erfahrungen gesammelt.

Außerdem hoffen wir auch, dass uns die TMF bei der Erstellung von Standard Operating Procedures (SOPs) für Register hilft.

 

Nachhaltigkeit, Sichtbarkeit, Harmonisierung und Standardisierung sowie Datenqualität – diesbezüglich herrschen gegenüber den diversen öffentlich geförderten Registern Vorbehalte. Was kann man unternehmen, um die Register in dieser Hinsicht zu stärken?

Eines der Ziele der Arbeitsgruppe ist ja, Qualitätsstandards für Register zu definieren. Wenn wir künftig in der Versorgungsforschung Register als valides Tool in Ergänzung zu klinischen Studien einsetzen wollen, brauchen wir Qualitätsnormen, die ähnlich hoch sind, wie sie bei den klinischen Studien beispielsweise mit den GCP-Kriterien gefordert sind. Wir wollen dazu eine Checkliste erstellen, die – nur als Beispiel – als Kriterium enthält, dass die Daten vollzählig und vollständig erhoben und dokumentiert werden.

Absolut sinnvoll wäre darüber hinaus, ein Register für Register zu haben. Wenn man im Moment versucht, sich einen Überblick über die vorhandenen Register zu verschaffen, ist man verloren. Jeder bezieht sich auf irgendein Register, und keiner kann eigentlich sagen, wie gut die Qualität dieses Registers ist. Die ganzen Qualitätskriterien, die in entsprechende Reportstrukturen einfließen müssten, müssen wir erst einmal festlegen – das ist ja auch das Ziel unserer Arbeitsgruppe. Erst wenn wir diese Kriterien haben, können Register durchgehend so valide werden, wie es klinische Studien mittlerweile sind.

Wenn wir das wie geplant gemeinsam schaffen würden, wäre das ein riesengroßer Schritt. Das Potential, das sich mit Registern erschließen lässt, ist enorm und möglicherweise noch höher das von klinischen Studien. Auf jeden Fall helfen Register, die Datenlage und die Sicherheit zu verbessern und die Erstattung transparenter zu machen.