Disruptive Technologien werden das Gesundheitswesen auf den Kopf stellen
TELEMED 2015 nutzte 20. Jubiläum für den kritischen Blick in die Zukunft – Deutschland braucht innovative Versorgungsstrukturen
26.06.2015. Deutschland
muss gesetzliche Regelungen anpassen und innovationsfreundlichere
Versorgungsstrukturen schaffen, damit die Digitalisierung des Gesundheitswesens
erfolgreich und auf internationalem Standard weiterentwickelt werden kann. „Deutschland
hat kein Infrastruktur- sondern ein Innovationsproblem.“ So brachte es Dr. Jörg
Haas (HW Partners AG) anlässlich des 20. Jubiläums der TELEMED am 23. Juni 2015
in Berlin auf den Punkt. Prof. Dr. Otto Rienhoff (Universitätsmedizin
Göttingen) forderte, den Blick von der Technik auf die gesetzlichen Regelungen
zu lenken, während Prof. Dr. Gernot Marx (Aachen) die Notwendigkeit innovativer
Versorgungsstrukturen betonte und mehr Bottom up-Handeln forderte, um die
Medizin gemeinsam weiterzuentwickeln.
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Dr. Jörg Haas, Prof. Dr. Otto Rienhoff und Prof. Dr. Gernot
Marx (v.l.n.r.) diskutierten auf der TELEMED 2015 über die
Zukunft der Telemedizin und Gesundheitstelematik.
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Jörg Haas, der als Gründer und Unternehmer bis 2005 im
Gesundheitswesen aktiv war und heute als Investor vor allem innovative Unternehmen
unterstützt, wies auf die disruptive Kraft der heute eingesetzten Technologien
hin, die die Arbeitsweise der gesamten Gesundheitsbranche auf den Kopf stellen
werde. Insbesondere würden die nationalen Grenzen – und damit nationale
Großprojekte – zunehmend ihre Bedeutung verlieren.
Als
Vorsitzender des Rats für Informationsinfrastrukturen erlebt Otto Rienhoff,
dass alle wissenschaftlichen Disziplinen gefordert sind, ihre Strukturen ganz
neu zu denken. Ein „Weiter-wie-bisher nur mit IT-Technik" werde nicht
funktionieren. Auch der Datenschutz müsse neu gedacht und gestaltet werden.
Erstmals telemedizinisches Projekt in die Regelversorgung überführt
Gernot Marx ist es in Aachen gelungen, ein telemedizinisches Projekt in der Intensivmedizin in die Regelversorgung zu bringen, so dass es nun national ausgeweitet werden kann - erstmals in Deutschland. Von Beginn an habe er daran gearbeitet, dass die Kosten von den Kostenträgern übernommen werden können. Hier habe insbesondere auch die Evidenz aus einer großen Studie in den USA geholfen, die den Nutzen der telemedizinischen Intervention für die Notfallmedizin nachweisen konnte. Diese Übernahme in die Regelversorgung ist ein wichtiger Meilenstein für Deutschland. Es sei jedoch, so Marx, noch ein weiter Weg zurückzulegen.
Treiber der Telemedizin in den Anfängen kamen auch aus der Ärzteschaft

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Sebastian C. Semler, PD Dr. Günter Steyer, Dr. Gottfried T. W. Dietzel und Michael
Engelhorn (v.l.n.r.) blickten zurück auf 20 Jahre TELEMED und Telemedizin.
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Die TELEMED hat als Fachveranstaltung die Entwicklung der „Telematik“ und Digitalisierung des Gesundheitswesens seit 20 Jahren mitbegleitet. Dabei habe es einige grobe Fehleinschätzungen gegeben, wie Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF, darstellte: So sei die Tagung 2005 mit dem Untertitel versehen worden „bit for bit – Halbzeit auf dem Weg zur Telematikinfrastruktur“, denn diese hätte ja 2006 eigentlich eingeführt werden sollen. Einig waren sich PD Dr. Günter Steyer, Dr. Gottfried Dietzel und Michael Engelhorn – drei der „Telemedizin-Pioniere“ der 90er Jahre –, dass es in dieser frühen Zeit noch sehr viele Vorbehalte gab und überwiegend gar nicht die
Notwendigkeit gesehen wurde, IT im Gesundheitswesen einzusetzen. Es habe einzelne Vorreiter gegeben, unter anderem sei auch aus der Ärzteschaft Druck für eine Weiterentwicklung gekommen.
Telematikinfrastruktur: Blick nach vorne richten
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Oliver Schenk (BMG) |
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Schon in der Eröffnungsrede hatte Oliver Schenk (Bundesministerium
für Gesundheit, BMG) betont, dass Deutschland die Telematikinfrastruktur und
die Vernetzung der an der
Gesundheitsversorgung Beteiligten brauche, um angesichts des demografischen
Wandels die hohe Versorgungsqualität
sichern und weiter verbessern zu können.
In einer Podiumsdiskussion am zweiten Veranstaltungstag stand das Thema nochmals im Mittelpunkt. Norbert Paland (BMG) machte deutlich, dass die sektorübergreifende Vernetzung des
Gesundheitswesens eine enorme Herausforderung ist. Es gehe viel um Macht und
Einfluss, und vieles davon sei sehr spezifisch für das deutsche Gesundheitssystem.
Das E-Health-Gesetz solle nun die zentralen in der bisherigen Phase erreichten
Schritte absichern.
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Podiumsdiskussion zum E-Health-Gesetz und seinen Aus-
wirkungen: obere Reihe (v.l.n.r.): Jan Neuhaus (DKG e. V.),
Norbert Butz (BÄK), Norbert Paland
(BMG), Rainer Höfer
(GKV); untere Reihe (v.l.n.r.): Ekkehard Mittelstaedt (bvitg
e. V.),
Prof. Dr. Arno Elmer (gematik), Prof. Dr. Rainer Röhrig
(Universität Oldenburg und
Moderator Dr. Stephan Schug
(DGG e. V.)
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Prof. Dr. Arno Elmer, scheidender Hauptgeschäftsführer der
gematik, appellierte an alle Beteiligten, den Blick jetzt nach vorne zu richten
und dafür zu sorgen, dass die Anwendungen, die im Feld bereits existierten, die
Telematikinfrastruktur künftig nutzen können. Neben Vertretern der Ärzteschaft,
der Krankenkassen, der Krankenhäuser und der Industrie, deren Beiträge die
großen Linien des schwierigen Prozesses deutlich zeigten, kam auch die
Forschung zu Wort:
Prof. Dr.
Rainer Röhrig (Universität Oldenburg) freute sich besonders darüber, dass
erstmals auch die Forschung in das E-Health-Gesetz aufgenommen worden sei und
damit nun auch an die Telematikinfrastruktur des Gesundheitswesens anknüpfen könne. In der Klinik wollten alle endlich eine
Telematikinfrastruktur – sie biete ein hohes Maß an Sicherheit, insbesondere im
Vergleich zur derzeit praktizierten „grauen Telemedizin“, bei der mangels
besserer Alternativen Befunde oftmals mit dem privaten Handy abfotografiert und
an den mitbehandelnden Kollegen gemailt würden.
Telemedizin im Rettungswagen und Offshore
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PD Dr. Markus Wehler
(Klinikum Augsburg)
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Dr. Rüdiger Franz
(Klinikum Oldenburg)
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Wie gut Telemedizin funktionieren kann, zeigten besonders
eindrücklich mehrere Beispiele aus der Notfallmedizin:
Die Notaufnahmen in
Deutschland verzeichnen seit einigen Jahren einen enormen Anstieg in ihren
Fallzahlen – die Kabinen seien heute durchgehend belegt, und es müsse ständig
triagiert werden, wie PD Dr. Markus Wehler vom Klinikum Augsburg berichtete. In
der Region Augsburg seien deshalb die Rettungswagen mit Geräten ausgestattet
worden, die eine Voranmeldung mit verlässlichen medizinischen Informationen zum
Zustand des Patienten ermöglichen. Die übermittelten Vitalparameter seien
erheblich wichtiger und zuverlässiger als vom Rettungspersonal gestellte
Verdachtsdiagnosen. Dies verbessere die Entscheidungsfindung zur Triagierung
und die klinischen Abläufe erheblich.
Derzeit werden große Offshore-Windanlagen in der Nordsee
errichtet mit Hochrisiko-Arbeitsplätzen. Ärzte sind für einen dauerhaften
Einsatz auf solchen Plattformen kaum zu finden. Gemeinsam mit zahlreichen Partnern
hat das Klinikum Oldenburg deshalb einen telemedizinischen Versorgungsdienst
aufgebaut. Er basiere auf Rettungssanitätern vor Ort und telemedizinischem
Support, um im Notfall die Therapie in der so genannten „golden hour“ beginnen
zu können, während der Notarzt mit dem Hubschrauber zum Unfallort fliege, so
Dr. Rüdiger Franz (Klinikum Oldenburg). Dies dauere bei guten Wetterbedingungen
ca. 40 Minuten, bei Nebel oder Sturm aber auch länger. Manchmal sei ein
Hubschrauberflug gar nicht möglich. Das Projekt „WindeaCare“ zeige, dass
Telemedizin Offshore funktioniere, nach bisheriger Erkenntnis medizinisch
sicher und auch rechtssicher durchführbar sei. Ohnehin sei die Lösung
alternativlos für die Situation. Außerhalb der 12-Meilenzone schlage das
Versorgungsgebot auch das Fernbehandlungsverbot. „Wenn Telemedizin hier
funktioniert, dann sollte sie auch in anderen strukturschwachen Regionen
funktionieren!“, so Franz.
TELEMED-Award: Vernetzung in der gerontopsychiatrischen Versorgung

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Dr. Danny Ammon
(TU Ilmenau und
Universitätsklinikum
Jena)
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Die
TELEMED 2015 endete mit der Verleihung des TELEMED-Award an Dr. Danny Ammon (TU
Ilmenau und Universitätsklinikum Jena) für seinen Beitrag zum Einsatz von
Standards beim Medikationsmanagement in der gerontopsychiatrischen Versorgung.
Basierend auf einer qualitativen Bedarfsanalyse ist hier eine Lösung erarbeitet
worden, die auf Dokumenten- und Kommunikationsstandards (IHE, HL7 CDA, HL7,
KVSafeNet, eGK/Telematikinfrastruktur) aufbaut und die es allen an der
Behandlung von gerontopsychiatrischen Patienten Beteiligten (Krankenhaus, Hausarzt,
Facharzt, Pflegedienst/-heim, Apotheke etc.) ermöglicht, den aktuellen
Medikationsplan sowie die Medikationshistorie einzusehen.
Landesvertretung NRW als Gastgeber NRW: Digitalisierung des Gesundheitswesens eines der zentralen Ziele
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Gerhard Sauer (Ver-
tretung des Landes
NRW beim Bund)
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Mathias Redders
(MGEPA NRW)
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Mit der Wahl der Landesvertretung NRW als Veranstaltungsort
hat die TELEMED 2015 einen Beitrag geleistet, um den Dialog mit den Bundesländern zu
fördern. „Ich freue mich besonders, dass die diesjährige TELEMED mit ihrem Jubiläum
bei uns zu Gast ist und so den gesundheitspolitischen Diskurs mit allen Ländern
intensiviert: Die E-Health-Aktivitäten der Länder haben einen besonderen Platz
im Programm der TELEMED erhalten. In NRW befinden sich viele Telemedizin-Anwendungen
bereits in der Regelversorgung. Digitalisierung des Gesundheitswesens ist eines
unserer zentralen Ziele.“ Dies betonte Gerhard Sauer, Stellvertretender Leiter
der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund, in seinem Grußwort zur
Eröffnung der Tagung. Mathias Redders, Leiter des Referats für Gesundheitswirtschaft und Telematik im
Gesundheitswesen im Ministerium für Gesundheit,
Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen eröffnete die Abendveranstaltung der TELEMED.
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Programmkomitee und Veranstalter der TELEMED 2015: (v.l.n.r.) PD
Dr. Günter Steyer (ehealth Consulting GmbH), Sebastian C. Semler (TMF
e. V.), Dr. Christoph Seidel (BVMI e. V.), Prof. Dr. Paul Schmücker
(Hochschule Mannheim), Anja Brysch (TMF e. V. / BVMI e. V.), Dr. Carl
Dujat (promedtheus AG), Dr. Stephan Schug (DGG e. V.) und Dr. Markus
Lindlar (DGG e. V.). Es fehlen:
Rainer Beckers (ZTG), Prof. Dr. Reinhold Haux (PLRI Braunschweig),
Andreas Henkel (Universitätsklinikum Jena), Oliver Schenk (BMG) und
Prof. Dr. Martin Staemmler (FH Stralsund). |
Download der Vortragsfolien
- Erwartungen der Bürger an die Gesundheitstelematik- Infrastruktur!
Wolfram-Arnim Candidus [PDF | 229 kB]
- Empfehlungen der Wissenschaft zur Einführung der Gesundheitstelematikinfrastruktur
Martin Staemmler [PDF | 122 B]
- Ziele, Methoden und Vorgehensmodelle der wissenschaftlichen Evaluation des Online-Rollouts Stufe 1
Constanze Woldenga [PDF | 674 kB]
- Aktuelle Entwicklungen im Bereich eHealth auf Europäischer Ebene
Beatrice Streit et al. [PDF | 503 kB]
- Einrichtungsübergreifende Prozessunterstützung in einem Telekooperationsnetzwerk
Martin Staemmler [PDF | 462 kB]
- Konsolidierte um Merkmale erweiterte standardisierte Dokumententypliste für den intersektoralen Informationsaustausch
Stefan Müller-Mielitz [PDF | 1 MB]
- IHE-Leistungskatalog für avisierte Ausschreibungen im Bereich einrichtungsübergreifender Kommunikation
Daniel Hellmuth [PDF | 677 kB]
- Eine mobile Plattform für eineinterdisziplinäre, bildgestützte Kommunikation
Tobias Schröder [PDF | 1 MB]
- Elektronische Signaturen im Rahmen der intersektoralen Kommunikation
Paul Schmücker [PDF | 879 kB]
- Modellierungsansatz zur Optimierung ambulanter Pflegeprozesse
Sven Leonhardt [PDF | 932 kB]
- 20 JAHRE TELEMED Historischer Rückblick auf 20 TELEMED-Tagungen
Sebastian Claudius Semler [PDF | 3 MB]
- Medikationsmanagement in der multiprofessionellen gerontopsychiatrischen Versorgung
Danny Ammon [PDF | 1 MB]
- Sektorenübergreifende Interoperabiltät mit dem Bundes-Medikationsplan
Dr. Gunther Hellmann [PDF | 885 kB]
- Nutzung von Terminologiediensten für Online-Fragebögen
Jörg Caumanns [PDF | 513 kB]
- eHealth Composite Plattform (eHC) FormsFramework
Markus Birkle [PDF | 1 MB]
- Interoperabilität durch Normung und Standardisierung
Volker Jacumeit [PDF | 407 kB]
- Open Source Software zur Integration von Daten aus einer PEPA in eine regionale Forschungsplattform
Tobias Bronsch [PDF | 568 kB]
- Projektstatus der elektronischen Gesundheitskarte und Telematikinfrastruktur
Arno Elmer [PDF | 1 MB]
- E-Health-Gesetz und seine Auswirkungen
Norbert Butz [PDF | 149 kB]
- Kabinettsentwurf zum eHealth-Gesetzund seine Auswirkungen
Rainer Höfer [PDF | 77 kB]
- eHealthGesetz Perspektive der wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Verbände
Rainer Röhrig [PDF | 761]
- Konzept zur regionalen Ausweitung des erfolgreichen Versorgungsansatzes E. He. R.
Bettina Zippel-Schulz, Sikle Steinbach [PDF | 1 MB]
- Nutzungsverhalten und Akzeptanz von smartphonebasierten mHealth-Applikationen bei jungen Erwachsenen in Deutschland
Christoph Dockweiler [PDF | 370 kB]
- Erfassung und Auswertung von Zugriffen auf die PEPA der Metropolregion Rhein-Neckar mit Hilfe des IHE-Profils ATNA
Laura Bresser [PDF | 1 MB]
- Entwurf eines IHE-basierten ePRS
Björn Schreiweis [PDF | 1 MB]
- Offene Datenmodelle für Observations of Daily Living fördern Patient Empowerment
Hans Demski [PDF | 1 MB]
- Telemedizinische Unterstützung für Rettungskräfte am Notfallort
Camilla und Bibiana Metelmann [PDF | 1 MB]
- Strukturierte Voranmeldungvon kritisch Kranken mit Telemedizin
Markus Wehler [PDF | 1 MB
- Telemedizin für Offshore – Windkraftplattformen
Rüdiger Franz [PDF | 6 MB]
- Anforderungen an Untersuchungen zum Nutzen von Telemonitoring (TN) am Beispiel Herzinsuffizienz aus Public Health-Sicht
Hanna Balzhyk [PDF | 366 kB]
- Nutzenpotenziale und Erfolgsindikatoren der Telematik-Infrastruktur für Unternehmen im deutschen Gesundheitswesen
Nikos Stroglidis [PDF | 724 kB]