„Die IT-Infrastruktur folgt den Zielen des Vorhabens“
Interview mit Claudia Michalik und Prof. Dr. Jürgen Stausberg zum Anforderungskatalog für Kohorten und Register-IT
Claudia Michalik und Prof. Dr. Jürgen Stausberg
Mai 2015. Im Rahmen eines TMF-Projektes ist eine Spezifikation der
IT-Anforderungen für Register und Kohorten erarbeitet worden. Der
Anforderungskatalog ist jetzt öffentlich verfügbar.
Frau Michalik, Herr Professor Stausberg, was war der Hintergrund für dieses
Projekt?
Michalik: Bei der Realisierung von Kohorten und Registern –
meist große und langfristig ausgelegte Projekte – steht man vor besonderen
Herausforderungen. Der Kern ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von
Patienten- oder Probandendaten, teilweise über Jahrzehnte hinweg. Dabei sind
zahlreiche Kooperationspartner eingebunden, und es müssen viele Prozesse
etabliert werden – von der Planung des Vorhabens bis zur Datennutzung. Diese
Prozesse können überwiegend mit IT unterstützt werden. Allerdings sind die
wissenschaftlichen Ziele, Nutzergruppen und Datenarten oder -quellen komplex
und können sich über die Laufzeit ändern. Die Herausforderung besteht darin,
die unterschiedlichen Anforderungen an die IT-Infrastruktur zu einer soliden
technischen Basis zu bündeln. Hilfreich ist es, in der Planungsphase schon
perspektivische Projekte zu berücksichtigen und die dafür notwendigen
Schnittstellen, Module oder Funktionen vorzusehen. Umfangreiche Änderungen in
der IT- und Datenmanagement-Infrastruktur im Nachhinein sind sehr arbeits- und
kostenintensiv. Bisher gibt es jedoch für Register und Kohorten kaum Empfehlungen
für eine IT Infrastruktur und das Datenmanagement – geschweige denn
kommerzielle Anbieter.
Stausberg:
Verschiedene Erhebungen zu Registern innerhalb der TMF-Community haben eine
große Heterogenität bei den IT-Konzepten und IT-Lösungen ergeben. Aus diesen
Erhebungen sowie aus Interviews und der Diskussion in der TMF-Arbeitsgruppe
IT-Infrastruktur und Qualitätsmanagement ergab sich ein Bedarf an Orientierung
und Professionalisierung. Neuen Projekten fehlte eine Richtschnur, wie sie ihre
IT-Konzepte entwickeln und mit welchen Hilfsmitteln sie daraus eine
IT-Infrastruktur aufbauen können. Außerdem wurden noch viele Eigenentwicklungen
eingesetzt, deren Ablösung durch marktgängige IT-Werkzeuge zu unterstützen und
zu organisieren war.
Was bekommt derjenige, der sich den Anforderungskatalog herunterlädt?
Michalik: Die Nutzer bekommen zum einen eine Liste mit
möglichen Anforderungen und Aufgaben, die eine Kohorte oder ein Register erfüllen
muss, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Die Anforderungsliste folgt einem
Projektlebenszyklus, so dass alle bedenkenswerten Aufgaben von der
Entwicklungsphase bis zum Abschluss aufgezeigt und in die Planung des eigenen
Vorhabens und der entsprechenden IT-Infrastruktur einbezogen werden können.
Daher kann der Anforderungskatalog auch als eine Art Checkliste genutzt werden.
Ich könnte ihn mir auch als Agenda für den Planungsausschuss oder die
Arbeitsgruppen von entstehenden Kohorten und Registern vorstellen. Zum anderen
bekommen die Nutzer eine Spezifikation der einzelnen Anforderungen an die Hand.
Darin sind der Hintergrund, die Voraussetzungen und ein Standardablauf sowie
Hinweise, Literatur oder Links zu jeder einzelnen Anforderung beschrieben. Der
Anforderungskatalog richtet sich aber auch an bestehende Kohorten und Register,
die sich restrukturieren oder erweitern möchten
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Zum Nutzen des Katalogs für klinische Krebsregister:
„Der bundesweite Auf- und Ausbau klinischer
Krebsregister ist stark von den Ländergesetzgebungen und anderen äußeren
Anforderungen geprägt und beginnt auch nicht auf der grünen Wiese. Daher kann
er zwar in vielen Punkten nicht sofort und direkt vom Anforderungskatalog
profiitieren.
Dennoch sehe ich Potenzial in der Weiterentwicklung der
Register. Hier gilt es konkurrierende Meldewege zu vermeiden, die in den
Ländern unterschiedlichen Nutzungskonzepte der Daten perspektivisch zu
vereinheitlichen und damit der Förderung von Versorgungsforschung und
Vernetzung mit anderen Registern den Boden zu bereiten.“
Dr. Udo Altmann, Universität Gießen
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Wie sind Sie bei der Entwicklung vorgegangen? Wer
hat noch mitgewirkt?
Stausberg: Bei der Festlegung der Anforderungen
haben wir eine ganze Reihe unterschiedlicher Projekte eingebunden, sowohl
Register als auch Kohorten. So wollten wir sicherstellen, dass das Ergebnis den
Bedarf in der Breite abdeckt und möglichst jedes Vorhaben sich mit seinen spezifischen
Anforderungen widerfindet. Ausgegangen sind wir von den Kompetenznetzen
HIV/AIDS und Hepatitis, die durch die beiden Hauptprojektpartner vertreten
waren. Sukzessive wurden dann weitere Vorhaben als typische Vertreter eines
bestimmten Typs der vernetzten medizinischen Forschung hinzugenommen:
Krebsregister, Register für seltene Erkrankungen oder auch die Nationale Kohorte.
Der entstehende Katalog wurde dann mehreren Expertenreviews unterzogen und
immer wieder korrigiert und verbessert. So sind wir sicher, dass das Ergebnis
nun die wesentlichen Aspekte abdeckt. Bei der Gestaltung des Katalogs haben wir
auf anerkannten Standards und bestehenden Vorarbeiten aufgesetzt.
Was macht die IT-Abläufe von Registern und Kohorten
– im Vergleich zu klinischen Studien – so ähnlich, dass ein gemeinsamer Katalog
genutzt werden kann?
Michalik: Viele
Merkmale, Aufgaben und sogar Ziele sind bei Registern und Kohorten ähnlich,
auch wenn sich das Studiendesign unterscheidet, so dass keine Unterscheidung
erfolgen muss. Die Anforderungsdetails müssen ohnehin projektspezifisch
formuliert werden. Für klinische Studien sind die Anforderungen an die
Datenerfassung und -verarbeitung dagegen durch die entsprechenden Gesetzte und
Regularien festgelegt. Für Nicht-AMG/MPG Studien könnte der Katalog wieder
relevant sein. Für Kohorten und Register werden aber oft kommerzielle
Datenmanagement- oder edc-Systeme für klinische Studien eingesetzt, da es wenig
andere Lösungen gibt.
Welche Empfehlungen würden Sie einem Register oder einer Kohortenstudie für
den Aufbau der IT-Infrastruktur mit auf den Weg geben?
Michalik: Auf der Basis der langfristigen Ziele sollten
zentrale Anforderungen aus allen Ebenen berücksichtigt und auf ihre
Kompatibilität geprüft werden – vom Förderer über die Geschäftsführung über das
Daten- und Qualitätsmanagement und die Biometrie bis hin zu den teilnehmenden
Zentren und Laboren. Zudem kann der Erfahrungsaustausch zum Beispiel mit
internationalen Kohorten und Registern des gleichen Indikationsgebiets sehr
hilfreich sein.
Stausberg: Ja, die IT-Infrastruktur folgt den Zielen des
Vorhabens. Voraussetzung für eine sinnvolle Gestaltung der IT-Infrastruktur ist
daher eine gute fachliche Konzeption des Registers oder der Kohorte. Außerdem: Mut
dazu, Bewährtes vom Markt oder aus anderen Forschungsvorhaben zu übernehmen und
nicht in jedem Detail eine spezifische Lösung zu erwarten. Beschränkung auf das
Notwendige, Verzicht auf Wünschenswertes. Eine differenzierte Organisation der
IT-Infrastruktur schafft Transparenz und Unabhängigkeit. Der Geschäftsführung
kommt dann vor allem die Vertragsgestaltung mit Dienstleistern zu: zur
Hardware, zum EDV-System, zum Datenmanagement. Die TMF bietet dazu eine ganze
Fülle von Material und Dienstleistungen an, die hierbei wichtige Unterstützung
bieten. Der Erfahrungsaustausch mit anderen ist schon in der Planungsphase
wichtig. Das leistet unter anderem die
TMF-Arbeitsgruppe IT-Infrastruktur und Qualitätsmanagement.
- Zum Anforderungskatalog
Claudia Michalik:
Studium der
Kommunikationswissenschaft, Germanistik und Marketing in Essen
(Studienschwerpunkte: Arzt-Patienten Kommunikation sowie Ethik und Organspende).
Danach Mitarbeit an Studien an der Schnittstelle zu Medizin und Kommunikation.
Fortbildungen in der Epidemiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und
Bielefeld. Seit 2006 am Zentrum für Klinische Studien (ZKS) der Universität zu Köln
für das Kompetenznetz HIV/AIDS tätig, als Projektmanagerin für das Daten- und
Qualitätsmanagement der nationalen HIV/AIDS Kohorte und alle angegliederten
Projekte. Seit 2012 als Kohortenmanagerin für die Kompetenznetz HIV Kohorten und
die zugehörige Biobank an der Ruhr Universität Bochum zuständig.
Prof. Dr. Jürgen Stausberg:
Medizinstudium in Düsseldorf. Weiterbildung
in Medizinischer Informatik am Städtischen Krankenhaus Solingen und
GSF-Forschungszentrum in Neuherberg. 1994 bis 2007 Leiter der Arbeitsgruppe
Medizinische Informatik im Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und
Epidemiologie am Universitätsklinikum Essen. Habilitation für Medizinische
Informatik 2001. 2008 bis 2014 Universitätsprofessur für Medizinische
Informatik am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und
Epidemiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2014 selbstständig.
Sprecher der Arbeitsgruppe Register des Deutschen Netzwerks für
Versorgungsforschung. Arbeitsschwerpunkte: Informationssysteme im
Gesundheitswesen, Medizinische Dokumentation, Telematik, Versorgungsforschung.