Wichtigstes Ziel ist eine klare Diagnose
Nationales Register für Patienten mit nicht-diagnostizierten Erkrankungen könnte wichtige Unterstützung leisten
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25.11.2013. Für Patienten mit seltenen Erkrankungen kann
sehr häufig keine präzise Diagnose gestellt werden, nicht zuletzt, weil
Vergleichsdaten fehlen. Um hier Abhilfe zu schaffen, werden in verschiedenen
Ländern seit einiger Zeit Datenbanken oder Register aufgebaut, in denen
klinische und genomische Daten von Patienten mit nicht-diagnostizierten
seltenen Erkrankungen gesammelt werden. In einem internationalen TMF-Workshop,
der vom Sprecherrat der
Forschungsverbünde für Seltene Erkrankungen initiiert worden war, diskutierten
Forscher aus dem In- und Ausland am 21. November 2013 in Berlin, ob ein solches
Register für Patienten mit nicht-diagnostizierten Erkrankungen auch in
Deutschland aufgebaut werden sollte.
Etwa 4 Millionen Deutsche leiden an einer seltenen Erkrankung. Die Diagnostik wird zwar immer leistungsfähiger, aber noch immer bleiben Patienten
ohne eindeutige Diagnose, und dass, obwohl sie oft endlose Untersuchungen über
sich ergehen lassen.
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Cynthia Tifft (NIH) stellte das NIH Undiagnosed
Diseases Program und ein weiteres Förderprojekt
des NIH vor, dass die Diagnostik für Patienten mit
seltenen Erkrankungen in den USA weiter ver-
bessern soll.
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Im Ausland sieht die Situation oft nicht besser aus. Wie
Cynthia Tifft von den National Institutes of Health (NIH, USA) beim Workshop
erläuterte, liegt die Quote der Patienten, die
trotz einer intensiven klinischen Evaluierung und Testung im Rahmen des
NIH Undiagnosed Diseases Program nicht diagnostiziert werden können, aktuell
bei 76 Prozent. Abhilfe schaffen soll ein neues Förderprojekt, das neben den
NIH fünf bis sieben externe Expertise-Zentren in den USA einschließen wird. Die
Daten aller angeschlossenen Organisationen sollen in einer zentralen Datenbank
gesammelt werden, um eine bestmögliche Patientendiagnostik und Forschung zu
ermöglichen.
Ähnliche Bestrebungen gibt es in
der EU. Hier soll in den nächsten Jahren eine zentrale Plattform für die
Registrierung von Seltenen Erkrankungen aufgebaut werden. Wie Jaroslaw Waligora
von der Europäischen Kommission erläuterte, soll damit ein Zugang zu den
EU-weit vorhandenen knapp 600 krankheitsspezifischen Registern zu Seltenen
Erkrankungen geschaffen und die Interoperabilität dieser Register untereinander
erhöht werden.
Interoperabilität als Grundvoraussetzung
Der Workshop machte erneut
deutlich, wie wichtig Interoperabilität zwischen IT-Systemen und Datenbanken
für die Forschung sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ist.
Um die nötigen Patientenzahlen in einem solchen Register zu erreichen, so der
Konsens, müsse man sich in Deutschland auf einen Grunddatensatz einigen, der
auch zu den auf europäischer Ebene gebräuchlichen Datensätzen (Data Sets)
kompatibel ist. Vorhandene Systeme müssten genutzt und interoperabel gemacht
werden. Im Vorfeld müsste außerdem festgelegt werden wie, wo und von wem die
Daten einzugeben sind. Eine zusätzliche Belastung der Ärzte durch mehrfache
Datenerfassung müsse unbedingt vermieden werden.
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Panel-Diskussion
am Nachmittag mit Cynthia Tifft,
Jaroslaw Waligora, Ségolène Aymé, Wendy van
Zelst-Stams, Peter Robinson, Jawahar
Swaminathan, Jörg Richstein (ACHSE). Moderation:
Cornelia Zeidler (links).
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Die einheitliche Beschreibung von
Krankheitsausprägungen, sogenannten „Phänotypen“, ist ein wichtiger Baustein
für die Interoperabilität von Datenbanken und die Vergleichbarkeit von Daten.
Dies zeigte Peter Robinson vom Institute for Medical Genetics der Charité-Berlin
in seinem Beitrag über die Human Phenotype Ontology (HPO). Auf Basis dieser
Ontologie können Ähnlichkeiten mathematisch miteinander verknüpft und dadurch
aufgefunden werden.
Ärzte müssen stärker geschult werden
Doch helfen alle Standardisierungen
nicht, wenn die Ärzte die Daten nicht in der entsprechenden Form und in
ausreichender Qualität erfassen. Daran erinnerte Carsten-Oliver Schmidt von der
Universität Greifswald in seinem Vortrag über die SHIP-Studie. Um das große
Problem von falschen Diagnosen zu vermeiden, müssten Ärzte stärker für
diese Thematik sensibilisiert und geschult werden.
Neben einer unzureichenden oder falschen Kodierung, die ein häufiger Grund für Falschdiagnosen sind, betrifft dies auch die mit der
Dokumentation verbundenen IT-Fragen. Zusätzlich seien regelmäßige
Qualitätskontrollen der Daten nötig, denn auch falsche Diagnosen aufgrund unzuverlässiger
Daten sind, wie der Workshop zeigte, ein nicht unerhebliches Problem.
Vorbilder für das Deutsche Register
Auch europäische Projekte wurden als mögliche Vorbilder für ein Deutsches
Register vorgestellt. So berichtete Wendy van Zelst-Stams über die bisherigen Aktivitäten des Radboud University Medical Center in Nijmegen im Bereich der klinischen Genetik bei unklaren Diagnosen und den kürzlich in den Niederlanden vorgestellten nationalen Plan zu Seltenen Erkrankungen, der auf frühe Diagnosen und die Benennung von 'centres of expertise' fokussiert.
Das französische Gesundheitsministerium finanziert das French National Data Repository, das Ségolène Aymé vom French Institute of Health and Medical Research (INSERM)
vorstellte. Dort speisen 103 medizinische Spezialzentren, verschiedene
nationale Kohorten zu seltenen Erkrankungen, Krankheitsregister und Gesundheitsverzeichnisse
ihre Daten ein. Für Forschungsprojekte sind diese Daten zugänglich. Ganz
wichtig für den Erfolg eines solchen Registers ist es nach Auffassung von Ségolène
Aymé, pragmatisch vorzugehen und dicht an der klinischen Realität zu bleiben.
Ärzte dürften nicht mit zusätzlicher Datenerfassung belastet werden.
Die Beispiele aus den USA, Frankreich und den Niederlanden machten deutlich, dass die alleinige Datenerhebung nicht ausreicht, damit ein Register für Patienten mit nicht-diagnostizierten seltenen Erkrankungen seinen Nutzen entfalten kann. Es muss auch über Folgeprojekte wie den Vergleich von Phänotypen oder weiterführende Gendiagnostik nachgedacht werden.
Ein Werkzeug für Forschung und Versorgung
„Das wichtigste Ziel ist, dass
alle Patienten, die diagnostiziert werden könnten, auch eine Diagnose
bekommen!“, resümierte Aymé in der
abschließenden Podiumsdiskussion. Dafür müssten alle verfügbaren Daten in das
Data Repository eingetragen werden. Außerdem benötige man Standardisierung und
eine Anbindung an Spezialzentren, die die Daten in hoher Qualität erheben. Eine
wichtige Frage im Interesse eines nachhaltigen Betriebes sei auch, bei welcher
Organisation das Register aufgesetzt werden könne.
Prof. Dr. Maggie Walter vom
Friedrich-Baur-Institut, Klinik der Universität München, ergänzte in ihrem
Abschluss-Statement, dass zunächst das Ziel des Nationalen Registers definiert
werden müsse. Primär ginge es dabei um das Identifizieren von
Patienten(gruppen) oder das Auffinden (neuer) Diagnosen. Das Register könnte in
diesem Sinne einen Nutzen sowohl für die Versorgung als auch für die Forschung
entwickeln.
- Programmflyer zum Workshop [pdf | 1,8MB]
Download der Vortragsfolien
- Cornelia Zeidler: Introduction [pdf | 178kb]
- Cynthia Tifft: The Undiagnosed Diseases Program of the NIH [pdf | 5,5MB]
- Jaroslaw Waligora: The European Plattform for Rare Diseases [pdf | 1,7MB]
- Wendy van Zelst-Stams: The Undiagnosed Diseases Program of the Netherlands [pdf | 913kb]
- Ségolène Aymé: Patients with Undiagnosed Rare Diseases - The EUCERD Perspective [pdf | 1,2MB]
- Peter Robinson: Compilation of phenotypes HPO/Phenomizer [pdf | 5,8MB]
- Jawahar Swaninathan: Decipher [pdf | 4MB]
- Carsten-Oliver Schmidt: Study of Health in Pomerania [pdf | 2,3MB]
- Thomas O.F. Wagner: Results [pdf | 138kb]