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Registertage 2019: Qualitätsgesicherte Registerdaten als strukturierte Grundlage der Entwicklung von KI-Anwendungen immer wichtiger

150 Registerexpertinnen und -experten diskutierten in Berlin Qualitätskriterien und zukünftige Herausforderungen von medizinischen Registern

Das Kaiserin-Friedrich-Haus von außen

Der Veranstaltungsort der Registertage 2019 - das Kaiserin-Friedrich-Haus in Berlin. © TMF e.V.

Vom 6.-7. Mai 2019 kamen in Berlin rund 150 Vertreterinnen und Vertreter der Register- und Versorgungsforschung zu den Registertagen 2019 zusammen, um sich über Qualitätskriterien und zukünftige Herausforderungen patientenbezogener Register auszutauschen. Die zweitägige Konferenz fand im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes „Modellhafte Register für die Versorgungsforschung“ statt und wurde von der TMF (TMF e. V.) in Kooperation mit dem Deutschen Netzwerk für Versorgungsforschung (DNVF e. V.) veranstaltet.

Patientenbezogene Register bilden das Versorgungsgeschehen ab und optimieren Qualität der Versorgung

Während der Tagung wurden Konzepte und Erfolgsgeschichten der patientenbezogenen Registerforschung vorgestellt. Fragen der Datenqualität und Validität der Forschung mit Patientenregistern waren ebenso ein zentrales Thema. „Qualitätsgesicherte Datensätze mit hoher Reichweite unter einer definierten Fragestellung zu erheben, das zeichnet ein hochwertiges Register aus“, erläuterte TMF-Geschäftsführer Sebastian C. Semler. Patientenbezogene Register sind besonders gut dazu geeignet, das Versorgungsgeschehen zu analysieren und aufzuzeigen, welche Prozesse oder Prozeduren in der Versorgung optimiert werden können. Sie zeigen, welchen Einfluss verschiedene Versorgungsangebote auf den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität der Betroffenen haben. Darüber hinaus können sie Aufschlüsse über die Qualität der Behandlung in verschiedenen Einrichtungen und Versorgungssektoren geben.

Modellhafte Patientenregister: Erkenntnis gewinnen und Fehler minimieren

Während der Veranstaltung wurden die sechs erfolgreichen Finalisten der Ausschreibung „Modellhafte Register“ vorgestellt, die nun in den nächsten fünf Jahren mit rund 13 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden. Weitere 2,5 Mio. Euro bringen die geförderten Register aus Dritt- und Eigenmitteln in das Programm ein. Die geförderten Vorhaben Fever App, HerediCaRe, ParaReg, Register für rezidivierende Steinerkrankungen des oberen Harntraktes, Lebendspende Register und TOFU Register hatten sich zuvor gegen 16 Bewerbungen in einem Auswahlverfahren durchgesetzt.

Register für rezidivierende Steinerkrankungen stellt Verbindung zur Medizininformatik-Initiative her

Welche Potenziale in der digitalen Verknüpfung von Registern mit Daten aus der Versorgung liegen, zeigte beispielhaft das prospektive, longitudinale Register für rezidivierende Steinerkrankungen des oberen Harntraktes. Dieses modellhafte Register unter Leitung von Prof. Dr. Martin Schönthaler speist die Daten aus den Krankenhausinformationssystemen der teilnehmenden Zentren ein, die im Rahmen der Medizininformatik-Initiative erhoben werden. Kombiniert wird die Datenerhebung mit einer PatientenApp. Über die Verknüpfung von Register- und Versorgungsdaten wird die Medizininformatik-Initiative zukünftig einen großen Einfluss auf die Registerlandschaft haben, sind sich die Expertinnen und Experten einig.

Register für rezidivierende Steinerkrankungen stellt Verbindung zur Medizininformatik-Initiative her

Welche Potenziale in der digitalen Verknüpfung von Registern mit Daten aus der Versorgung liegen, zeigte beispielhaft das prospektive, longitudinale Register für rezidivierende Steinerkrankungen des oberen Harntraktes. Dieses modellhafte Register unter Leitung von Prof. Dr. Martin Schönthaler speist die Daten aus den Krankenhausinformationssystemen der teilnehmenden Zentren ein, die im Rahmen der Medizininformatik-Initiative erhoben werden. Kombiniert wird die Datenerhebung mit einer PatientenApp. Über die Verknüpfung von Register- und Versorgungsdaten wird die Medizininformatik-Initiative zukünftig einen großen Einfluss auf die Registerlandschaft haben, sind sich die Expertinnen und Experten einig.

Fever-App: Von der Datensammlung zum interaktiven Tool

Patienteneinbindung wird ein immer wichtigeres Thema für Register, wie die geförderte Fever App unter Leitung von David Martin, Universität Witten-Herdecke, und Ekkehart Jenetzky, Universitätsmedizin Mainz, zeigt. Die App möchte Eltern, Praxen und Krankenhäuser im Umgang mit Fieber schulen und Qualitätsstandards für die Behandlung entwickeln. Dafür setzt sie u. a. auf Daten, die von den Eltern der betroffenen Patientinnen und Patienten erfasst werden, um so ein interaktives, app-basiertes Register zu schaffen. Indem Register mehr Interaktion mit Patientinnen und Patienten haben, kann ihre Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung auch gestärkt werden.

HerediCaRe: Kompetenz in der Risikobewertung von Krebserkrankungen

27 Prozent der Brustkrebs- und 22 Prozent der Eierstockkrebsfälle sind mit erblichen Faktoren assoziiert. Der klinische Nutzen von Präventionsprogrammen ist aber bislang unklar. Prof. Dr. Rita Schmutzler von der Uniklinik Köln stellte in ihrem Vortrag das Konzept eines bundesweiten patientenbezogenen Registers zur Erfassung versorgungsbezogener Daten von Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf erblichen Brust- und Eierstockkrebs vor. Das Register dient der Evaluation des klinischen Nutzens von risiko-adjustierten Präventionskonzepten und ist ein Use Case für die Implementierung weiterer strukturierter und qualitätskontrollierter onkologischer Programme z. B. bei Darm- und Prostatakrebserkrankungen. Die Ergebnisse des Registers sollen in ein Ausbildungsprogramm zur Verbesserung der Risikobewertungskompetenz von Ärztinnen und Ärzten, genetischen Beraterinnen und Beratern sowie Patientinnen und Patienten münden.

ParaReg: lebenslanges Monitoring von Querschnittsgelähmten

Von den jährlich zwischen 1.800 bis 2.300 neu auftretenden Querschnittslähmungen in Deutschland sind rund 45 Prozent der Fälle unfallbedingt. Insgesamt leben rund 80.000 Deutsche mit einer Querschnittslähmung. In dem webbasierten Modellregister „ParaReg“ zum lebenslangen Monitoring von querschnittgelähmten Patienten geht es darum, bundesweit die akute und postakute Versorgung der Betroffenen zu erfassen und die unterschiedlichen Behandlungspfade in den Spezialzentren durch eine patientenzentrierte Dokumentation im Hinblick etwa auf medizinische, neurologisch-funktionelle und soziale Parameter zu vergleichen. Ziel sei es, langfristig die Versorgung, die Therapieplanung und die Steuerung des Behandlungspfades unter Berücksichtigung der Kosteneffizienz zu verbessern, erläuterte Projektleiter Rüdiger Rupp vom Universitätsklinikum Heidelberg.

TOFU-Register: Behand­lungs­aus­tritts­op­tio­nen bei nicht-infektiöser Uveitis

Eine nicht-infektiöse Uveitis ist eine seltene Entzündung der Gefäßhaut des Auges, die zu dauerhaften Schädigungen des Auges und einem Sehverlust bis hin zu einer Erblindung führen kann. Die Erkrankung ist chronisch und viele Betroffene benötigen daher eine langfristige immunmodulierende Therapie. Das TOFU-Register unter Leitung von Prof. Dr. Robert Finger, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, erhebt hochqualitative Daten und möchte damit zur Evidenz in der Durchführung einer immunmodulierenden Therapie beitragen. Auf diesem Weg sollen Behandlungsergebnisse verbessert und unerwünschte Nebenwirkungen der Therapie, Kosten der Behandlung, krankheitsbedingte Ausfälle und Operationen wegen Komplikationen der Entzündung reduzieren werden. Im Ergebnis profitiert die Lebensqualität der Betroffenen.

SOLKID-GNR – Deutsches nationales Lebendspende Register

Beim sechsten geförderten Register handelt es sich um das Deutsche nationale Lebendspende Register (kurz: SOLKID-GNR). Das Projekt soll mittels einer prospektiven, interdisziplinären Analyse valide Daten zu den physischen und psychologischen Risiken sowie den Komplikationen der Lebendnierenspender erheben.

Prof. Dr. Martin Schönthaler

Prof. Dr. Martin Schönthaler. © TMF e.V.

Ekkehart Jenetzky

PD Dr. med. Ekkehart Jenetzky, Universitätsmedizin Mainz, Projektleiter der Fever App. © TMF e.V.

Prof. Dr. Rita Schmutzler

Prof. Dr. Rita Schmutzler, Uniklinik Köln. © TMF e.V.

Rüdiger Rupp

Rüdiger Rupp, Universitätsklinikum Heidelberg. © TMF e.V.

Carsten Heinz

Carsten Heinz. © TMF e.V.

Beitrag von Registern zur Digitalisierung definieren

Welchen Beitrag Register mit ihren qualitätsgesicherten Langzeitverlaufsdaten für Forschung und Versorgung  sowie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen leisten, diskutierten Prof. Dr. A. M. Edmund Neugebauer, DNVF e. V., Sebastian Semler, TMF e. V., Anna Niemeyer, BQS-Institut für Qualität und Patientensicherheit, Prof. Dr. Jürgen Stausberg, Uniklinikum Essen, sowie Prof. Dr. Gerd Antes, Cochrane Deutschland, am Ende des ersten Veranstaltungstages im Rahmen eines Podiumsgespräches. „Register sind systematische Datensammlungen, die einen wertvollen Beitrag für Forschung und Versorgung leisten. Sie müssen ihre Daten und ihren Wert aber noch besser darstellen“, forderte Neugebauer. Ein Alleinstellungsmerkmal der Register sei es, dass sie, im Gegensatz zur Datenerfassung in der Versorgung, strukturiert und qualitätsgesichert Daten erfassen. Normale Dokumentationen aus der Versorgung seien als Grundlage für Big Data und Künstliche Intelligenz kaum zu gebrauchen, sind sich die Expertinnen und Experten einig. „Große Datenmengen erzeugen nicht unbedingt viele Erkenntnisse, sondern oft nur ein Datenrauschen“, unterstreicht Antes. Register könnten hier die Schnittstelle sein und ein potenzieller Lieferant für die KI. Dazu müssten sie ihren Wert jedoch besser darstellen, so Neugebauer. Der Begriff Register sei nicht gerade „sexy“, meint Niemeyer. Die Wissenschaft müsse besser kommunizieren und ihr Anliegen in eine Sprache übertragen, die auch „facebookgängig“ sei.

Tag 2: Datenqualität und Datenschutz  im Fokus

Der zweite Kongresstag stand ganz im Zeichen der Querschnittsthemen, mit denen sich medizinische Register regelmäßig konfrontiert sehen. Fragen der Datenqualität und Validität der Forschung mit Patientenregistern wurden ebenso behandelt wie praktische Herausforderungen des Datenschutzes. Den Auftakt machte Dr. Birgit Schauer von Universitätsmedizin Greifswald, die insbesondere Datenqualitätsfragen in epidemiologischen Kohortenstudien betrachtete. Am Beispiel der SQUARE²-Qualitätsberichte der SHIP-Studie (Study of Health in Pomerania) zeigte Schauer wie sich Datenqualität in den Dimensionen Integrität, Vollständigkeit, Konsistenz und Genauigkeit erfassen lässt. Besonders wichtig sei es, frühzeitig und dauerhaft Untersuchereffekte zu erkennen. Nur so ließen sich rechtzeitig geeignete Maßnahmen wie die Überarbeitung von Codieranweisungen und Nachschulungen ergreifen. „Verzichtet man auf ein regelmäßiges Datenqualitätsmonitoring, besteht die Gefahr, dass die erhobenen Datensätze ganz oder teilweise unbrauchbar werden. Das wäre pure Geldverschwendung“, appellierte Dr. Schauer. Daher sei jeder Euro in entsprechende Instrumente und Personalanteile gut angelegtes öffentliches Geld.

Vor dem Datennutzen steht die strukturierte Primärdokumentation

Dr. Felix Erdfelder vom Universitätsklinikum Bonn berichtete aus der klinischen Praxis der Primärdokumentation. „Wer klinische Daten sinnvoll und risikoarm nutzen will, muss diese und deren Entstehungsprozess im Detail verstanden haben“, so Erdfelder. Problematisch seien insbesondere der Abrechnungsbezug der Diagnosedokumentation, die zu einem „Money-Bias“ führe, sowie das Fehlen der Aufzeichnung konkreter Zeitpunkte insbesondere im Laborbereich. Auch müsse mit Hilfe eines Present-on-Admission-Flags erfasst werden, mit welchen Vorerkrankungen eine Patientin oder ein Patient aufgenommen wurde. Nur so ließen sich vergleichende Aussagen zur Versorgungsqualität einzelner Kliniken treffen. Zudem mangele es zentralen Dokumenten wie dem Arztbrief an einer sinnvollen Datenstruktur. Freitexte in Arztbriefen lassen diesen nicht nur zum „Datengrab“ der Forschung werden, sondern behinderten auch die Versorgungspraxis. Beispielhaft zeigte Erdfelder wie missverständliche Abkürzungen und redundante Informationen zu gefährlichen Fehlbehandlungen von Patientinnen und Patienten führen können. Dass eine Strukturierung der Primärdokumentation mit Hilfe geeigneter Softwarelösungen im Klinikalltag umsetzbar ist, demonstrierte Erdfelder anhand der gemeinsam mit der Versorgung entwickelten elektronischen Dokumentation der Notaufnahme des Universitätsklinikums Bonn.

Dr. Birgit Schauer

Dr. Birgit Schauer, Universitätsmedizin Greifswald. © TMF e.V.

Erdfelder Registertage

Erdfelder Registertage TMF e.V.

Wer klinische Daten sinnvoll und risikoarm nutzen will, muss diese und deren Entstehungsprozess im Detail verstanden haben.

Dr. Johannes Drepper

Dr. Johannes Drepper, TMF e.V. © TMF e.V.

Auch ein Jahr nach der EU-DSGVO: Rechtsgrundlagen des Datenschutzes für Register bleiben unübersichtlich

Mit Blick auf ein Jahr EU-Datenschutzgrundverordnung stellte Dr. Johannes Drepper (TMF e. V.) dar, dass für die medizinische Forschung in Deutschland weder erhebliche neue Unsicherheiten entstanden seien, noch eine Vereinheitlichung der Rechtspraxis zu beobachten sei. Aufgrund der Öffnungsklausel für Forschungsvorhaben, gelte im Prinzip die nationale Spezialgesetzgebung weiter. Register sehen sich damit weiterhin einer Reihe von zu beachtenden landespezifischen Rechtsquellen insbesondere den Landeskrankenhaus- und -datenschutzgesetzen gegenüber, die wiederrum im Einzelnen Raum für die Anwendung von Auffangklauseln des Bundesdatenschutzgesetzes ließen. Auch weitere Spezialgesetze wie das Sozialgesetzbuch im Umgang mit Versorgungsdaten enthielten für die Register relevante Vorschriften. Register mit eigenen bundes- oder landesrechtlichen Errichtungsgesetzen bildeten weiterhin die Ausnahme. Hieraus resultiert weiter ein großer datenschutzrechtlicher Abstimmungsbedarf, der im Zuge der Fortschreibung des generischen Datenschutzkonzeptes der TMF speziell auch für Register adressiert werden soll. Denn Register sehen sich laut Drepper besonderen Herausforderungen im Datenschutz gegenüber: Die Daten würden ohne konkret abschließende Forschungsfragen mit einer offenen Zweckbestimmung und langfristiger Speicherdauer erfasst. Dem gelte es mit entsprechenden Konzepten wie der Errichtung für Gremien zur Prüfung von konkreten Forschungsanträgen und abgestuften Einwilligungen zu begegnen. An Registern sind außerdem in der Regel eine Mehrzahl an Einrichtungen beteiligt, die handelnden Personen wechseln wissenschaftstypisch häufig und durch die unterschiedlichen IT-Systeme beteiligten Standorte entstehe eine komplexe Infrastruktur, die für die notwendige Erstellung einer Datenschutzfolgeabschätzung nach Art. 35 EU-DSGVO durchdrungen werden müsse. Schließlich sei dem Arbeitnehmerdatenschutzes bei der Erfassung von Versorgungsdaten bislang nur unzureichend Aufmerksamkeit zugekommen. Hier bestehe zukünftig ebenfalls Handlungsbedarf, so Drepper abschließend.

Register mit spezifischen Anforderungen an IT-Lösungen

Register haben vielfältige Bedarfe an IT-Komponenten. Neben der Hardware-Infrastruktur und dem übergeordneten IT-Management seien es laut Stausberg vom Universitätsklinikum Essen insbesondere Softwarelösungen für die zentralen Anwendungssysteme der Register, die eine Breite an Funktionalitäten abbilden müssten. Während die Top-Level-Aufgabe der Datenerhebung und Datenerfassung laut aktueller Erhebungen der TMF fast vollumfänglich von den registerseitig eingesetzten Softwarelösungen unterstützt werde, blieben insbesondere im Bereich des Monitorings zahlreiche Bedarfe ungedeckt. Deshalb habe die TMF jüngst im Rahmen des Begleitprojektes zur  BMBF-Fördermaßnahme „Aufbau modellhafter Register der Versorgungsforschung“ einen Markttransparenzworkshop durchgeführt und Register mit den Softwareanbietern an einen Tisch gebracht. Der TMF-Toolpool Gesundheitsforschung biete zudem dauerhaft einen guten Überblick über die Funktionsumfänge aktueller Softwareprodukte. Perspektivisch werden laut Stausberg mobile Erfassungskanäle wie Apps an Bedeutung gewinnen. Weiter plädierte er dafür, im Datenbankdesign das Backend konsequent vom Nutzungsdatenbestand zu trennen und die unterstützenden Prozesse z.B. durch ein Ticket-System zu professionalisieren.

Medizininformatik-Initiative bietet große Chancen für die Versorgungsforschung

PD Dr. Sven Zenker, Universitätsklinikum Bonn, stellte in seinem Vortrag die Möglichkeiten dar, die sich durch die Medizininformatik-Initiative (MII) für die Register der Versorgungsforschung eröffnen. Die MII, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis zum Jahr 2025 mit 150 Millionen Euro gefördert wird, schaffe die Voraussetzungen dafür, dass Forschung und Versorgung näher zusammenrücken. Dazu arbeiteten nahezu alle Universitätskliniken Deutschlands gemeinsam mit Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Krankenkassen und Patientenvertretern zusammen. Ziel sei es, Daten aus der ärztlichen Versorgung zu standardisieren bzw. interoperabel für die Forschung nutzbar zu machen. In verschiedenen Arbeitsgruppen würden derzeit die Rahmenbedingungen für die gemeinsame Datennutzung, die Interoperabilitätsstandards oder die Bedingungen, unter denen die Patienten in die Datennutzung einwilligen, gemeinsam abgestimmt und anschließend in Use Cases getestet. Zenker rief die Register Community dazu auf, ihren Input zu geben und die Chancen der MII für die Versorgungsforschung zu nutzen.

Prof. Dr. Jürgen Stausberg

Prof. Dr. Jürgen Stausberg, Uniklinikum Essen. © TMF e.V.

PD Dr. Sven Zenker

PD Dr. Sven Zenker, Universitätsklinikum Bonn. © TMF e.V.

AKTIN-Notaufnahmeregister: kontinuierliche Überwachung der Datenqualität notwendig

Das Verbundforschungsprojekt AKTIN hat seit dem Jahr 2013 die Grundlagen für ein nationales Notaufnahmeregister gelegt. „AKTIN trägt zur Verbesserung der Versorgungsforschung in der Akutmedizin in Deutschland bei“, ist sich Dr. Wiebke Schirrmeister von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg sicher. Das AKTIN-Register greift dabei auf klinische Routinedaten aus der Patientenversorgung unter Nutzung von Interoperabilitätsstandards zurück. In ihrem Vortrag stellte sie dar, dass die Durchsetzung von Standards in der Praxis schwierig sei und dass interoperable Schnittstellen kein Garant für eine hohe Datenqualität darstellen. Immer wieder komme es zu Fehlern in der Datenerfassung: sei es durch menschliche Faktoren oder durch ein fehlerhaftes Mapping. Eine kontinuierliche Überwachung der Datenqualität sei notwendig, so Schirrmeister. Kurze Abrufintervalle der Datenbestände würden dabei nicht nur helfen, Qualitätsprobleme etwa durch ein Softwareupdate des lokalen Krankenhaus-Informationssystems frühzeitig zu erkennen, sondern ermöglichten auch einen Beitrag der Register für die Surveillance im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. So konnte AKTIN bereits zeigen, dass es im Rahmen des Influenzamonitorings sehr exakte Daten zur Verlaufsbeobachtung zu liefern vermag.

Regionale Strukturen mit großem Potential für die Forschung: Das Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt

Mit dem Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt berichtete Dr. Anke Rißmann (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) von einem inzwischen fast vier Jahrzehnte bestehenden Register. Gestartet in Magdeburg, anschließend schrittweise bis auf ganz Sachsen-Anhalt ausgeweitet, werden im Zuge einer Vollerhebung anonymisierte Fehlbildungsmeldungen erfasst. Grundlage für die aus einem dichten regionalen Netzwerk der Kliniken und Fachpraxen gespeisten Meldungen ist eine landesgesetzliche Regelung. Zu den Aufgaben des Registers gehört die Epidemiologie, die Erfassung teratogener Einflüsse, aber auch die Evaluation von Präventionsmaßnahmen und Pränataldiagnostik. So konnte etwa der erhoffte präventive Effekt einer perikonzeptionellen Folsäureeinnahme auf das Auftreten von Neuralrohrdefekten anhand der Registerdaten nicht verifiziert werden. Aufgrund der langen Datenreihen und der gewachsene Meldedisziplin sei das regionale Register auch eine national und international nachgefragte Forschungsquelle, so Rißmann. Der gesetzliche Basisdatensatz werde dabei ergänzt um einen Maximaldatensatz mit Angaben zum Schwangerschaftsverlauf, der nachgeburtlichen Entwicklung des Kindes und familiäre Risikofaktoren. Hierzu ist die Einwilligung der Eltern erforderlich, die unter anderem durch die Hebammen eingeholt werde.

Bundesdruckerei mit neuer Datentreuhand-Plattform

Datentreuhändern kommt in zahlreichen Datenschutzkonzepten der medizinischen Register eine zentrale Rolle zu. Dr. Manuel Rothe von Bundesdruckerei GmbH stellte vor wie das bundeseigene Unternehmen das bestehende Know-How im Betrieb sicherer IT-Infrastrukturen und dem Identitätsmanagement in einem neuen Geschäftsfeld der Datentreuhanddienste bündeln wolle. Das Konzept der „Trusted Data Platform“ umfasse dabei das Berechtigungsmanagement, die Publikation von Datenquellen für Datengeber, die Auffindbarkeit der Datenquellen für die Datennutzer und die Überwachung der Datenabrufe. Hinzu kämen Zusatzdienste für das Einwilligungsmanagement, Datenqualitätsdienste, Pseudonymisierungsdienste und ggf. Datenanalyse- und verknüpfungsdienste. „Die Bundesdruckerei schafft als Vertrauensstelle die notwendige Data Governance beim Austausch sensibler Daten“, so Rothe. Die Bundesdruckerei suche hierzu bewusst frühzeitig den Dialog mit potentiellen Anwendergruppen, um die Bedarfe und Lösungen aufeinander abzustimmen. Ziel sei es, eine Plattform zu schaffen, auf der die digitale Souveränität der Datengeber gewahrt ist, die Daten manipulationssicher transferiert werden können und alle Plattformteilnehmer eindeutig identifizierbar seien.

Dr. Wiebke Schirrmeister

Dr. Wiebke Schirrmeister, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. TMF e.V.

Dr. Anke Rißmann

Dr. Anke Rißmann, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. TMF e.V.

Dr. Manuel Rothe

Dr. Manuel Rothe, Bundesdruckerei GmbH. © TMF e.V.

LEaHL-Register: Modelle für die Versorgung von Patienten mit hohem Risiko für therapieinduzierte Langzeitfolgen

Morbus Hodgkin ist eine bösartige Erkrankung des  lymphatischen Systems. Patientinnen und Patienten werden mit standardisierten Therapieschemata durch eine Kombination aus Chemotherapie und Bestrahlung behandelt. Die Heilungsaussichten sind vor allem bei Kindern gut bis sehr gut. Das Register für Langzeitfolgen nach Hodgkin-Lymphom wurde im Jahr 1999 zur Nachbeobachtung aller langzeitüberlebenden Patienten der ersten sieben pädiatrischen Hodkin-Lymphon-Therapiestudien errichtet, um verlässliche Aussagen zur Häufigkeit und zur Prävention von zu erwartenden Therapiefolgen treffen zu können. Hierzu zählen laut Dr. Ulrike Hennewig vom Zentrum für Kinderheilkunde der Justus-Liebig-Universität Gießen unter anderem durch die Radiotherapie induzierte Zweittumore sowie Erkrankungen des Herzens und der Schilddrüse. Durch diese Spätfolgen sinkt das Langzeitüberleben deutlich. Dabei habe das Register bereits maßgeblich dazu beigetragen, Therapieverbesserungen für die Morbus Hodgkin –Behandlung zu erzielen. So wurde der Wirkstoff Procarbazin aufgrund der erkannten Korrelation zu Infertilität durch andere Stoffe mit gleichsam hoher Heilungsrate ersetzt. Zudem ermögliche die Erfassung der Langzeitfolgen ein engmaschiges Monitoring der potentiell Betroffenen und eine entsprechend frühzeitige Einleitung von Therapiemaßnahen. Hennewig schilderte den Kongressteilnehmerinnen und –teilnehmern wie das Register personelle Umbrüche meistern und zugleich die Verfahrensweisen an die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen anpassen konnte. Dabei sei es gelungen, auch die Altregisterdaten weiter nutzbar zu halten. Die enge Verbindung der Registerpatientinnen und –patienten mit den langjährigen Ansprechpartnern schlage sich laut Hennewig auch ein einer großen Zahl von Beratungsanfragen nieder. Um diese adäquat adressieren zu können, sei nunmehr die Einstellung einer Sozialarbeiterin oder eines Sozialarbeiters geplant. Die Aufgabe des Registers wird dabei auf absehbare Zeit fortbestehen.

Hennewig hielt fest:

Die Explosion von neuen Immuntherapien in der Onkologie macht auch den neuerlichen Ausschluss von Langzeitfolgen zwingend erforderlich.

Chancen und Potenziale klinischer Krebsregistrierung

Der Aufbau klinischer Krebsregister wurde im Jahr 2013 mit der bundesweiten Meldepflicht des Krebsfrüherkennungs- und -registergesetzes angestoßen. Die Errichtung erfolgt hingegen in Landeshoheit. Hierzu haben die Länder in den Jahren 2014 bis 2018 gesetzliche Grundlagen geschaffen. Dr. Sylke Zeißig zog auf den Registertagen für das Krebsregister Rheinland-Pfalz eine erste Zwischenbilanz. Die personenbezogenen Behandlung- und Verlaufsdaten der klinischen Register eigneten sich im Besonderen als Grundlage für sektorübergreifende Fragestellungen der Versorgungsforschung. Dabei komme zwar bundesweit der einheitliche onkologische Basisdatensatz um Einsatz, die Organisationsstrukturen und auch die eingesetzten Softwarelösungen unterscheiden sich zwischen den Ländern allerdings erheblich. So sei gegenwärtig noch keine bundesweit einheitliche Zugangsmöglichkeit für Forschende gegeben. Eine solche wünschenswerte Poolung der Registerdaten sei noch „work in progress“.

Neues Register für Wundheilung will sektorübergreifende Qualitätssicherung voran bringen

Brigitte Nink-Grebe stellte schließlich ein bei der Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. noch in der Projektierungsphase befindliches Registerprojekt vor. Auf Basis der Empfehlungen der einschlägigen Leitlinien soll das neue Register für Wundheilung einen Beitrag zur evidenzbasierten Medizin in den Versorgungseinrichtungen leisten. „Das Wissen soll am Ort des Geschehens ankommen, um die Patientensicherheit zu erhöhen“, so Nink-Grebe. Und weiter: „Unsere Vision ist es, anhand der Registerdaten erkennen zu können, welche Intervention zu welchem Outcome führt und dies dann wieder in die Leitlinienentwicklung zurückfließen zu lassen.“ Weiterhin solle das Register im Rahmen der Qualitätssicherung auch ein sektorübergreifendes Monitoring der leitliniengerechten Versorgung ermöglichen. Den technischen Kern des neuen Registers soll eine Medical Collaboration Plattform zum vernetzten, sicheren Datenaustausch bilden. Hierbei sollen auch auf internationalen Standards basierende Schnittstellen zu den Primärsystemen der Versorgung geschaffen werden.

Dr. Sylke Zeißig

Dr. Sylke Zeißig. © TMF e.V.

Brigitte Nink-Grebe

Brigitte Nink-Grebe. © TMF e.V.

Dr. Ulrike Hennewig

Dr. Ulrike Hennewig, Zentrum für Kinderheilkunde der Justus-Liebig-Universität Gießen. © TMF e.V.

Geplant: Registertage zukünftig jährlich

Zum Ende der Registertage 2019 bilanzierte TMF-Geschäftsführer Sebastian C. Semler die gemeinsamen Herausforderungen der patientennahen Registern: Die Anforderungen den Datenschutz seien unbedingt ernst zu nehmen. Der Bedarf für ein aktuelles generisches Datenschutzkonzept für die Registerlandschaft sei sehr deutlich geworden. Alle vorgestellten Register setzten sich zudem sehr intensiv mit Fragen der frühzeitigen Sicherung von Datenqualität auseinander. Dabei sei die unzureichende Dokumentation in der Patientenversorgung ein Ärgernis, das auch gesundheitspolitisch weiter adressiert werden müsse. „Gerade angesichts der oftmals fehlenden strukturierten Dokumentation im Versorgungsalltag kann man die Rolle von Qualitätsregistern als Grundlage für die gegenwärtige Versorgungsforschung gar nicht hoch genug einschätzen“, so Semler. Nach wie vor problematisch sei dabei die häufig projektbezogene Finanzierung der Registerkörper. Entscheidend sei, so früh wie möglich einen „Business-Plan“ für einen dauerhaften Betrieb zu entwickeln. Um diese Ziele zu erreichen, sei ein langer Atem, ein intensiver Austausch, aber auch eine bessere Sichtbarkeit der Registerlandschaft notwendig. Daher sollen die Registertage zukünftig einen festen Platz im Jahreskalender der Versorgungsforschung finden.